Aufstand afrikanischer Migranten in Castelvolturno
„Wir sind keine Tiere!“, schrien aufgebrachte Migranten vor etwa zwei Wochen hinter den von ihnen errichteten Straßenbarrikaden in der kampanischen Kleinstadt Castelvolturno. „Wir werden allein gelassen!“ riefen Einheimische ein paar Meter weiter, ebenfalls hinter Barrikaden verschanzt. Dazwischen Polizisten und Carabinieri, die versuchten, die verfeindeten Gruppen auseinander zu halten.
Am Abend davor hatte ein Italiener zwei jungen Männern aus der Elfenbeinküste mit einem Gewehr in die Beine geschossen. Dem war ein heftiger Streit vorausgegangen, bei dem der Vater des Täters die beiden des Diebstahls beschuldigt hatte. Danach geriet die Lage außer Kontrolle: die Freunde der Opfer riefen nach Verstärkung, Dutzende von Afrikanern rannten zum Tatort und setzten Autos und das Haus des Täters in Brand. Die ganze Nacht dauerten die Ausschreitungen an: erst durch die Migranten, dann auch durch Einheimische, die sich zur Gegendemonstration formiert hatten.Castelvolturno ist Camorra-Land. Es ist nicht das erste Mal, dass es dort zu Gewaltausbrüchen kommt: 2008 erschossen Camorra-Killer bei einer gezielten Aktion sechs Ghanaer, vermutlich weil diese versucht hatten, in dem von der Camorra beherrschten Drogengeschäft Fuß zu fassen. Auch damals gab es nach dem Massaker gewaltsame Proteste der in Castelvolturno lebenden Afrikaner.
Vom Urlaubsparadies zur giftigen Kloake
2012 wurde die Gemeinde – zum dritten Mal in 20 Jahren – wegen „mafiöser Infiltration“ unter Zwangsverwaltung gestellt. Seit Juni ist Dimitri Russo neuer Bürgermeister, er gehört der PD an und wurde über ein Linksbündnis von PD, SEL und Bürgerlisten gewählt. Er klagt an: Der Staat habe Castelvolturno aufgegeben. In den 70er Jahren sei es noch ein Urlaubsparadies gewesen, erzählt er der Presse, mit sauberem Meer, schmucken Ferienhäusern und wohlhabenden Touristen, die Geld in die Gemeindekassen brachten. In den 80er Jahren habe die Camorra die Herrschaft übernommen und die Kleinstadt immer mehr zugrunde gerichtet: Während die Camorra mit der wilden Entsorgung giftiger Abfälle (oft aus norditalienischen Unternehmen) Geld machte, wurden das Meer und der Fluss Volturno zu Kloaken. Die Touristen blieben weg, die Ferienhäuser verkamen zu Ruinen.
Dann, ab den 90er Jahren, kamen die Migranten, vor allem aus Afrika. Inzwischen sind es – bei einer Einwohnerzahl von 25.000 „Einheimischen“ – ca. 15.000, die meisten ohne legalen Aufenthaltsstatus. Sie sind recht- und schutzlos, viele arbeiten unter menschenunwürdigen Bedingungen schwarz in der Landwirtschaft, manche gleiten ab in die Kriminalität: Sie stehlen oder verdienen ihren Lebensunterhalt mit Drogenhandel. Sie wohnen meist in leerstehenden Häusern, die ihnen von den Eigentümern für 50 Euro pro Schlafplatz vermietet werden, natürlich schwarz. Ohne funktionierende Sanitäranlagen, oft ohne Licht und Heizung.
Von Integration unter solchen Bedingungen zu sprechen, klingt wie Hohn. Umso mehr, da das gesellschaftliche Umfeld, in das sich die afrikanischen Migranten eigentlich integrieren sollten, selbst „desintegriert“ ist. Entwurzelung, Armut, Verrohung und Kriminalität gibt es auch innerhalb der italienischen Bevölkerung. Doch anstatt gemeinsam die Ursachen – Camorra, Ausbeutung, Umweltzerstörung – zu bekämpfen, führen Einheimische und Migranten Krieg gegeneinander.
Opfer, aber auch Täter
„Wir sind hier alle Opfer“, sagt Bürgermeister Russo und sagen auch viele andere. Das stimmt, und es stimmt auch wieder nicht. Zutreffend wäre eher zu sagen: „Wir sind alle Opfer, aber auch Täter“. Die Hauseigentümer, die den Afrikanern Wucherpreise für Ruinen abverlangen; die Afrikaner, die mit Drogen handeln; die Landwirte, die Migranten für 14 Stunden Arbeit einen Sklavenlohn zahlen; die Kommunalverwalter, die mit der Camorra gemeinsame Sache machen: sie alle sind auch Täter.
Es ist richtig, wenn der Bürgermeister nach mehr staatlicher Präsenz in Castelvolturno – mehr Ordnungskräfte, mehr Wirtschaftshilfe, mehr Kontrollen – ruft. Aber das allein wird nicht reichen. Um die Krankheit nicht nur an den Symptomen, sondern an den Wurzeln zu bekämpfen, müssten einerseits die Wirtschaftsmacht der Camorra gebrochen und andererseits die Migranten aus der Illegalität herausgeführt werden. Das wiederum geht nur, wenn die Bevölkerung – Einheimische und Migranten – sich als Mitverantwortliche verstehen.
Wenige Tage nach den Gewaltausbrüchen in Castelvolturno besuchte Papa Francesco die nah gelegene Provinzhauptstadt Caserta. Bei einem Gottesdienst vor der prachtvollen Kulisse des Königspalastes, an dem 200.000 Menschen teilnahmen, mahnte er genau das an: „ Euer schönes Land will geschützt und bewahrt werden, dazu gehört der Mut, zu Illegalität und jede Art von Korruption Nein zu sagen“. Und setzte hinzu: „Das Evangelium lehrt uns, Flüchtlinge aufzunehmen und willkommen zu heißen“.
Am Gottesdienst nahm auch eine Delegation afrikanischer Migranten aus Castelvolturno teil. Sie hielt ein Plakat hoch mit der Inschrift: „Gemeinsam gegen Camorra und Rassismus“. Ein kleines, aber ermutigendes Zeichen.