„Keiner rühre Mailand an!“
Die Bilder der Verwüstung, welche der so genannte Schwarze Block am 1. Mai anlässlich der Expo-Eröffnung in Mailand verursachte, gingen um die Welt. Etwa 1000 vermummte Randalierer, bewaffnet mit Knallkörpern, Schlagstöcken, Hämmern, Molotowflaschen und sonstigen Utensilien, zerschlugen im Stadtzentrum Schaufenster, besudelten Gebäude und Denkmäler, zerstörten Autos und zündeten sie an. Viele von ihnen kamen aus anderen Regionen oder aus dem Ausland, vor allem aus Frankreich, Spanien, Deutschland, Griechenland.
Verwüstung mit System
Die 30.000 Demonstranten, die friedlich ihren Protest gegen das Großprojekt „Weltausstellung“ äußerten, wurden in der öffentlichen Berichterstattung kaum wahrgenommen. Sie schafften es auch nicht, die relativ kleine Gruppe der Gewalttäter zu isolieren. Zumal es diese geschickt verstanden, im Schutz von Rauchbomben, die sie zu diesem Zweck zündeten, ihre „schwarzen Uniformen“ rasch an- und später auszuziehen, die mitgebrachten Waffen wegzuwerfen und sich unter die „normalen“ Demonstrationsteilnehmer zu mischen.
Dies alles ist aus ähnlichen Vorfällen in vielen europäischen Ländern bekannt und nicht neu.
Die Antwort der Mailänder
Neu ist, wie die Bevölkerung Mailands auf diese Zerstörungsorgie reagierte: Schon in der Nacht vom 1. zum 2. Mai waren tausende Bürgerinnen und Bürger im Zentrum unterwegs, um die städtische Müllentsorgung bei den Reinigungsarbeiten zu unterstützen. Am nächsten Tag folgten ca. 20.000 Mailänder dem Aufruf ihres Bürgermeisters Pisapia – unter dem Motto „Nessuno tocchi Milano!“ („Keiner rühre Mailand an!“) – und gingen ans Werk: bewaffnet mit Putzlappen, Besen, Müllsäcken und Reinigungsmitteln beseitigten sie – so gut es ging – die Spuren der Verwüstung. Und eroberten den städtischen Raum für sich zurück. Es waren Studenten, Arbeitslose, Professoren, Selbständige, Mütter mit Kindern, Touristen. Viele von ihnen erklärten, sie seien selbst gegen das Expo-Großprojekt, aber erst recht gegen die sinnlose, zerstörerische Gewalt von ein paar durchgeknallten Bürgersöhnchen, die keinerlei politische Absichten verfolgen, sondern ihren Kick in der Randale suchten. Sie würden ihnen ihre schöne Stadt nicht überlassen.Trotz aller gesellschaftlicher Disparitäten, Probleme und oft auch trotz ihres (materiellen und sozialen) Zerfalls erweist sich die Großstadt hier auch als ein Ort zivilgesellschaftlichen Zusammenhalts und als wertvoller gemeinschaftlicher Lebensraum. Stadt und Stadtgesellschaft als „bene comune“, um den Ausdruck des Verfassungsrechtlers und Publizisten Stefano Rodotà zu nutzen, den es zu schützen und – wenn nötig – aktiv zu verteidigen gilt. Hannah Arendt hätte die Putzaktion der Mailänder bestimmt gefallen.
Rechte geht leer aus
Es ist der Verdienst der Mailänderinnen und Mailänder und ihres Bürgermeisters Pisapia, dass sie nach den Gewaltausschreitungen am 1. Mai den rechten Populisten und Scharfmachern, die darauf gerne ihr eigenes Süppchen gekocht hätten, keinen Raum ließen. Der schnelle Aufruf Pisapias an die Bürger, sich ihre Stadt durch ziviles und gemeinschaftliches Handeln „zurückzuerobern“, setzte ein viel stärkeres Zeichen als die verspäteten, wenig beachteten Versuche von Lega und Forza Italia, den linken Bürgermeister selbst und die Regierung als „Schuldige“ hinzustellen (ein paar Lega-Aktivisten posierten gar in Schwarzer Block-Verkleidung mit der Aufschrift „Ich bin ein Freund Pisapias“ vor den Fotografen). Den Polizeikräften warfen sie vor, viel zu lasch auf die Gewaltausbrüche reagiert zu haben. Tatsächlich versuchte die Polizei, sich nicht provozieren zu lassen und die Randalierer in Schach zu halten, ohne das Risiko von Verletzten oder gar Toten einzugehen. Hier wirkt noch der brutale Polizeieinsatz in Genua vor 14 Jahren während des G8-Gipfels nach. Damals stürmten Polizisten eine Schule, in denen sich die Demonstranten geflüchtet hatten, und veranstalteten dort eine wahre Blutorgie. Ein „Gemetzel“, wie der Europäische Gerichtshof vor Kurzem befand, der deswegen Italien (damals waren Berlusconi und Lega an der Regierung) verurteilte. „Sie hätten wohl gerne gesehen, dass wieder Blut fließt“, erklärte Pisapia, „aber wir wollten und konnten das vermeiden“. Wobei er mit „sie“ nicht nur die Schwarzen Blocks, sondern auch diejenigen gemeint haben dürfte, die mit ihnen „über Bande“ spielen.
Die Unschuldsengel und ein Bürgermeister
Fünf Festgenommenen und 15 Verdächtigten drohen jetzt Haftstrafen von bis zu 15 Jahren wegen „mutwilliger Verwüstung“. Die Beschuldigten sind mit ihren gutbezahlten Anwälten schon eifrig dabei, sich als die reinen Unschuldsengel hinzustellen. Vermummungen und Gasmasken hätten sie angelegt, gaben einige zu Protokoll, weil „in Mailand die Luftverschmutzung so hoch ist“. Dummdreister geht‘ s wohl nicht.
Bürgermeister Pisapia seinerseits – der zurückhaltende, höfliche Anwalt, an dem sich seine politischen Gegner die Zähne vergeblich ausbeißen – erklärte noch vor der Expo-Eröffnung, bei den kommenden Kommunalwahlen nicht wieder zu kandidieren. Er ist einer der Wenigen, die ihr Amt als Dienst an die Gemeinschaft und nicht als Vehikel zur Macht betrachten. Es mag sein, dass er auch von manchen Aspekten des politischen Geschäfts in seinem geliebten, umtriebigen Mailand angewidert ist. Viele rufen ihn jetzt auf, seine Entscheidung zu überdenken und doch ein zweites Mal zur Wahl anzutreten. Aber wer ihn gut kennt, meint: „Das bringt nichts. Hat er eine Entscheidung getroffen, bleibt er dabei“.