Haushoher Sieg
Eines muss man Grillo lassen: Im Aufbau Potemkinscher Dörfer ist er Meister. Er hatte die Europawahl zum finalen Duell zwischen der „Kaste“ und seiner „Bewegung“ ausgerufen – und seinen Anhängern den Sieg prophezeit. So sicher, dass er im Fall eines (unmöglichen) Misserfolgs auch gleich seinen definitiven Rückzug aus der Politik ankündigte. Beim Realitätsverlust lässt er sich auch von Berlusconi nicht überbieten. Also setzte er zuletzt noch einen drauf: Er werde „haushoch“ gewinnen („stravincere“). Einen Tag nach der Wahl, so seine Phantasie, werde er zum Staatspräsidenten gehen und ihn zum Rücktritt auffordern, nachdem dieser – als letzte Amtshandlung – das Parlament aufgelöst und Neuwahlen ausgeschrieben hätte. Und die neue Zeit der Netzdemokratie kann beginnen. Freitagabend vor der Wahl versammelte er seine omnipotenztrunkenen Anhänger zur Abschlusskundgebung auf dem größten Platz Roms. Nicht nur sie erlagen der Suggestion seiner Versprechungen, auch seine politischen Konkurrenten und Gegner zeigten Nervosität.
Psychologie spielt bei Wahlen eine Rolle – aber es gibt einen Punkt, an dem auch bei ihnen ein Stück unmanipulierbarer Realität zum Vorschein kommt.
Die sah am Montagmorgen so aus:
Renzis PD bekommt 40,8, Grillos Bewegung 21,1, Berlusconis Forza Italia 16,8 % der Stimmen. Dann folgen die Lega mit immerhin noch 6,2, Alfanos Neue Rechte mit 4,4, die linke Liste Tsipras mit 4,0 % (sie schafft es also knapp). Die Wahlbeteiligung lag bei 58,7 % und damit um 7,6 % niedriger als bei der letzten Europawahl (2009). Aber sie ist immer noch die höchste im europäischen Vergleich.
Die innenpolitische Bedeutung
Die vor allem von Grillo zum Duell hochstilisierte Wahl endet mit dem haushohen Sieg Renzis, der fast doppelt so viele Stimmen erhält. Das Duell „Hoffnung“ gegen „Wut“, wie es Renzi taufte, endet zwei zu eins für „Hoffnung“. Gleichzeitig geht die Ära Berlusconi zu Ende, sein Abstieg scheint unaufhaltsam. Dass Renzi nur durch eine Palastrevolution an die Macht kam, wird in Zukunft weniger Gewicht haben, denn dieser Sieg ist (auch dank des Duell-Charakters, den ihm Grillo gab) Renzis Sieg. Seine Legitimation ist gewachsen.
Die Reaktionen seiner Konkurrenten sind kleinlaut. Berlusconi lässt verlauten, dass seine Forza Italia immer noch die stärkste Kraft der Rechten sei, die es nun zu „rekonstruieren“ gelte. Beppe Grillo reagiert mit Durchhalteparolen und schiebt die Schuld an seiner Niederlage den „Rentnern“ zu, die nur an sich denken und „keine Lust zu Veränderungen haben“. Also Euthanasie für die Alten? Auch hier verweigert sich Beppe der Realität. Im Internet finde ich eine Statistik, der zufolge von den 18- bis 24-Jährigen diesmal 35,5 % PD, 24,4 % M5S und 15,2 % Forza Italia wählten. Also auch Euthanasie für die Jungen? Von Grillos persönlichem Rückzug aus der Politik ist keine Rede mehr.
Am Montagmittag hielt Renzi seine Pressekonferenz zur Wahl. Die ersten Analysen besagen, dass er Wähler aus allen Lagern zu sich rüberzog, vor allem aus dem Zentrum und von Grillos M5S. Renzi gibt nicht mehr den flapsigen Sunny boy, sondern überrascht durch eine Mischung von staatsmännischem Anspruch und Bescheidenheit: Ihm sei klar, dass die von ihm erweckten Hoffnungen auch die Verpflichtung bedeuten, von seinem Reformprogramm „keinen Zentimeter“ zurückzuweichen. Das Land habe eine „gigantische Möglichkeit“, aber für ihn und seine Regierung gebe es nun auch „kein Alibi“ mehr. Ein Moment von Weisheit: Wenn er dem Land Hoffnung gab, ist das Bewusstsein wichtig, dass er sie auch schnell wieder verspielen kann. Zumal Renzi keineswegs freie Bahn hat: Die politischen Kräfteverhältnisse in Parlament und Senat sind unverändert. Die Grillo-Truppe übt sich weiterhin in Totalverweigerung. Die Rechte, auf deren Mitarbeit Renzi angewiesen ist, ist gespalten. Dass sie diese Europawahl hoch verlor, könnte die Zusammenarbeit eher erschweren. Obwohl sie nun auch mit der Forderung nach sofortigen Neuwahlen vorsichtiger werden dürfte.Die europäische Bedeutung
Der Sieg Renzis, des erklärten Pro-Europäers, liegt quer zum gesamteuropäischen Trend. Der Aufwind, den die Europa-Skeptiker und Anti-Euro-Populisten derzeit spüren, weht auch in Italien – die Italiener wählten Renzi nicht als Pro-Europäer, sondern als innenpolitischen Hoffnungsträger. Auch Renzi kann die Europaskepsis nicht ignorieren – dafür sind die destruktiven Auswirkungen der von Brüssel (und Merkel) diktierten Austeritätspolitik auf sein Land zu deutlich. Seine Antwort ist souveräner und vor allem konstruktiver, als es die Antworten von der Lega, Grillo oder Berlusconi sind, die alle irgendwie aus dem Euro „raus“ streben: Er will die „Hausaufgaben“, die Europa Italien auferlegt, auch im eigenen Interesse machen, aber gleichzeitig „Europa verändern“, so dass es wieder auf den Wachstumspfad kommt. Ein „dritter Weg zwischen Restauration und Populismen“, wie Renzi sagt. Auf Augenhöhe mit Angela Merkel, die in ihm vielleicht einen stärkeren Widerpart findet als in Martin Schulz. In der sozialistischen Fraktion wird die PD künftig die größte Gruppe stellen, die zweitgrößte nach der CDU/CSU-Gruppe in der EVP. Renzi will die im Juli beginnende EU-Präsidentschaft Italiens zur Veränderung Europas nutzen. Man kann nur hoffen, dass er dafür europäische Bündnispartner findet, denn die wird er brauchen. Auch dies nicht ohne Risiko. Denn er weckt auch in europäischer Hinsicht Hoffnungen, an denen er gemessen wird.
PS: Parallel zu den Europawahlen fanden Wahlen in zwei italienischen Regionen und vielen Kommunen statt. In beiden Regionen und in fast allen Kommunen siegte die PD.