Römische Attacke

Der Mann ist für Überraschungen gut. Nur Schaum schlagen und Sprüche klopfen könne er, meinten bisher viele. Wenn der Spuk mit den institutionellen Reformen erst einmal vorbei sei und er harte Bretter bohren müsse, z. B. beim Haushaltsplan für 2015, komme auch seine „Stunde der Wahrheit“. Eingeklemmt zwischen miserabler Finanzlage, Rezession, steigender Arbeitslosigkeit, immer größerer Kapitalflucht und den Brüsseler Austeritätsvorgaben werde er bestenfalls ein Notprogramm vorlegen können, das die Krise nur fortschleppt. Und schnell dastehen wie der Kaiser ohne Kleider.

Auch als Renzi am 13. Oktober tatsächlich seinen Haushaltsplan aus der Tasche zog, vor einer Industriellen-Versammlung in Bergamo, verzichtete er nicht auf seine Sprüche, denn er kündigte nun dem Land seine „große, große, große Neuerung“ an. Aber die Verpackung hat einen Kern, der auch kritische Volkswirtschaftler beeindruckt.

Die Grundzüge des Plans

Die rezessive Spirale Italiens soll von zwei Seiten her durchbrochen werden.

Renzi mit seinem Finanzminister

Renzi mit seinem Finanzminister

Einerseits soll der Konsum angekurbelt werden. So soll die steuerliche Entlastung um monatlich 80 €, die 10 Mio. Italienern zugute kommt, 2015 fortgesetzt werden. Dass dies bisher kaum zur konjunkturellen Belebung beitrug, wird mit dem fehlenden Vertrauen in die Dauerhaftigkeit der Maßnahme erklärt, weshalb die Menschen das Geld lieber im Sparstrumpf ließen. Für den gleichen Zweck soll noch eine zweite Ressource erschlossen werden, die den Staat schlauerweise nichts kostet. Bisher galt die Regel, dass die Unternehmen einen Teil des Lohns zurückbehielten und ihren Beschäftigten das so Angesparte erst dann auszahlten, wenn das Arbeitsverhältnis endet. Jetzt sollen die Beschäftigten die gesetzliche Möglichkeit erhalten, sich auch diesen Lohnbestandteil sofort auszahlen zu lassen. Die Anreize, mit denen die Beschäftigten „überredet“ werden, diese Möglichkeit zu nutzen, sind handfest: Die Steuern auf die Pensionsfonds, in denen ihr Geld bisher angelegt wurde, sollen künftig höher sein als die Steuern für den Lohnzuwachs.

Andererseits reduzieren sich für die Unternehmen die Arbeitskosten: erstens durch den Wegfall einer Steuer, welche sie bisher für jeden Beschäftigten zu zahlen hatten (ca. 700 € pro Jahr); zweitens durch den dreijährigen Erlass aller Sozialabgaben für jede unbefristete Neueinstellung (was die Arbeitskosten um ein Drittel senkt).

Nun müssen die Pferde auch saufen

Den Kern des Haushaltsplans für 2015 bilden also Maßnahmen zur Ankurbelung des Konsums (Erhöhung der verfügbaren Einkommen) und zur Senkung der unternehmerischen Arbeitskosten. Beides zusammen kostet 16 -17 Milliarden und soll Italien wieder auf den Wachstumspfad bringen. Noch mehr roten Teppich kann eine Regierung den Unternehmern nicht ausrollen. „Nun haben sie kein Alibi mehr“ (Renzi). Die Unsicherheit bleibt allerdings, ob nun „die Pferde auch saufen“ – die Beschäftigten müssen tatsächlich mehr konsumieren, die Unternehmer tatsächlich mehr einstellen und investieren. Das werden sie nur tun, wenn es wieder Vertrauen in die Zukunft und auf zukünftiges Wachstum gibt, sagen die Ökonomen. Ob Renzi das schafft? In diesem Punkt war er schon einmal allzu optimistisch.

Kritisch ist auch die Finanzierung. Sie soll auf zwei Wegen geschehen: Zum einen über die schon bekannten Budgetkürzungen für Ministerien, Regionen und Gemeinden (ohne die Qualität ihrer Dienstleistungen weiter zu verschlechtern, was Renzi für möglich erklärt, aber die Betroffenen vehement bezweifeln), eine „Spending review“, zu denen es auch schon vor Renzi vergebliche Anläufe gab, und die etwas windige Hoffnung auf Erfolge im Kampf gegen die Steuerhinterziehung. Zum anderen, und das ist der Knackpunkt für Europa, soll es eine zusätzliche Schuldenaufnahme geben, welche das Haushaltsdefizit von den einst geplanten 2,2 auf 2,9 % anhebt und 11 Milliarden bringt. Das Defizit bleibt damit unter der 3 %-Grenze, aber die Marge soll nun bis zum Anschlag genutzt werden. Unvorhergesehenes – z. B. höhere Einnahme-Ausfälle als eingeplant – darf dann nicht passieren. Gegen andere EU-Vorgaben wird direkter verstoßen: Die Vorlage eines ausgeglichenen Haushalts wird auf 2017 verschoben, und die Verringerung des „strukturellen Defizits“, die eigentlich laut EU 0,5 % betragen sollte, sinkt in diesem Entwurf auf kümmerliche 0,1 %.

Attacke gegen Brüssel

Dies muss Brüssel auf den Plan rufen, aber Renzi hat vorgesorgt. Schon bei seiner ganzen bisherigen Politik hatte er stets die „europäische Glaubwürdigkeit“ im Auge. Dies scheint sich nun auszuzahlen, Barroso soll den Entwurf eines ersten scharfen Mahnbriefes, der den italienischen Haushaltsplan in Frage gestellt hätte, auf Merkels Intervention abgemildert zu haben. Zwei Umstände kommen Renzi zu Hilfe: Er kann im Windschatten des viel größeren Defizits agieren, auf das Frankreich zusteuert, und in Brüssel steht ein Machtwechsel an, der auch mit einem gewissen Kurswechsel (mehr Wachstumsförderung) einhergehen könnte. Renzi muss, so scheint es, nur auf Zeit spielen. Kurzfristig könnte der Streitpunkt „Abbau des strukturellen Defizits“ mit einem Kompromiss beigelegt werden: Die Marke soll jetzt bei 0,3 % liegen, was Renzis Haushaltspläne nur geringfügig behindern würde.

In einem Punkt hat die Regierung Renzi schon jetzt gegen Brüsseler Spielregeln verstoßen: Sie hat den Mahnbrief Barrosos sofort veröffentlicht. Dieser war empört, bisher wurden derartige Briefwechsel geheim abgewickelt, ganz in der Tradition der Intransparenz, die ein Baustein Brüsseler Macht ist. „Die Zeit der Geheimbriefe ist vorbei“, erklärte nun Renzi. Etwas frischer Wind ist mit ihm auch auf europäischer Ebene spürbar.

Am 25. Oktober demonstrierte in Rom eine unübersehbare Menschenmasse – die Veranstalter sprechen von einer Million – gegen Renzis „Jobs Act“, insbesondere gegen die Abschaffung des Art. 18. Die CGIL hatte aufgerufen. In Brüssel wird es Renzis Ansehen erhöhen, denn es zeigt die Schmerzen, die seine Reformen hervorrufen. Aber in Italien werden die Gräben tiefer.

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