„Ihr fahrt zur Hölle“
Am 21. März, während eines Nachtgebets für die Opfer der Mafia, wandte sich Papst Franziskus ìn Rom auch an die Täter: „Ich bitte euch, ich bitte euch auf Knien, ändert euer Leben, kehrt um, hört auf, das Böse zu tun! Kehrt um, um nicht in der Hölle zu enden, denn das ist es, was euch erwartet, wenn ihr weiter macht wie bisher. Ihr habt Vater und Mutter, denkt an sie. Die Macht und das Geld, das ihr aus den vielen schmutzigen Geschäften zieht, aus den vielen mafiösen Verbrechen, ist blutiges Geld, ist blutige Macht, und nichts davon werdet ihr in das andere Leben mitnehmen können“. Dazu Roberto Saviano („Repubblica“, 22. 3.):
Franziskus spricht Klartext
„Die vom Papst gesprochenen Worte sind lapidar. In San Pietro, wo sie natürlich und offensichtlich klingen, mag ihr Widerhall nicht so gewaltig sein. Aber in Locri, Casal di Principe, Natile di Careri, San Luca, Secondigliano, Gela (Zentren der Mafia, Red.) klingen sie epochal. Das sind die Gegenden, in denen sich das Wirken der Mafia immer auch mit ostentativer Religiosität verbindet. Wer die Beziehungen zwischen Mafia und Kirche nicht kennt, mag glauben, der Widerspruch zwischen dem Wort Christi und der Mafia sei evident. Aber so ist es nicht. Für die Bosse der kriminellen Organisationen ist ihr Verhalten und das Verhalten ihrer Mitglieder christlich. Sie leben ihr Leben im Namen Christi und der Madonna, die Heilige Römische Kirche ist Bezugspunkt ihrer Organisation.
So absurd es erscheinen mag: Der Boss vergleicht sein Handeln mit dem Leidensweg Christi, denn er nimmt Schmerz, Schuld und Sünde auf sein Gewissen, zum Wohle derer, denen er befiehlt. Das „Wohl“ ist erreicht, wenn seine Entscheidungen allen Mitgliedern in dem von ihm beherrschten Gebiet zugute kommen. Seine Macht bedeutet die Herrschaft einer Vorsehung, die Ordnung stiftet: Auch Töten ist gerecht und notwendig und wird von Gott verziehen, wenn das Opfer die Ruhe, den Frieden und die Sicherheit der „Familie“ gefährdet.
Initiation mit Heiligenbildchen
Es gibt ein ganzes Bündel pervertierter Rituale, die der Religion entlehnt sind und die Kultur der Mafia-Gruppen regeln. Zum Mitglied der `Ndrangheta wird man über die „Santina“, ein Heiligenbildchen, auf dem ein Gebet steht. Der Erzengel St. Michael ist der Heilige, der die Ndrangheta-Zellen (in Kalabrien, Red.) beschützt; auf sein Bild tropft bei der Initiation das Blut des neuen Mitglieds. In Kampanien ist Padre Pio der Heilige, dessen Ikone in jeder Wohnung der Camorra steht und dessen Bild in der Brieftasche jedes ihrer Mitglieder steckt. Nicola, das ehemalige Mitglied des Cesarano-Clans erzählt: „In meiner Jugend wurde ich einmal dadurch gerettet, dass eine Kugel abgelenkt wurde. Die Ärzte meinten, es lag an einer Rippe, dass der Schuss nicht tödlich war. Aber das glaube ich nicht. Der Schuss zielte auf mein Herz. Es war nicht die Rippe, es war die Madonna“. An die Madonna wendet man sich im Gebet; sie ist es, die beim Morden für gutes Gelingen sorgen soll. Als Frau und Mutter Christi erträgt und verzeiht sie die Schmerzen des Bluts. Rosetta Cutolo (Buchhalterin der Camorra, Red.) ging in die Kirche, wenn ihr Bruder Don Raffaele wieder eine Schlächterei angeordnet hatte: Und betete zur Madonna, um ihr zu erklären, dass Todesurteile und Gewalt notwendig waren. In Pignataro Maggiore gibt es die „Madonna der Camorra“, die der 2002 in einem Hinterhalt getötete Boss Raffaele Lubrano auf eigene Kosten restaurieren ließ und die jetzt in einem Saal neben der Kirche steht.
Bisher Zweideutigkeit
Auch Johannes Paul II hatte am 9. Mai 1993 in Agrigent die Mafia hart angegriffen: „Bekehrt euch, Gottes Strafgericht wird kommen“. Zwei Monate später legte der Corleone-Clan eine Bombe in die römische Kirche San Giovanni in Laterano (früherer Papstsitz, Red.). Aber Franziskus spricht nicht nur die an, die schießen: Er umarmte auch die Verwandten der Mafia-Opfer. Und er umarmt Don Luigi Ciotti, einen Priester, den noch nie ein Pontifex des Vatikans empfing und der mit der Organisation Libera zum Inbegriff einer Straßenkirche wurde, die sich gegen die kriminelle Macht engagiert. Die Kirche von Don Diana (der gegen die Camorra kämpfte und 1994 ermordet wurde, Red.), die in ihrem Kampf allein gelassen wurde. Heute lädt Franziskus dazu ein, sich an die Seite von Don Diana zu stellen. Seine Worte durchbrechen das Zwielicht, in dem die Teile der Kirche leben, die schon immer so tun, als ob sie nichts sehen, die sich gegenüber der Mafia nachgiebig zeigen und sich damit rechtfertigen, „den verlorenen Seelen nahe zu sein“.
Die Mitglieder der Mafia fürchten nicht die Hölle, die ihnen der Papst prophezeit: Sie haben sie schon in dieser Welt. Aber sie fürchten eine Kirche, die gegen die Mafia zur Tat schreitet. Die Worte von Franziskus könnten tatsächlich etwas verändern, wenn die von ihm bezogene Position die mafiöse Bourgeoisie in die Krise versetzt, wenn die pastorale Arbeit der Kirche wirklich das kriminelle Geld und die von dieser Bourgeoisie abhängige Politik zu isolieren beginnt. Wenn nicht nur ein paar mutige Priester, sondern die ganze Kirche tatsächlich zu einem aktiven Teil des Kampfes gegen das kriminelle Kapital wird. Nach diesen Worten von Franziskus wird es entweder so sein, oder die Kirche wird nicht mehr Kirche sein.“
Ein wunderbarer und auch ermutigender Text! Dank der Redaktion für diese so differenzierte Sicht auf die Rolle der Katholischen Kirche, der Volksfrömmigkeit, der Priester und des Papstes in der Welt der Mafiosi, der Täter und der Opfer des ‚höllischen Systems‘. Manche, auch Symathisanten des Papstes, kritisieren seine Verwendung vor-rationaler Bilder ( Teufel, Hölle usw. ). Aber man muß mit diesem Vokabular und diesem Glauben nichts am Hut haben und doch weiß man, was mit diesen Bildern umschrieben werden soll. Sich in die mafiose Abhängigkeit zu begeben – sich begeben müssen – ist ein direkter Weg in ein ‚höllisches Leben‘. Und die Erpressungen als ‚teufliche Methoden‘ zu bezeichnen, ist doch vollkommen zutreffend und angemessen. Don Ciotti, Don Diana und die anderen katholischen Priester sind für mich keine Heiligen, aber vor ihrem Mut habe ich größten Respekt.
Carl Wilhelm Macke