„Wir werden euch alle verbrennen!“
Flaschen, Steine und Knallkörper gegen die Fenster, angezündete Müllcontainer, um die Polizei am Heranrücken zu verhindern, Vermummte mit Schlagstöcken und hysterisch kreischende Frauen. Nach Anbruch der Dunkelheit attackierten einige Tage lang Bewohner des Stadtteils Tor Sapienza (Peripherie von Rom) eine Flüchtlingsunterkunft und lieferten sich Straßenschlachten mit der Polizei. Fast alle minderjährigen Flüchtlinge mussten evakuiert und in andere Einrichtungen gebracht werden.
„Wir sind keine Rassisten!“ schreit ein Bewohner die Journalisten an. „Aber wir haben die Schnauze voll, hier kann man nicht mehr leben, unsere Frauen laufen abends mit Messern in der Tasche herum, aus Angst, vergewaltigt zu werden“. Und ein anderer: „Gegen die Neger habe ich nichts, die benehmen sich. Aber die Scheißaraber sind zum Kotzen, sie provozieren uns und pinkeln aus dem Fenster!“. Geschimpft wird auch über Albaner und Rumänen, die im Stadtteil in zwei heruntergekommenen Zeltlagern und in leerstehenden Geschäften und Fabrikhallen leben. „Sie müssen alle verschwinden!“Tor Sapienza ist ein „Problemstadtteil“, in dem Armut, Gewalt und Kriminalität an der Tagesordnung sind. Vom Zentrum der Stadt isoliert, von Politik und Verwaltung weitgehend allein gelassen, ohne ausreichende Versorgung mit den elementarsten Dienstleistungen.
Die angegriffene Flüchtlingsunterkunft in der Via Morandi – mit dem idyllischen Namen „Un sorriso“ (Ein Lächeln) – ist nicht die einzige in diesem Stadtteil. Einige Straßen weiter, in der Via Staderini, sind ca. 400 Flüchtlinge untergebracht, vorwiegend aus Schwarzafrika. Etwas weiter entfernt gibt es zwei weitere Unterkünfte.
Das eigene Elend rechtfertigt keine rassistische Gewalt
Einige sagen, wenn man zu schon vorhandenem Elend weiteres Elend hinzu addiert, sind Ausbrüche wie in Tor Sapienza unvermeidlich. Oder gar natürlich? So einfach ist es nicht. Bei den Angreifern lädt sich nicht allein Verzweiflung und Wut gegen die eigene Perspektivlosigkeit aus, sondern auch Fremdenhass, Rassismus und Menschenverachtung. Mi einem Haufen Vorurteile und Lügen, von der Art „Wir haben nichts, und die kriegen vom Staat täglich 40 Euro in den Arsch geschoben!“. In Wahrheit bekommen die Flüchtlinge 40 Euro Taschengeld im Monat, aber was macht das schon? Sicher, die Flüchtlinge sind auch keine besseren Menschen. Auch bei einigen von ihnen gibt es Gewalt und Kriminalität. Wie unter den italienischen Einwohnern. So ist der Drogenhandel vor allem in italienischen Händen. Man vermutet sogar, viele der Einheimischen seien wütend, weil die verstärkte Präsenz der Polizei im Stadtteil ihre illegalen Geschäfte stört. Es waren Einheimische, die Flüchtlinge auf der Straße grundlos blutig verprügelten. Es sind Einheimische, die drohen „Wir werden euch alle verbrennen!“. Und bei den nächtlichen Attacken gegen das Flüchtlingsheim „Viva il Duce!“ und „Scheißmoslems!“ rufen.
Das eigene Elend rechtfertigt keine rassistische Gewalt. Genauso wenig, wie es Gewalt vonseiten der Flüchtlinge rechtfertigt. Wahr ist allerdings auch, dass die Verteilung der Flüchtlinge auf die Stadtteile – in Rom wie in anderen Großstädten – alles andere als ausgeglichen ist. Gerade Stadtteile, die immer stärker ins soziale Elend abgleiten, sind oft besonders betroffen. In der Debatte über die Vorfälle in Tor Sapienza – wie auch in ähnlichen Wohnvierteln anderer Städte – wird daher auch zu Recht die Forderung erhoben, „gutbürgerliche“ Stadtteile bei der Unterbringung der Flüchtlinge stärker zu berücksichtigen.
Der Soziologe Giuseppe De Rita drückt es mit Bezug auf Rom so aus: Es reicht nicht aus, sich vorwiegend um schöne Fußgängerzonen in der schicken Via del Babbuino und am Forum Romanum zu kümmern. „Sicher, den römischen Intellektuellen gefällt so was sehr, aber Rom ist nicht nur ‚La grande bellezza’“, erklärt De Rita, den Titel des bekannten Sorrentino-Films paraphrasierend. Die Politik habe sich immer mehr aus den städtischen Randgebieten zurückgezogen. Dabei seien gerade dort kontinuierliche kommunal- und integrationspolitische Anstrengungen – mit entsprechenden Ressourcen – notwendig.
„Warum bin ich schuld?“
Für Tor Sapienza käme das vermutlich zu spät. Die wenigen Bürger, die sich von den rassistischen Gewaltausbrüchen distanzieren, äußern sich nur leise und vorsichtig. Die vorherrschende Stimmung ist unerbittlich und hasserfüllt. Der Versuch minderjähriger Flüchtlinge, wieder in die Unterkunft „Un sorriso“ zurückzukehren („Das ist unser Zuhause, die Sozialarbeiter dort sind jetzt unsere Eltern“) scheiterte, sie wurden von der Polizei umgehend in Bussen wieder abtransportiert – und den drohenden Schlägen der Stadtbewohner entzogen. Bürgermeister Marino hat den ihn beschimpfenden Bürgern versprochen, die ca. 30 erwachsenen Flüchtlinge, die noch in dem Heim wohnen, ebenfalls zu entfernen: „Hier sollen künftig keine Flüchtlinge mehr untergebracht werden, sondern nur bedürftige Frauen mit Kindern“.
Eine Entscheidung, die nicht das Ergebnis einer langfristigen Sozialplanung ist, sondern mit nackter Gewalt erpresst wurde. Und die Flüchtlinge nicht nur zusätzlich ausgrenzt und isoliert, als wären sie gefährliche Kriminelle oder Aussätzige, sondern auch an anderen Orten zur Nachahmung stimulieren könnte.
„Was haben wir falsch gemacht, um soviel Hass zu erzeugen?“ fragt ein Äthiopier, der vor Antritt seiner Flucht über das Meer ein Jahr lang in Libyen in einem Lager gefangen gehalten wurde. „Wir haben nie Randale gemacht, besuchen die Italienischkurse, im Bus biete ich den älteren Leuten meinen Platz an und helfe ihnen über die Straße… Und dann sehe ich aus dem Fenster, wie man gegen unser Haus Steine wirft und es anzuzünden versucht. Das ist doch Wahnsinn …“.
Und ein junger Mann aus Gambia: „Ich bin müde, so müde … Ich verstehe nicht: Es gibt in Italien politische Probleme, aber warum sind ich und meine Freunde ein politisches Problem? Ihr sagt, Ihr habt keine Arbeit. Das ist furchtbar, aber wieso soll ich daran Schuld haben?“ Die Frage bleibt unbeantwortet.