Mehr als eine Abdrift nach rechts
Was derzeit Grillo und Casaleggio an verschiedenen Fronten betreiben, ist mehr als „nur“ ein Abdriften nach Rechts. Es ist eine so radikale Hinwendung zu Autoritarismus, zu xenofoben Parolen und – auf europäischer Ebene – zum Paktieren mit rechtsextremen Kräften, dass man doch überrascht ist.
Dass die Führung des Movimento-5-Stelle (M5S) mit Kritikern innerhalb der Bewegung nicht zimperlich umgeht, ist bekannt. Mit etlichen Senatoren, Abgeordneten und Aktivisten wurde kurzer Prozess gemacht, weil sie es wagten, eigenständige Positionen zu vertreten und Kritik gegenüber den Leadern zu äußern. Meist wurden die Rausschmisse durch rasch inszenierte Online-Befragungen – mit nicht gerade transparentem Verfahren – unter den „zertifizierten“ Anhängern abgesegnet.
Säuberungen von oben dekretiert
„Giorgio Filosto, Orazio Ciccozzi, Pierfrancesco Rosselli, Daniele Lombardi haben ihre Rolle als Mitglieder des Ordnungsdienstes genutzt, um die Bühne von ‚Italia5Stelle‘ zu besetzen. Aus Respekt gegenüber den mehr als 600 Ehrenamtlichen, die ihre Zeit und Arbeit in den Erfolg der Veranstaltung investierten, und den Hunderttausenden anwesender M5S-Aktivisten gehören die Obengenannten nicht mehr der 5-Sterne-Bewegung an“.
Zack. So einfach geht das. Online-Befragung als Zeitverschwendung gespart. Andere Diskussionsmöglichkeiten gibt es sowieso nicht. Einspruch zwecklos. Eigentlich fragt man sich: Was soll das? Was haben die vier Typen (man schaue sich das Video an: wenige Minute mit einem Spruchband auf der Bühne, zwei oder drei Sätze und weg sind sie) für ein Verbrechen begangen, dass sie postwendend „par Ordre du Mufti“ ausgeschlossen werden? Welche paranoide Angst steckt dahinter?
Gegen den Rausschmiss wird im Netz – wie bei ähnlichen Fällen in der Vergangenheit – wieder einmal Kritik laut. Aber auch Zustimmung. Einflussmöglichkeiten haben weder die einen noch die anderen. Sie können sich in Kommentaren austoben, schimpfen, loben, drohen. Kritiker können natürlich die M5S verlassen, von innen her ändern können sie nichts.
„Illegale zurückschicken, wo sie herkommen“
Gleichzeitig verschärft Grillo die Töne in der Flüchtlingsfrage. „Wer mit Booten nach Italien kommt, muss sofort identifiziert werden, Flüchtlinge sind aufzunehmen, die anderen, die so genannten ‚Clandestini‘ (Illegale, MH) müssen dahin zurückgeschickt werden, wo sie herkommen“. Und verbindet dies mit einer Diagnose, in der er auch gleich das Ebola-Gespenst beschwört: „Ebola ist dabei, nach Europa einzudringen, Italien ist dabei, der Wartesaal der Verzweifelten dieser Welt zu werden“. Also Schluss mit dem Wartesaal, wird man daraus folgern.
Nun weiß jeder, dass alle Flüchtlinge, die italienischen Boden erreichen (wenn sie es schaffen), es auf „illegalen“ Wegen tun (müssen) und somit erst einmal „Illegale“ sind. Und jeder weiß auch, dass es in Italien keine ordentlichen, geschweige denn schnellen Asylverfahren gibt. Das sind ja gerade die Probleme. Wer soll also aufgenommen, wer wann zurückgeschickt werden? Der Europäische Hof für Menschenrechte hat die frühere Praxis der italienischen Regierung (unter dem damaligen Lega-Innenminister Maroni), Flüchtlingsboote wieder nach Afrika zurückzuschicken, als rechtswidrig verboten und Italien zu Recht dafür sanktioniert. Und hat sich nicht in einer Online-Umfrage eine klare Mehrheit der M5S-Anhänger vor einigen Monaten für die Abschaffung des Straftatbestands „illegale Einwanderung“ ausgesprochen? Nach dem immer wieder gepredigten Motto: „Das Netz entscheidet“? Von wegen. Grillo entscheidet anders und ruft – im Gleichklang mit der Lega Nord – letztlich dazu auf, Menschen wieder in den syrischen Krieg, zu den somalischen Al-Shabaab-Milizen und in die eritreische Militärdiktatur „zurückzuschicken“.
Im Wettbewerb mit der xenofoben Lega-Nord ist Grillo dabei, kräftig aufzuholen. An Zuspruch mangelt es ihm nicht. Ein Blick auf seine Facebook-Seite reicht, um festzustellen, in welchem Ausmaß sich in den Kommentaren rassistische Hetze übelster Art breit macht. Von Grillo unwidersprochen, angeheizt durch seine Losung: „Schluss mit den Tabus in Sachen Einwanderung!“. Den Spruch kenne ich allzu gut, auch aus Deutschland („Das wird man doch noch sagen dürfen!“).
Bündnis mit Negationisten im EU-Parlament
Zu dieser Entwicklung passt, was sich auf europäischer Ebene abspielt. Um im EU-Parlament die Existenz ihrer EFDD-Gruppe zu sichern, die das Ausscheren eines lettischen Abgeordneten bedrohte, haben jetzt Grillo und Farage mit dem Polen Robert Iwaszkiewicz (Partei „Kongress der Neuen Rechte“) ein Bündnis geschlossen. Welcher im Mai per Interview Folgendes zu Protokoll gab: „Ehefrauen zu schlagen kann vielfach helfen, um sie wieder auf den Teppich zu bringen“. Und welcher eine Aussage des Leaders seiner Partei so kommentierte: „Er hat doch nur gesagt, es gebe keine Beweise, dass Hitler etwas vom Holocaust wusste“. Nun macht also die M5S gemeinsame Sache nicht nur mit dem Rechtspopulisten Farage, sondern auch mit Negationisten und Befürwortern von Gewalt gegen Frauen.
Zugegeben: Was in den Köpfen von Grillo, Casaleggio und ihrem mysteriösen „Staff“ herumspukt, ist für mich schwer nachvollziehbar. Noch weniger nachvollziehbar ist für mich, wie Anhänger der M5S, die in bester Absicht versuchen, auf lokaler Ebene vernünftige Projekte und Initiativen ins Leben zu rufen – die gibt es auch – , vor dieser unsäglichen Entwicklung an der Spitze und in weiten Teilen der M5S guten Gewissens noch die Augen verschließen können. Wie lange noch?