„Ich will volle politische Handlungsfähigkeit“
Nach dem unerwarteten zweitinstanzlichen Freispruch im sog. Ruby-Prozess (wir berichteten) ist Berlusconi nicht mehr zu bremsen. Er, der wegen Korruption und Steuerhinterziehung rechtskräftig verurteilt wurde, verlangt nun auch gleich die „volle politische Handlungsfähigkeit“ zurück. Die Hoffnung, von Staatspräsident Napolitano begnadigt zu werden, scheint er inzwischen begraben zu haben. Also sucht er nach anderen Wegen: zum Beispiel eine Änderung des sog. Severino-Gesetzes, das vorsieht, dass Straftäter, die rechtskräftig zu einer Haftstrafe von mehr als zwei Jahren verurteilt wurden, nicht für das Parlament kandidieren dürfen bzw. ihr parlamentarisches Mandat verlieren (worunter auch Berlusconi fällt). Angeblich hat er bei Renzi schon entsprechend vorgefühlt – als Gegenleistung für sein Ja zu dessen Reformvorhaben. Außerdem zeigen sich seine Anwälte zuversichtlich, dass der Straßburger Gerichtshof für Menschenrechte, bei dem er gegen die Verurteilung im Fall Mediaset Einspruch einlegte, zu seinen Gunsten entscheiden werde. Glaubt er es wirklich? Andererseits hatte er, wie er jetzt sagt, auch im Traum keinen Freispruch im Ruby-Prozess erwartet – und wurde dann freudig überrascht.
Wieder oben auf
Also ist Berlusconi bester Laune. Vergnügt erzählt er lustige Anekdoten über seinen „Sozialdienst“ im Seniorenheim, den er anstelle seiner vierjährigen Haftstrafe verrichtet. Die „Vecchiette“ dort seien „ganz verrückt“ nach ihm. Wahrscheinlich wegen der delikaten Witze, die er so unnachahmlich vorzutragen weiß … Über die anderen gegen ihn laufenden Strafverfahren scheint er sich wenig Gedanken zu machen, was einen ins Grübeln bringen könnte. Denn gleichzeitig fährt er einen auffälligen Harmoniekurs gegenüber Ministerpräsident Renzi: Er werde sein Wort halten und die vereinbarten Reformen unterstützen, interne Kritiker ruft er barsch zur Ordnung.
Bei den noch anhängigen Verfahren geht es nicht gerade um Kavaliersdelikte: Abgeordnetenkauf, Bestechung von Zeugen im Ruby-Prozess, Zahlung von Schweigegeld an den windigen Unternehmer Tarantino, der ihm Prostituierte für seine „eleganten Abendessen“ beschaffte. Am schwerwiegendsten ist zweifellos der Vorwurf, im Jahre 2008 Abgeordnete erfolgreich dazu bestochen zu haben, die Fronten zu wechseln, um die damalige Prodi-Regierung zu Fall bringen. Der ehemalige Senator De Gregorio gestand gegenüber der Staatsanwaltschaft von Neapel, dafür 3 Millionen € kassiert zu haben, die ihm Berlusconis Faktotum Lavitola in mehreren „Raten“ à 200.000 – 300.000 auszahlte.
Vor einigen Tagen wurde dazu auch der ehemalige Ministerpräsident Romano Prodi als Zeuge gehört. Er sagte aus, es habe damals immer wieder Gerüchte gegeben, Abgeordnete aus dem Regierungslager seien von Berlusconis Partei kontaktiert worden, damit sie – gegen entsprechende „Entlohnung“ – ihn bei der Vertrauensabstimmung als Regierungschef stürzten. Aber seine Informationen seien nicht konkret genug gewesen, um zu handeln. „Andernfalls wäre ich heute noch Ministerpräsident“, erklärte er nicht ohne Verbitterung. Erst durch den Brief des geständigen De Gregorio, in dem ihn dieser um Verzeihung bat, habe er persönliche Gewissheit erlangt.
„Die Merkel kriegt es wieder mit mir zu tun“
Schwerwiegende Anklagepunkte, die „normalerweise“ mehr als ausreichend wären, um sich von der politischen Bühne zurückzuziehen. Er aber ruft lautstark nach „politischer Rehabilitation“. Natürlich auch auf internationalem Parkett. Ab März (da läuft sein Sozialdienst mit den lustigen „Vecchiette“ ab und er bekommt seinen Reisepass zurück) werde er wieder zu den Treffen der Europäischen Volkspartei fahren und dort ein gewichtiges Wort mitreden. „Angela Merkel wird es wieder mit mir zu tun bekommen“, schwadroniert er.Dass die Bundeskanzlerin deswegen schon vor Angst zittert, ist nicht anzunehmen. Doch Fakt ist: Die EVP schafft es nicht, sich von Berlusconi und seiner Partei zu trennen. Von allen Ankündigungen deutscher EVP-Vertreter während des Europa-Wahlkampfes, man werde das Thema „bestimmt“ nach den Wahlen („Jetzt geht es ja nicht, die EVP muss ja stärkste Fraktion werden!“) aufs Tapet bringen, ist natürlich nichts mehr zu hören. Forza Italia ist im Parlament weiterhin Teil der EVP-Fraktion, Seite an Seite mit der CDU/CSU. Also wird der FI-Vorsitzende Berlusconi bald wieder neben Angela Merkel, der Vorsitzenden der CDU/CSU, am EVP-Tisch sitzen. Politisch rehabilitiert. Und kaum einer regt sich darüber auf. Berlusconis gute Laune ist begründet: tutto a posto!