Prügelei im Parlament

Die Überzeugung, im Recht zu sein, kann bestialische Gelüste erwecken. Sieht man sich dann auch noch als kollektives Opfer, können alle zivilisatorischen Bremsen versagen.

Jagdszenen

Ein solches Versagen war letzte Woche im römischen Parlament zu besichtigen. Auf der Tagesordnung stand die Senatsreform. Donnerstagabend wagte es die Parlamentspräsidentin, das Parlament zur Beschleunigung des Verfahrens zu Nachtsitzungen zu verdonnern. Sie folgte damit dem Wunsch Renzis, die Reformvorhaben so schnell wie möglich über die Bühne zu bringen. Dessen Markenzeichen nun einmal der eilige Radfahrer ist, der umfällt, wenn es zu langsam wird. Ihm mangelt es an Ehrfurcht vor den parlamentarischen Prozeduren, er will Ergebnisse sehen. Die wiederum seine politischen Gegner mit ihrer Filibustertaktik verhindern wollen.

Parlamentarische Diskussion

Parlamentarische Diskussion

Die Hälfte der anwesenden Abgeordneten reagierte mit Empörung. Den Anfang machten die „Grillini“, indem sie rhythmisch auf ihre Pulte schlugen. Sie taten es nicht zum ersten Mal, denn sie haben entdeckt, welch höllischer Lärm entsteht, wenn die ganze Fraktion im Takt mitmacht. Diesmal allerdings war es nur der berühmte Funke im Pulverfass. Abgeordnete der PD und der SEL, früher einmal Bündnispartner, begannen sich zu prügeln und über die Bänke zu jagen. Da stand auch Berlusconis FI-Fraktion nicht abseits. Als der Ordnungsdienst einschritt – er kann zulangen, er hat schon Übung – verließ die gesamte Opposition das Parlament. Die FI, die Lega, die linke SEL einträchtig neben den bekennenden Faschisten von „Fratelli d’Italia“. Auf der Walstatt blieb – außer zwei Leichtverletzten – die Regierungskoalition. Die sich in der dann folgenden Nachtsitzung allein mit der Verfassungsreform beschäftigen durfte.

Bündnis der Opfer

Natürlich hatte die Eskalation tieferliegende Gründe. Eben hatte Renzi mit Mattarellas Wahl zum Staatspräsidenten noch einen triumphalen Erfolg eingefahren. Jetzt sahen manche den Moment gekommen, um ihm dafür die Rechnung zu präsentieren. Im Parlament gibt es viele, die sich als Renzis Opfer fühlen.

Die „Grillini“ sind schon programmatisch darauf abonniert. Sie sehen sich als Sprachrohr der Opfer des „Systems“ (d. h. der Parteien und der repräsentativen Demokratie). Und somit im Recht, wenn sie es als Ganzes stürzen wollen. Dafür sind ihre Abgeordneten überhaupt ins Parlament gegangen. Der Fahrplan: kein Bündnis, dafür PD und Berlusconis FI zusammen zwingen, und das Land unregierbar machen. Lässt der Sturz des Systems auf sich warten, ist das schon Kränkung genug. Dass die 5-Sterne-Bewegung bei der Wahl des Staatspräsidenten außen vor blieb, dass ihre Abgeordneten zur PD flüchten, dass ihre Filibuster-Taktik ausgekontert wird – all das sind weitere Bosheiten gegen sie.

Auch Vendolas SEL sieht sich als Opfer. Als ehemalige linke Bündnispartnerin der PD bildet sie im Parlament eine kleine Fraktion. Bei Mattarellas Wahl durfte sie noch einmal zur Koalition seiner Befürworter stoßen. Aber ansonsten hat sie Renzi mit seinem Schwenk Richtung Zentrum, seinem Jobs Act und seinem Paktieren mit Berlusconi links liegen lassen. Auch die SEL verlor schon einen Teil ihrer Abgeordneten an die PD.

Berlusconi stößt dazu

Das Besondere des Abends bestand darin, dass auch Berlusconis FI zu dieser Koalition der Opfer stieß. Denn Berlusconi hat entdeckt, dass ihn Renzi arglistig getäuscht hat. Erst schloss Renzi mit ihm einen Pakt, der ihn glauben ließ, er sei nun dessen privilegierter Partner und könne auf dieser Grundlage auch manches persönliche Problemchen lösen. Worauf Berlusconi ein Jahr lang still hielt und seine Abgeordneten dazu anhielt, „zum Wohle des Landes“ brav für die Reformen zu stimmen (sogar als Renzi dafür die eigene Mehrheit abhanden kam). Was ist der Lohn? Bei der Wahl des Staatspräsidenten setzt sich Renzi über Berlusconis Ratschläge hinweg. Und einigt sich mit der eigenen Linken auf einen der pingeligen Richter, die Berlusconi auf den Tod nicht ausstehen kann. Das ist Verrat. Jetzt kann es nur eines geben: die totale Opposition und Renzis Sturz so schnell wie möglich. Auch wenn man die Reformen, bei denen man heute einen Abgrund von Verfassungsverrat entdeckt, gestern noch selbst mitschrieb. Jetzt ist jedes Mittel recht. Die FI-Fraktion ist sich wieder einig.

Das Referendum soll alles richten

Am Donnerstagabend kulminierte alles im gemeinsamen Auszug aus dem Parlament. Man kann sich streiten, wer hier verantwortungsloser handelte: die Koalition, die um jeden Preis ihr Programm durchziehen wollte, oder die Opposition, die sie um jeden Preis daran hindern wollte. Auf jeden Fall ist die Art und Weise, wie die Regierung ihre Verfassungsreform durchbringen will, nicht gerade ansehnlich. Seine Regierungsmehrheit bekommt Renzi noch mit Ach und Krach zusammen. Es reicht sogar für eine Verfassungsreform, allerdings nur in Kombination mit einer anschließenden Volksabstimmung. Die schreibt die Verfassung vor, wenn ihre Änderung nicht mit einer parlamentarischen Zweidrittelmehrheit beschlossen wird und es ein Fünftel der Abgeordneten, 500 000 Bürger oder 5 Regionen verlangen. Renzi hat wieder einmal die Flucht nach vorn angetreten und eine Volksbefragung für das ganze Reformpaket angekündigt, sowie es die parlamentarischen Hürden passiert hat. Ein Hürdenlauf ohne die Opposition? Erstens ist sie selbst schuld. Und zweitens kann sie noch einmal beim Referendum Partei ergreifen. Das Referendum wird zum Notpflaster für alles. Die Demokratie wird wieder etwas plebiszitärer. Renzi ist ergebnisorientiert. Ein Wolf unter Wölfen.

1 2 3 4 5