Napolitano kann (und will) nicht mehr
Es ist mehr als nur ein Gerücht. Nach Medienberichten über einen baldigen Rücktritt des Staatspräsidenten gab jetzt das Präsidentenamt folgende Erklärung ab: „Die Zeitungen haben Hypothesen und Voraussagen über einen eventuellen Rücktritt des Staatspräsidenten breiten Raum gewidmet. Tatsächlich sind die diese Frage betreffenden Umstände seit langem bekannt. Der Staatspräsident hatte bei Verkündung seiner Bereitschaft …zu einer zweiten Amtszeit auch die Grenzen und Bedingungen genannt, unter denen er das neue Mandat annimmt … Das Präsidentenamt sieht daher keine Veranlassung, die Behandlung dieses Themas in den Medien zu bestätigen oder zu dementieren. Es bleibt ausschließlich dem Staatsoberhaupt überlassen, eine Bilanz der ungewöhnlichen Verlängerung seiner Amtszeit vorzunehmen und die damit zusammenhängenden Entscheidungen zu treffen, die er für angemessen hält“.
In einer weniger verdrehten Sprache heißt das: „Kinder, ihr habt doch schon längst gewusst, dass ich vorzeitig gehen werde. Nun ist es bald soweit“.
Doch obwohl man in der Tat wusste, dass der 89jährige Napolitano seine zweite – siebenjährige! – Amtszeit auf keinen Fall bis zum Ende bringen wollte, hatte kaum jemand damit gerechnet, dass er sich so bald verabschiedet. Denn eigentlich hatte er angekündigt, so lange in Amt zu bleiben, bis wesentliche Reformen – u.a. ein neues, verfassungskonformes Wahlgesetz – verabschiedet sind. Wovon man noch ziemlich weit entfernt ist. Doch zwei Gründe scheinen ihn zum Umdenken bewegt zu haben: einerseits zunehmende gesundheitliche Probleme, die den greisen Präsidenten bei der strapaziösen Ausübung seines Amtes belasten, und andererseits der unbedingte Wille, im Fall vorzeitiger Neuwahlen, die er in der immer noch unstabilen Situation Italiens für fatal hält, nicht derjenige sein zu müssen, der dafür den Weg frei macht.
Mit anderen Worten: der Staatspräsident kann nicht mehr – aber er will auch nicht mehr. Er hat, schlicht gesagt, die Faxen dicke. Sowohl von den Streitereien zwischen den und innerhalb der Parteien und von den langwierigen Parlamentsdebatten, als auch von den unqualifizierten (und das ist noch höflich ausgedrückt) Attacken gegen seine Person, die in erster Linie von Grillo und seiner Truppe inszeniert werden.Politische Landschaft in Aufruhr
Das genaue Datum von Napolitanos Abgang ist noch nicht bekannt. Er wird mit Sicherheit das Ende der italienischen EU-Präsidentschaft abwarten wollen. Viele Kommentatoren erwarten, dass er seinen Rücktritt am Jahresende – im Zusammenhang mit der traditionellen Neujahrsansprache – ankündigen wird, um dann im Januar oder Februar das Amt aufzugeben.
Die Aussicht auf einen baldigen Rücktritt Napolitanos bringt zusätzliche Unruhe in die ohnehin labile politische Landschaft. Ministerpräsident Renzi muss befürchten, dass ihm und seiner Regierung damit eine wesentliche Stütze abhanden kommt. Berlusconi wird erneut vor allem auf seine persönliche Interessen schielen und versuchen, eine Person ins höchste Staatsamt zu hieven, die ihm endlich die seit Jahren erhoffte Begnadigung verschafft. Sein Druckmittel ist Renzis Hoffnung, mit ihm die so genannten Strukturreformen zu realisieren. Nach dem Motto: Wenn unsere Vereinbarung halten soll, musst Du mir beim Staatspräsidenten entgegenkommen.
Die bereits zerstrittene PD könnte versucht sein, die Präsidentenwahl einmal mehr zum Austragen interner Fehden zu missbrauchen – wie bereits im April 2013, als der eigene Kandidat Prodi in geheimer Abstimmung von ca. 100 PD-“Heckenschützen“ zu Fall gebracht wurde. Grillo tönt, Napolitano wolle mit der Ankündigung seines Rücktritts „das Parlament erpressen“ (erst beschimpfte er Napolitano, weil dieser sich ein zweites Mal wählen ließ, und forderte ihn mehrmals zum Rücktritt auf, jetzt beschimpft er ihn, weil er zurücktreten will …).
Spekulationen über Nachfolger
Über die möglichen Kandidaten für Napolitanos Nachfolge wird bereits heftig spekuliert. Unter den Namen, die am häufigsten fallen, ist wieder der frühere Regierungschef und ehemalige EU-Kommissionspräsident Romano Prodi. Mich würde allerdings wundern, wenn gerade dieser nach dem Debakel bei seiner letzten Kandidatur noch einmal bereit wäre anzutreten. Genannt werden auch Giuliano Amato, ebenfalls Ministerpräsident a.D., und Walter Veltroni, früherer PD-Generalsekretär, der jetzt zum Renzi-Flügel gehört.
Auch Frauen sind im Gespräch: Verteidigungsministerin Pinotti sowie die Vorsitzende des Verfassungsausschusses im Senat Anna Finocchiaro (PD) und die politische Außenseiterin Marta Cartabia, Mitglied des Verfassungsgerichts. Alle drei aus meiner Sicht eher chancenlos (aber da lasse ich mich gerne überraschen). Weitere Namen sind die des Bürgermeisters von Turin, Piero Fassino (PD) und des Präsidenten der Region Piemont, Sergio Chiamparino, ebenfalls PD und Renzi-Anhänger.
Bei den ganzen Namensspielereien sollte man allerdings die Faustregel berücksichtigen, die auch für den Konklave gilt (bei der letzten Papstwahl bestätigt): „Wer als Papst (d.h. als Favorit, MH) in den Konklave reingeht, geht als Kardinal wieder raus“.
Vor allem für Renzi gibt es bei der Neuwahl des Staatspräsidenten Fallstricke: Da die PD-Stimmen dazu allein nicht ausreichen, ist er auf Bündnispartner angewiesen: Soll er sich mit Berlusconi auf einen gemeinsamen Kandidaten einigen? Dann kann er Prodi und profilierte PD-Vertreter vergessen und muss „Kompromisskandidaten“ suchen (Casini?). Soll er es mit den Grillini versuchen? Auch dann fallen alle Kandidaten mit „PD-Stallgeruch“ raus. Und auch innerhalb der eigenen Partei muss er bei einem von ihm auserkorenen Kandidaten befürchten, dass der ohnehin frustrierte „linke“ PD-Flügel in der Wahlkabine dagegen schießt.
Und eigentlich wollte sich Renzi ja jetzt ganz auf die versprochenen Reformen konzentrieren …