Die römische Kuppel
Gemeint ist nicht die prächtige Kuppel des Sankt Peter-Doms, von den Römern liebe- und respektvoll „Cupolone“ genannt. Die Kuppel, um die es hier geht, ist die Spitze einer Verbrecherorganisation, die jahrelang die Hauptstadt beherrschte: Sie manipulierte die Vergabe von öffentlichen Aufträgen, bestach Verwaltungsbeamte und Kommunalpolitiker, kassierte Schutzgelder von Geschäftsleuten und steckte staatliche Subventionen, die für gemeinnützige Aufgaben gedacht waren, in die eigene Tasche – von der Parkpflege über die Flüchtlingsunterbringung bis zur Resozialisierung entlassener Strafgefangener.
Mit der Operation „Mafia Capitale“, d. h. 37 Verhaftungen und 100 Ermittlungsverfahren, ließ Staatsanwalt Pignatone das kriminelle Treiben jetzt auffliegen.
Parteiübergreifende Hauptstadtmafia
Boss der Hauptstadtmafia war Massimo Carminati, genannt „’Er cecato“ (Der Einäugige), weil ihm in früheren Zeiten die Polizei ein Auge ausschoss. Carminati ist ein vorbestrafter Neofaschist mit Verbindungen zum Terrornetzwerk „NAR“ („Nuclei Armati Rivoluzionari“), das in den siebziger Jahren aktiv war. Er hatte auch enge Kontakte zur berüchtigten Magliana-Bande, auf deren Konto bewaffnete Überfälle, Drogenhandel, illegale Spiel- und Wettgeschäfte und politisch motivierte Morde und Entführungen gingen.Nach der Wahl von Gianni Alemanno zum Bürgermeister von Rom im Jahr 2008 erlebte die „römische Kuppel“ ihre Blüte. Auch Alemanno kommt aus der neofaschistischen Partei, wechselte dann aber zu Berlusconi und wurde in dessen Regierung zweimal Landwirtschaftsminister. Nach seinem Amtsantritt als römischer Bürgermeister, den ehemalige Kameraden auf dem Kapitol mit dem Faschistengruß bejubelten, bekam die Kuppel einen direkten Draht zur Verwaltungsspitze. Auch gegen Alemanno läuft ein Ermittlungsverfahren, in dem u. a. geprüft wird, ob er selbst Bestechungsgelder kassierte. Sicher ist, dass er in seiner Amtszeit scharenweise Verwandte und Freunde aus dem rechten Spektrum in der römischen Verwaltung unterbrachte und dass sein Vize in engem Kontakt mit Carminati stand. Alemanno wäscht nun seine Hände in Unschuld: „Mein einziger Fehler war es, dass ich mir die falschen Mitarbeiter aussuchte“.
Doch die Hauptstadtmafia trägt nicht nur den rechten Stempel. Auch gegen mehrere Vertreter der PD wird ermittelt, zu denen ein ehemaliger Dezernent und der inzwischen zurückgetretene Vorsitzende des Stadtrats gehört. Ebenso Luca Odevaine, der Präsident von „IntegrA/Azione“, einer „Stiftung zur Förderung von Rechten, Solidarität und Legalität“ (sic!), aus deren Kassen er sich persönlich bediente, über Tarnkonten unter den Namen von Mama und Schwester, von Tochter und Sohn.
„Mit Flüchtlingen verdient man mehr als mit Drogen!“
Eine Schlüsselrolle spielt auch der stadtbekannte und inzwischen verhaftete PD-Mann Salvatore Buzzi. Er arbeitete eng mit Carminati zusammen und hatte seine Finger in den wichtigsten Geschäften der römischen Kuppel, insbesondere bei der Unterbringung von Flüchtlingen und bei Resozialisierungsprojekten für ehemalige Gefangene. „Hast Du eine Ahnung, wie viel man mit Flüchtlingen verdient? Viel mehr als mit Drogen!“, frohlockte er in einem abgehörten Telefonat. In einer SMS zur Jahreswende drückte er die Hoffnung aus: „Möge 2013 ein Jahr mit möglichst viel Müll und Flüchtlingen werden!“.
Auch parteiintern machte sich in der römischen PD Korruption breit: mit Mitgliederausweisen, Kandidaturen und Vorwahlen wurde ein reger Handel betrieben. Vertreter konkurrierender Parteiströmungen bezahlten für Stimmen und Parteieintritte, um ihre Macht innerhalb der Partei auszubauen und sich Funktionen und Posten zu sichern.
Eine andere Rolle spielt Ignazio Marino, der im Juni 2013 als Kandidat der PD zum neuen Bürgermeister gewählt wurde. Er gilt als integrer „politischer Außenseiter“, dem zwar Erfahrung fehlt, aber der mit den Seilschaften innerhalb der PD nichts zu tun hat. Folgerichtig wurde er von Anfang an heftig attackiert, auch seitens der eigenen Partei. Spöttisch nennen ihn seine Gegner „il marziano“, den Menschen vom Mars, was man aber unter den gegebenen Umständen auch als Kompliment auffassen kann. Denn der „Marsmensch“ ließ zweifelhafte Ausschreibungsverfahren – u.a. im Bereich der Müllentsorgung – überprüfen und begann, sich dem Treiben der „Kuppel“ entgegenzustellen. Von seiner eigenen Partei erfuhr er dabei – oh Wunder – wenig Unterstützung. Wobei er auch Fehler machte. So wurde ihm vorgeworfen, sich mehr mit „Renommierprojekten“ (z. B. der Sperrung von Straßen um die Kaiserforen) zu beschäftigen als mit der Aufgabe, die desolate Situation in den Armenvierteln der städtischen Peripherie zu verbessern.
Nun versucht die rechte Ecke, das römische Desaster ausgerechnet Marino in die Schuhe zu schieben. Und der wegen Steuerbetrug verurteilte und wegen Abgeordnetenbestechung angeklagte Berlusconi ist so dreist, lautstark Marinos Rücktritt und für Rom Neuwahlen zu fordern.
Das Antikorruptionspaket
Die PD stellt sich jetzt auf nationaler Ebene demonstrativ hinter Marino. In seiner Eigenschaft als Generalsekretär der PD stellte Renzi den römischen Stadtverband unter die kommissarische Aufsicht des Parteivorsitzenden Orfini. Der als erstes alle römischen Parteiorgane und örtlichen Zirkel auflöste und – „im Dialog mit der Basis“ – einen „radikalen Erneuerungsprozess“ in Gang setzen will.
Renzi beginnt also, endlich die parteiinterne Korruption zu bekämpfen. Aber auch als Regierungschef ist Renzi gefordert. Als Reaktion auf den römischen Skandal beschloss das Kabinett ein Antikorruptionspaket: höhere Strafen und längere Verjährungsfristen für Korruptionsdelikte, Konfiszierung von Gütern und Vermögen wie bei der Mafia. Richtige Schritte, die manchen allerdings nicht weit genug gehen. Don Luigi Ciotti, Priester und Vorsitzender der Antimafia-Organisation „Libera“, begrüßt das Paket, hält aber die Erhöhung der Strafen für unzureichend und vermisst Sanktionen gegen diejenigen, die Korruption begünstigen bzw. decken, sowie wirksamen Schutz für diejenigen, die sich dagegen wehren. Und erinnert daran, dass „die erste wichtigste Reform, die anzugehen ist, eine Selbstreform ist: die Reform unseres eigenen Gewissens“. Die freilich kann man nicht per Kabinettsbeschluss herbeiführen.