Der Untergang von Padua
Mit solchen Beispielen erläutert man gern die Chaos-Theorie. Irgendwo fliegt mit sanftem Flügelschlag ein Schmetterling über eine Wiese, und woanders bricht, dadurch verursacht, ein Tornado los. Der Schmetterling war in diesem Fall eine ältere Dame aus Padua, die Anfang April eine Idee hatte: Sie bot eine ihr gehörende Wohnung in Paduas Altstadt sechs Bootsflüchtlingen aus Afrika an. Verschiedenes kam zusammen: Erstens besitzt die Dame in der Altstadt eine 110-Quadratmeter-Wohnung, die gerade leer stand. Zweitens hat sie einen Bruder, der sich als Ehrenamtlicher („Volontario“) in einem kirchlich inspirierten gemeinnützigen Verein betätigt und sie entsprechend bearbeitete. Drittens ist sie offenbar nicht auf das Geld angewiesen, das sie mit der Vermietung der Wohnung einnehmen könnte. Und viertens hat sie etwas, was man schlicht ein „gutes Herz“ nennen könnte, das sich vom Schicksal der Bootsflüchtlinge berühren ließ (auch in Padua übernachten Afrikaner vor dem Bahnhof). Manche würden diese Dame aus Padua sicherlich einen „Gutmenschen“ nennen. Womit sie meinen: nicht nur unendlich naiv, sondern auch noch moralisch motiviert. Und das empfinden sie nun einmal als überheblich und aufdringlich.
Der Stein des Anstoßes
Der Schmetterling begann seinen Flug, und die Dame aus Padua unterzeichnete mit dem Verein einen Kontrakt, in dem sie ihm die besagte Wohnung vom 22. April bis zum 31. Juli kostenfrei überließ, um dort Flüchtlinge einzuquartieren. 6 Schwarzafrikaner aus Nigeria, Guinea Bissau und dem Senegal zogen ein, die auf die Entscheidung in ihrem Asylverfahren warten. Mitten in Paduas Altstadt, in schönster Lage, nur wenige Schritte von der Piazza dei Signori entfernt. In einem Haus, das für sechs Parteien bestimmt ist. Alles respektable Leute – wo jetzt 6 Schwarze einzogen, wohnte zuvor ein Notar.
Der Fall erregt Aufsehen. Nun betritt das Volk von Padua die Bühne, angeführt von seinem Bürgermeister Massimo Bitonci. Er ist ein Lega-Mann, Regionalwahlen stehen vor der Tür. „Die Ausländer“ neben den Steuern das Lega-Thema, mit ihm will sie die Wahl gewinnen. Da auch Paduas Geschäftsleute befürchten, dass die Schwarzen schlecht fürs Touristen-Geschäft seien, geht Bitonci mit den Geschäftsleuten ein Bündnis ein. Zunächst unterstützt er eine Unterschriftensammlung, die in den Geschäften Paduas ausliegt und sich gegen „die Unterbringung sog. afrikanischer Flüchtlinge in Privatwohnungen“ richtet. Für die 6 Schwarzafrikaner bedeutet es einen sozialen Schnellkurs: Obwohl sie sich so unsichtbar wie möglich machen, verlassen sie jeden Tag das Haus und die sie schützende Wohnung, um eine Sprachschule zu besuchen. Auf den zwei Kilometern dorthin begegnen sie den Ständen und Wandzeitungen derer, die gegen sie Unterschriften sammeln. Übrigens mit Erfolg. Inzwischen sollen es sogar 5000 Unterschriften sein.
Auf zum Kampf gegen die Barbaren
Dadurch ermutigt, ruft Bitonci für den 15. Mai zu einem Fackelzug durch Paduas Innenstadt auf, „gegen die Invasion von Leuten, deren Geschichte und Absichten wir nicht kennen“. Den Wortlaut hat er sich gut überlegt, denn Paduas Bürgertum, zu dem auch der Lehrkörper einer altehrwürdigen Universität gehört, kann er nicht mit platten rassistischen Sprüchen kommen. Also begnügt er sich mit Andeutungen. Eben dass die Afrikaner Menschen sind, „deren Geschichte und Absichten wir nicht kennen“. Was doch eigentlich niemand bestreiten kann. Zwar könnte man daraus auch ein Argument gegen die Hunderttausenden von Touristen aus aller Herren Länder machen, die wöchentlich durch Padua fluten. Aber das ist natürlich etwas Anderes. Denn es gibt erwünschte und unerwünschte Unbekannte, und schwarze Flüchtlinge sind unerwünscht. Bitonci wagt sich zum Wort „Invasion“ vor, das angesichts der 6 Afrikaner, die jetzt ganz bescheiden in der via Leoni leben, etwas überdimensioniert erscheint. Aber es ist ausbaufähig. Am 14. Mai, dem Tag vor dem geplanten Fackelzug, legt Bitonci nach: „Eine Invasion sog. Flüchtlinge (ohne „sog.“ redet die Lega nicht von Flüchtlingen, HH), die in Wahrheit alle illegal sind (!), nimmt man nicht auf, sondern weist man zurück. So als wenn wir, als die Barbaren vor unseren Toren standen, ihnen diese auch noch geöffnet hätten, statt sie zu bekämpfen“. Aus dem Flügelschlag des Schmetterlings ist ein Historiendrama geworden: Invasion, Barbaren, Kampf.
Auch die Mitbewohner des Hauses in der via Leoni fragt man nach ihrer Meinung. Sie zeigen sich besorgt: Konnten die Neuankömmlinge nicht doch Terroristen sein? Oder könnte nicht jetzt das Haus zum Ziel rassistischer Angriffe werden? Und schließlich das objektive, ultimative, jeden Widerspruch erstickende Argument: Der Wiederverkaufswert ihrer Wohnungen werde sinken, wenn bekannt wird, wer in diesem Haus lebt.
Erwachende Zivilgesellschaft
Die Initiative des Bürgermeisters schien zum Selbstläufer zu werden. Aber dann geschah Rätselhaftes: In der öffentlichen Meinung der Stadt bildeten sich Risse. Der angekündigte Fackelzug des Bürgermeisters wirkte wie ein Katalysator. Plötzlich traten Kräfte auf den Plan, die für eine Gegenkundgebung mobilisierten, die unter dem Motto „Padua heißt willkommen“ ebenfalls am 15. Mai stattfinden sollte. Angeblich um Zusammenstöße mit gewaltbereiten Demonstranten zu vermeiden, verschob daraufhin der Bürgermeister seinen Fackelzug auf einen späteren Termin. Also gab es zunächst nur die Gegenkundgebung, die völlig friedlich verlief. Und trotzdem zum Erfolg wurde: drei Katholische Priester sprachen, der Rektor der Universität und die ehemalige schwarze Ministerin Kyenge kamen, rund 1000 Bürgerinnen und Bürger der Stadt nahmen teil.Der Bürgermeister, der von seinen Bürgern etwas enttäuscht war, teilte ihnen ein paar Tage später mit, dass sich unter den Bootsflüchtlingen aus Libyen auch einer der Attentäter von Tunis befand. Und rief für den 21. Mai zu „seinem“ Fackelzug auf. Diesmal fand er statt. Einige Teilnehmer trugen Hemden mit dem Aufdruck „Zuerst Wohnungen für Obdachlose vom Veneto, dann für die anderen“, welche die Lega verteilt hatte. Es wurden etwa 300 Teilnehmer gezählt (die Lega-freundliche Presse kam auf 500). Etwa gleichzeitig meldeten die Veranstalter der Gegenkundgebung vom 15. Mai, inzwischen hätten sich weitere 30 Bürger gemeldet, die Wohnungen für die Flüchtlinge anboten.
Die ältere Dame, die alles ins Rollen brachte, ist keine Heldin. Als die Kampagne des Bürgermeisters gegen sie und ihre Initiative ihren Höhepunkt erreichte, verließ sie die Stadt. So etwas würde sie nicht noch einmal machen, soll sie bemerkt haben. Ihr Beispiel machte trotzdem Schule. In Padua, der Lega-Stadt.
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Nachbemerkung: Man sollte sich trotzdem keine Illusionen machen. Die Lega, die den Rassismus auf ihre Fahnen geschrieben hat, verbuchte in den folgenden Wochen weiteren Zulauf. Gerade auch bei den Regionalwahlen, gerade auch in Venetien. Als in der italienischen Hauptstadt zwei Roma Amok fahren und mehrere Menschen verletzen, von denen einer stirbt, hat sie wieder Oberwasser. Zwar wird in Rom in letzter Zeit viel Amok gelaufen. Tut es ein Inländer, wird es ihm persönlich oder den Verhältnissen zugerechnet. Tut es ein Roma, sagt die Lega: Alle Roma-Camps dem Erdboden gleichmachen. Es gibt viele Leute, die gleicher Meinung sind.