„Padrone sagt weiter arbeiten, los, los“

„Wir ausgebeutet, können Padrone nicht sagen nein, basta, weil er schickt weg. Deswegen einige von uns für etwas Stoff bezahlen, um Schmerz nicht spüren in Armen, Beinen und Rücken. Padrone sagt: weiter arbeiten, weiter arbeiten, los, los. Aber nach 14 Stunden Arbeit auf Feld wie kann weiterarbeiten? Den ganzen Tag auf Knien arbeiten für Zucchini-Ernte, auch Sonntag. Geht nicht, Deswegen nehmen ein bisschen Stoff, das ist Hilfe für bessere Arbeit… Du verstehst? “

Drogen, um arbeiten zu können

Drogen (Opium, Amphetamine) einnehmen zu müssen, um die unerträglichen Arbeitsbedingungen und die körperlichen Schmerzen aushalten zu können. Diese und ähnliche erschütternde Aussagen in gebrochenem Italienisch enthält das Dossier: „Wie Sklaven arbeiten. Ausbeutung indischer Landarbeiter im Agropontino“, das kürzlich von der Organisation „In Migrazione“ der Öffentlichkeit vorgestellt wurde.

Das süditalienische Gebiet in der Provinz Latina, das „Agropontino“ genannt wird, prägt eine intensive Landwirtschaft. Zu Anfang des 20. Jhd.s noch Malaria-Sumpfgebiet, wurde es unter Mussolini saniert und landwirtschaftlich nutzbar gemacht. Salat, Tomaten, Wassermelonen, Zucchini und anderes Gemüse werden dort massenweise angebaut, sowohl im Freiland als auch in einem Meer von Gewächshäusern, deren Plastikdächer überall in der Landschaft in der Sonne glitzern und in denen oft unerträgliche Temperaturen herrschen.

Sikhs im Agropontino

Sikhs im Agropontino

Schon seit Jahrzehnten wird die Arbeit dort von Landarbeitern verrichtet, die nicht aus Italien kommen. Erst waren es die Nordafrikaner, dann kamen die Albaner, inzwischen sind es vorwiegend Pakistaner, Bangladeshi und Inder, die meist der Sikh-Religion angehören. Einige haben keinen legalen Aufenthaltsstatus, für andere haben die „Padroni“ ( auch aus Angst vor Sanktionen) „Papiere“ beschafft. Ausgebeutet werden sie alle.

Organisierte Kriminalität verdient am Sklavengeschäft

„Ein stilles Heer von Männern, die gebeugt und auf Knien, manchmal ohne Pausen, den ganzen Tag auf den Feldern arbeitet. Gemüsepflücken per Hand, Säen und Einpflanzen, 12 Stunden lang unter der Sonne. Sie nennen ihren Arbeitgeber ‚Padrone‘, werden drangsaliert und misshandelt. Vier Euro die Stunde gibt es im besten Fall, manchmal werden sie zu spät oder gar nicht bezahlt, manche werden geschlagen, Arbeitsunfälle werden nicht gemeldet. Und wer aufmuckt, fliegt“ schreibt „In Migrazione“ in dem Dossier.

Der PD-Abgeordnete Khalid Chaouki und Vertreter der Gewerkschaft CGIL und „In Migrazione“ haben jetzt, gemeinsam mit betroffenen indischen Landarbeitern, deren Lage in der Provinz Latina in einer Pressekonferenz und im Rahmen einer Anhörung vor der Antimafia-Kommission öffentlich gemacht. Denn die organisierte Kriminalität, die in dem ganzen Agropontino präsent ist, führt auch hier die Geschäfte: ihre sogenannten „Caporali“ („Unteroffiziere“) sorgen sowohl für die Rekrutierung wie für die Einschüchterung der Landarbeiter – und dabei auch für die Einschüchterung von Unternehmen, die sich nicht an die Ausbeuter-„Regeln“ halten wollen.

Nebenbei verdienen die Mafiosi auch noch an den Drogen, die sie den indischen Arbeitern verkaufen. Ein Drogenkonsum, der die Sikhs mit tiefem Scham erfüllt, denn er ist in ihrer Religion streng verboten. Ein Landarbeiter zu dem Vertreter von „In Migrazione“: „Ich schäme mich zu viel, weil meine Religion sagt nein. Das ist nicht gut für Sikhs, unsere Bibel verbietet das. Aber Padrone sagt immer arbeiten und ich ohne Stoff kann nicht arbeiten 14 Stunden. Ich weiß, das ist nicht richtig. Aber ich brauche das Geld … Padrone sagt arbeiten und ich nehme ein bisschen Stoff, besser gegen Schmerzen und Müdigkeit, weil ich muss arbeiten. Du schon mal 14 Stunden auf Feld gearbeitet?“ Und ein anderer: „Ich kenne Freund, er nimmt Stoff. Er sehr schlecht im Magen und im Kopf, alles dreht sich. Stoff ist schlecht. Erstens weil Gott will nicht, und dann weil tut weh, Freund kotzt immer, Magen tut weh. Er nimmt, weil er arbeitet zu viel. So nicht richtig.“

Wege aus der Ohnmacht

Die große Sikh-Gemeinschaft im Agropontino („offiziell“ ca. 12.000, geschätzt über 30.000) besteht vorwiegend aus alleinstehenden Männern, sie sind von ihren Familien getrennt, haben wenig soziale Kontakte zu der Bevölkerung und unzureichende Italienischkenntnisse. Alles Faktoren, die eine Integration erschweren. Eine Isolierung, die es den Landarbeitern auch erschwert, sich gegen die ausbeuterischen Arbeitsbedingungen zur Wehr zu setzen.

Um so wichtiger ist es, dass die Organisation „In Migrazione“, die Landarbeiter-Gewerkschaft und der Abgeordnete Chaouki jetzt – unter Einbeziehung der Sikh-Community – die unerträglichen Zustände im Agropontino gegenüber einer breiten Öffentlichkeit an den Pranger stellte. Bei der Pressekonferenz kündigten sie auch an, dass am 29. Juni in der Kleinstadt Sabaudia (Provinz Latina) eine Protestdemonstration der indischen Landarbeiter gemeinsam mit – hoffentlich vielen – Einheimischen stattfinden wird.

Das Verhalten Europas gegenüber der globalen Migration hat viele Gesichter. Die Bemühung um Integration ist eines davon, zwei andere aber sind zerstörerisch: das eine zeigt sich an Europas Grenzen – vor Lampedusa, Melilla, Griechenland – als Abschottung, die Zehntausende von Toten in Kauf nimmt. Das andere zeigt sich im Agropontino, bei den chinesischen Textilarbeitern in Prato, den rumänischen Arbeitern in der norddeutschen Fleischindustrie. Hier unterwirft Europa diejenigen, die es trotzdem schaffen, einer unmenschlichen frühkapitalistischen Ausbeutung, von der nicht nur die Unternehmer, sondern auch die europäischen Konsumenten – also wir alle – profitieren. Beides ist zerstörerisch, beides geschieht außerhalb unserer „Sozialsysteme“, auf die wir so stolz sind.