„Die hat es immer noch nicht kapiert“
„Die hat es immer noch nicht kapiert“. Wem so unverblümt Begriffsstutzigkeit attestiert wird, ist keine geringere als unsere überaus schlaue Bundeskanzlerin. Und derjenige, der so harsch über sie urteilt, ist kein geringerer als der renommierte Wirtschaftsexperte Edmund Phelps von der New Yorker Columbia University.
Am vergangenen Mittwoch versammelten sich die Wirtschafts-Nobelpreisträger aus aller Welt zu ihrem Jahrestreffen in Lindau. Und gingen dort mit dem wirtschaftlichen und finanzpolitischen Kurs der Bundeskanzlerin, die die Eröffnungsrede hielt, hart ins Gericht. „Sechs, setzen!“ lautete ihre übereinstimmende Bewertung. „Merkel verfolgt in Europa eine völlig falsche Politik. Der von ihr verordnete Sparkurs schickt die Euro-Zone in die Depression“, erklärte der in Harvard lehrende Eric Maskin. Und Lars-Peter Hansen von der University of Chicago (kein „linker Ökonom“, sondern Vertreter der neoliberalen Fraktion) sekundierte: „Einem Land, das bereits am Boden liegt, mit weiteren Strafmaßnahmen zu drohen, halte ich für keine so gute Idee“Wirtschaftsexperten zu Merkel: „Sechs, setzen!“
Über die Kritik der Wirtschaftsexperten an Merkels finanzpolitischem Kurs in der EU berichtet die Zeitung „Die Welt“, die nicht gerade im Geruch steht, Merkel- oder CDU-feindlich zu sein. Bemerkenswert sei vor allem, heißt es dort, dass die Kritik der Nobelpreisträger quer durch alle Schul- und Denkrichtungen ging: Nicht nur „die üblichen Verdächtigen, also keynesianisch geprägte Ökonomen, warnten vor den verheerenden Folgen der Sparpolitik. Auch Makroökonomen konservativer Universitäten stimmten ein ins Merkel-Bashing … Über wenige Dinge herrschte beim Nobelpreisträgertreffen so viel Einigkeit wie über Merkels Auftritt… Mit kollektiver Ablehnung hat die Elite der internationalen Wirtschaftsforschung die Vorschläge der Bundeskanzlerin zur Lösung der Euro-Krise quittiert“.
Nun muss man nicht unbedingt vor Wirtschafts-Nobelpreisträgern in die Knie gehen und alles, was die von sich geben, für unfehlbar halten. Dass aber ein solch übereinstimmend negatives Urteil international anerkannter Ökonomen beim Adressaten zumindest eine gewisse Nachdenklichkeit auslöst, könnte man schon erwarten. Nicht so bei unserer Bundeskanzlerin. Von nachdenklichen Tönen weit entfernt, verteidigte sie ihren starren Austerity-Kurs in der Euro-Krise und kritisierte ihrerseits die Wirtschaftsexperten: Sie lägen mit ihren Prognosen „schwer neben der Realität“ und seien „in der Beratung der Politik“ nicht ehrlich. Was vielleicht für ihre Hofökonomen gelten mag, aber sicher nicht für die Experten in Lindau, denn diese redeten ihr gerade nicht nach dem Mund, sondern vertraten eigene Ansichten. Was ihr aber auch nicht recht war.
Warnung vor europaweiter Rezession
Eine sture Haltung, die der US-Nobelpreisträger Joseph Stiglitz von der Columbia-University auf der Tagung als „kolossalen Fehler“ und angesichts des wachsenden Rezessionsrisikos in der Euro-Zone gar als gefährlich bezeichnete. Er warnte vor einer lang andauernden Depression im gesamten Euro-Raum, die jene zu Beginn der 90er Jahre in Japan „in den Schatten stellen“ könnte.
Tatsächlich mehren sich die Signale für eine Ausweitung der wirtschaftliche Stagnation, die nicht allein Krisenländer wie Italien und Frankreich bedroht. Auch der „deutsche Motor“ beginnt zu stottern. Das hat mit der Verschärfung kriegerischer Auseinandersetzungen in den Krisenregionen der Welt zu tun, ist aber in der Euro-Zone nach Ansicht der Ökonomen auch „systemisch“ bedingt. Es sei falsch, meint Stiglitz, das Problem im Fehlverhalten einzelner Länder zu sehen. Das System selbst sei zu starr und wirke „wie ein Korsett“ auf Länder, die versuchen, aus der Rezession rauszukommen und die Wirtschaft wieder anzukurbeln.
Stieglitz sieht die Lösung nicht in einer Beseitigung der Euro-Zone, sondern im Gegenteil in einer stärkeren Integration und Solidarität auf europäischer Ebene. Bankenunion, Fiskalunion und Euro-Bonds dürften nicht länger Tabu sein. Die starre Euro-Politik der deutschen Regierung trage dazu bei, dass „Billionen an Wohlstand vernichtet werden“. Was er allerdings nicht thematisiert, ist die politische Dimension des Problems. Denn wirtschaftliche und fiskalische Integration können ohne eine gemeinsame politische Steuerung, die wiederum demokratisch legitimiert sein müsste, nicht greifen. Und davon sind wir meilenweit entfernt.
Konjunktur schwächelt auch in Deutschland
Angesichts der Abschwächung der Konjunktur in Deutschland hält auch der Leiter der Europa-Abteilung der London School of Economics, Paul de Grauwe, die Position der Bundesregierung für „unerklärlich und ein bisschen surreal“. In einem Interview mit der Tageszeitung „La Repubblica“ meinte er, dass Deutschland im eigenen Interesse gut beraten sei, jetzt öffentliche Investitionen anzukurbeln und den Unternehmen steuerliche Anreize zu bieten, um zu einer Steigerung der Löhne und Stärkung der Binnennachfrage zu kommen. Allerdings bezweifelt er, dass die deutsche Regierung ihre Haltung ändert. Und Länder wie Italien oder Frankreich, die politisch und wirtschaftlich krisengeschüttelt sind, hätten nicht die Kraft, eine Kursänderung auf europäischer Ebene zu bewirken.
In der Tat: dass es Matteo Renzi, der zwar ambitioniert ans Werk geht, aber bisher wenige Resultate vorweisen kann, und erst recht dem angeschlagenen Hollande gelingen könnte, was die versammelten Wirtschafts-Nobelpreisträger nicht schafften – die Bundeskanzlerin umzustimmen oder zumindest zum Nachdenken zu bewegen – , ist unwahrscheinlich. Das Einzige, was eine Kursänderung bewirken könnte, wäre eine Entwicklung, von der man eigentlich hoffen muss, dass sie nicht eintritt: eine ernsthafte wirtschaftliche Stagnation auch in Deutschland.