Renzi, der Slalomfahrer
„Der Mann liebt das Risiko“ (Gad Lerner am 20. 1. im Blog). „Renzi ist der Premier flüssiger Zeiten. Der fähig ist, die Form zu wechseln. Und sich einem verflüssigten politischen System anzupassen. Renzi, einsam und schnell. Ohne wirkliche (politische) Freunde. Das ist seine Stärke, aber auch sein Problem… Täglich ein neuer Hafen. Eine andere Mannschaft. Neue Hinterhalte, neue Feinde. Die Reise könnte mühselig werden. Und riskant. Auch für einen flüssigen Navigator“ (Ilvo Diamanti am 2. 2. in „Repubblica“).
Der bisherige Konfrontationskurs
Noch vor 10 Tagen dachte ich, dass Renzi die PD spalten will. Man musste nur 1 und 1 zusammenzählen: Der Bruch mit der Linken durch den Jobs Act. Der Pakt mit Berlusconi, angeblich nur für Strukturreformen, der aber immer mehr zur festen Achse wurde. Der Renzi schon mal – beim Wahlgesetz – über die Runden half, als ihm die eigene Mehrheit wegbrach. Das „Weihnachtsgeschenk“ Renzis für Berlusconi, das dessen Verurteilung wegen Steuerhinterziehung rückgängig machen konnte. Der gnadenlose Sarkasmus, mit dem Renzi nicht nur ständig die (traditionell mit der PD „befreundete“) CGIL, sondern auch die eigene Linke provoziert. Die „Primarie“ der ligurischen PD, bei denen der Renzi-Flügel mit der Neuen Rechten ein Bündnis gegen die eigene Linke einging und dafür (für 2 Euro „Handgeld“) Marokkaner und Chinesen in die Abstimmungslokale karrte. Um dann diese Linke auch noch mit Hohn („kann wohl nicht verlieren?“) aus der Partei zu treiben.
Der Reim, den sich darauf politische Beobachter wie Gad Lerner machten, schien plausibel: Renzi meine offenbar, „durch den Zulauf von Stimmen aus dem Zentrum (Reste von Montis Scelta Civica, enttäuschte Berlusconi-Wähler) eine solche Spaltung kompensieren zu können… Ebenso wie es ihm durchaus gefallen könnte, wenn links von ihm eine kleine politische Formation überlebt. Im Vertrauen darauf, dass ihre Größe prozentual bescheiden bleibt und er sie in lokale Bündnisse einbeziehen kann. Vielleicht ist es heute zuallererst Renzi, der hofft, dass sich in der PD-Minderheit die Bestrebungen zum Parteiaustritt durchsetzen. Mit seinen systematischen Provokationen scheint er auf eine solche Spaltung hinzuarbeiten, die immer mehr zur konkreten Möglichkeit wird.“
Die punktuelle Versöhnung
Seit der Wahl des neuen Staatspräsidenten bin ich nicht mehr sicher, dass dies die ganze Wahrheit ist. Da er im politischen System Italiens eine wichtige Rolle spielt, war Berlusconi an seiner Auswahl höchst interessiert (der Staatspräsident kann begnadigen!). So gab es vor der Wahl die Befürchtung eines „schmutzigen Deals“: Mit der Begründung, die Wahl des Staatspräsidenten müsse von einer möglichst breiten Mehrheit getragen werden, ziehen Renzi und Berlusconi im letzten Moment einen gemeinsamen Kandidaten aus dem Ärmel. Ein „Nickemann“ für Renzi, ein Begnadiger von Berlusconi, das war der Alptraum.
Das Gegenteil trat ein, sowohl in der Sache als auch in der Methode. Mattarella scheint ein eher schwieriger Zeitgenosse zu sein, der zwar Renzi und Berlusconi rhetorisch keine Konkurrenz machen, aber sich beiden gegenüber als kompromissloser Hüter des Rechts und der Verfassung präsentieren wird. Was Berlusconi noch mehr verbittert, war die Methode seine Auswahl: Es war geradezu demonstrativ, wie Renzi Berlusconi dabei überging und stattdessen den Schulterschluss mit der PD-internen Opposition suchte. Es soll rührende Szenen gegeben haben, z. B mit Rosy Bindi, die zur scharfen Renzi-Kritikerin geworden war, aber nun – unter Tränen – wieder einen vorläufigen Frieden mit ihm schloss. Während sich Berlusconi mit seiner Enthaltung in die Schmollecke manövriert sah. Genauso ausmanövriert, wie zwei Wochen zuvor die PD-Linke.
Das allzu schlichte Erklärungsmuster
So erklärungsbedürftig der Konfrontationskurs gegenüber der Linken war, so ist es heute der Affront gegen Berlusconi. Offenbar ist das alte Erklärungsmuster – Renzi opfert die Linke, um im Zentrum zu gewinnen – zu schlicht. Er regiert mit wechselnden Mehrheiten. Sagt ihm der politische Instinkt, dass er von keiner Seite allzu abhängig werden darf? Als er im Senat für das neue Wahlgesetz Berlusconis Hilfe brauchte, war die anschließende Reaktion von Forza Italia ein Warnsignal: Sie begann Gegenleistungen zu fordern, die Renzi zu ihrem Gefangenen gemacht hätte. Indem er jetzt bei der Präsidentenwahl den Spieß umdrehte, hat er nicht nur „Bingo gemacht“ (Gad Lerner), sondern wieder Distanz geschaffen. Um im Bild zu bleiben: „die Kurve gekriegt“.
Mit wechselnden Mehrheiten zu regieren ist nicht nur Schwäche. Es kann auch bedeuten, sich mit mehreren Partnern einzulassen, um zu keinem in Abhängigkeit zu geraten. Das naheliegende Bild ist der Slalomlauf, mit dem man auch ans Ziel kommen kann. Dabei geht es um dreierlei: ob man die Kurven schafft; in welchem Stil man sie nimmt; wo man schließlich ankommt. Bisher hat Renzi seine Kurven genommen – wenn auch langsamer, als zunächst angekündigt. Ob er alle Kurven schafft, wird sich zeigen – in der Logik der Metapher läge es, dass Renzi jetzt, wo er gerade eine Linkskurve genommen hat, wieder zur Rechtskurve ansetzt. Berlusconi könnte seine Tränen trocknen, die PD-Linke sich wieder auf etwas gefasst machen. Dass Renzis Kurvenstil ruppig ist, hat sich herumgesprochen.
Bleibt die Frage nach dem Ziel
Dass Renzi die PD Richtung Zentrum öffnen will, ist klar. Andererseits ist die Wahl Mattarellas zum Staatspräsidenten ein Faktum, das diesem Ziel nicht schaden wird, aber der Linken das Verbleiben in der PD wieder leichter macht – zu ihrem kulturellen Erbe gehört der Schwur auf die Verfassung. Mit Mattarella hat sich Renzi für seine institutionellen Reformen (Senat!) eine wachsame Korrekturinstanz ins Haus geholt. Trotzdem wird der „soziale“ Renzi umstritten bleiben. Ob der Jobs Act den italienischen Beschäftigten anderes bringt als weniger Kündigungsschutz (und den Unternehmern mehr Rendite), muss sich noch erweisen. In den letzten Wochen war wieder von „kleinen Anzeichen“ für eine wirtschaftliche Wiedererholung die Rede. Davon hört man schon seit Jahren, bisher erwies es sich immer als falsch.