Autoritäre Wende?
Matteo Renzi könnte nun doch in Schwierigkeiten geraten. Nachdem er das mit Berlusconi verabredete neue Wahlgesetz über die ersten Hürden brachte, will er die institutionelle Reform in Angriff nehmen, die auf seinem Programm ganz oben steht: die Abschaffung des Senats in seiner bisherigen Form. Er soll zu einer Art Regionalkammer werden, in die – ähnlich wie beim deutschen Bundesrat – die Regionen ihre Vertreter entsenden, ohne das Recht zur Einflussnahme auf die Regierungsbildung und mit drastisch reduzierten Rechten bei der Gesetzgebung.
Dies gleich vorweg: Auch aus meiner Sicht ist die Abschaffung des geltenden „perfekten Bikameralismus“ – über Regierung und Gesetze entscheiden bisher immer beide Kammern – ein überfälliger Akt der Vernunft.
Wenn die Gänse entscheiden …
Vorerst gibt es aber diesen Bikameralismus noch, weshalb beide Kammern seine Abschaffung beschließen müssen – sinnigerweise zuerst der Senat. Für die „Onorevoli“ („Ehrwürdigen“) keine einfache Entscheidung, denn sie beziehen gute Diäten und die letzte Wahl liegt erst ein gutes Jahr zurück. Sollten sie jetzt ihre eigene Abschaffung beschließen, würden sie die alte Bauernregel widerlegen, dass man die Gänse nie über Weihnachten abstimmen lassen sollte.
Es ist aber nicht mehr sicher, ob Renzi im Senat eine Mehrheit für seinen Plan findet. Und zwar nicht nur wegen des Gänse-Problems. Denn inzwischen gibt es einen lauten Warnruf einer Gruppe von Publizisten und Verfassungsrechtlern, denen es dabei nicht um die eigenen Pfründe geht. Es handelt sich um die Vereinigung „Libertà e Giustizia“, die sich in den letzten 12 Jahren dadurch einen Namen machte, dass sie sich mit großer Standfestigkeit gegen die Versuche Berlusconis zur Wehr setzte, die Unabhängigkeit der Justiz aufzuheben und einen auf ihn zugeschnittenen „Presidenzialismo“ einzuführen.
Der Warnruf von Libertà e Giustizia
Der Warnruf, den u. a. Gustavo Zagrebelsky, Stefano Rodotà, Alessandro Pace und Nadia Urbinati unterschrieben, geht davon aus, dass Renzis Plan nicht von ungefähr mit Berlusconi abgesprochen wurde. „Das Projekt will unsere Verfassung aus den Angeln heben und ein autoritäres System schaffen“. Es ziele auf eine „autoritäre Wende“, mit der die PD „eine enorme Verantwortung“ auf sich lade. „Das Projekt muss sofort verhindert werden, mit der gleichen Entschlossenheit, mit der es verhindert wurde, als es noch Berlusconi vorantrieb. Das Falsche wird nicht dadurch richtig, dass es von einer anderen Partei vertreten wird. Eine plebiszitäre Demokratie entspricht nicht unserer Verfassung, und sie ist nichts, was sich ein Staatsbürger, der seine politische und bürgerliche Freiheit respektiert, wünschen kann.“
Auch die Verfassungsrechtler, die hier Alarm schlagen, sind der Meinung, dass das bisherige „perfekte“ Zweikammersystem abgeschafft werden sollte. Dass sie glauben, bei Renzis Projekt handele es sich um den Versuch einer „autoritären Wende“, liegt am Kontext.
Der Pferdefuß zeigt sich im Kontext
Zu diesem Kontext gehört vor allem das neue Wahlgesetz, das weitgehend die Handschrift Berlusconis trägt und „Regierbarkeit“ über demokratische Repräsentanz stellt. Indem es
• den Parteispitzen freie Hand bei der Auswahl der Kandidaten gibt;
• für die kleineren Parteien unverhältnismäßig hohe Hürden errichtet;
• an einer üppigen Mehrheitsprämie festhält, die im ersten Wahlgang schon bei 37 % Wählerstimmen wirksam wird und spätestens nach der Stichwahl vergeben wird, so relativ der Sieg auch ist („am Wahlabend muss klar sein, wer gewonnen hat“).
Weitere Verfassungsänderungen sollen die Stellung des Ministerpräsidenten gegenüber dem Staatspräsidenten und dem Parlament stärken. Bisher war er in der Regierung ein Primus inter Pares, was sich darin ausdrückte, dass nur der Staatspräsident Minister entlassen konnte – in Zukunft soll dies Recht dem Ministerpräsidenten zukommen. Bisher war das Parlament souverän in der Gestaltung seiner Agenda – in Zukunft soll ihm die Regierung vorschreiben können, welche Gesetzesvorhaben prioritär zu behandeln sind. Im Verhältnis Legislative – Exekutive stärkt dies die Exekutive, vor allem die Rolle des Ministerpräsidenten.
In diesem Kontext wäre die Abschaffung des Senats ein zusätzliches Mosaiksteinchen für ein ungehindertes „Durchregieren“ von oben. Über ein Parlament mit bis zur Unkenntlichkeit verzerrter Repräsentanz und künstlich erzeugter Dominanz einer Partei, ohne dass es dafür noch Gegengewichte gäbe. Man kann die Sorge der Verfassungsrechtler verstehen.
Renzi spielt Hasard
Fazit: Die Abschaffung des „perfekten Bikameralismus“ ist eigentlich vernünftig. Aber durch die konkrete Form, die ihr Renzi geben will, könnte daraus tatsächlich die „autoritäre Wende“ werden, die Libertà und Giustizia als Menetekel an die Wand malt.
Der Verdacht, dass auch Renzi diese Wende bewusst ansteuert, verstärkt sich. Innerhalb der PD versucht eine Minderheit, einen Alternativentwurf zu erarbeiten, der den Bedenken der Verfassungsrechtler Rechnung trägt. Auch hier soll der Senat nicht mehr ein Duplikat des Parlaments sein, aber zu seiner Ergänzung werden: keine Zuständigkeit mehr für die Wahl der Regierung und (beispielsweise) die Verabschiedung des Haushalts, aber für Bürgerrechte und Verfassungsfragen. Und er sollte ein Organ bleiben, das demokratisch gewählt wird.
Die Art und Weise, wie Renzi versucht, seine PD-internen und –externen Kritiker an die Wand zu spielen, lässt nichts Gutes erwarten. Er hat dafür drei Köder ausgelegt: Erstens werde der Senat nach seiner Umwandlung in eine Regionalkammer den Steuerzahler nichts mehr kosten. Zweitens werde Italien dadurch „regierbar“. Drittens bedient er (mit halbgaren Lösungen) den Kult der Schnelligkeit.
Man mag der Meinung sein, dass Italien eine solche autoritäre Wende braucht. Weil man in höchster Not eben den Teufel mit Beelzebub austreiben muss. Aber es wäre ein Hasard-Spiel. Die Populisten, die sich in solchen institutionellen Neuerungen wunderschön einrichten könnten, stehen bereit.