Sieg oder Anfang vom Ende?
Von den 7 Regionen, in denen am vergangenen Sonntag gewählt wurde, fielen 5 (in der Toscana, Umbrien, den Marken, Kampanien, Apulien) an die PD und 2 an die Rechte: in Ligurien an einen Berlusconi-, in Venetien an einen Lega-Mann.
Wie man das Ergebnis liest, ist eine Frage der Perspektive. Die PD-Führung bevorzugt die Perspektive aus dem Weltraum. Ihr Lesart lautet zusammengefasst: Alles ist gut. Von den 10 Regionen, in denen in der letzten Zeit gewählt wurde, haben wir jetzt 8 gewonnen. Was will man mehr? Im Vergleich zur Europawahl bricht Berlusconis Forza Italia weiter ein. Die 5-Sterne-Bewegung sackt von 22 auf 17 Prozent. Und die PD, na ja, sackt auch etwas, aber nur von 42 auf 37. In Ligurien hat eine durchgeknallte linke Spaltergruppe mit einem eigenen Kandidaten die Mehrheit kaputt gemacht. Und die Leute in Venetien spinnen sowieso. Also eigentlich alles unter Kontrolle. Um das zu demonstrieren, ließ sich die PD-Führung mit einer Playstation ablichten, an der sie rumspielte, als sie das Ergebnis der Wahlen beriet. Das ist renzianischer Stil.
Schaut man sich das Ergebnis aus der Nähe an, versteht man, warum die PD-Führung die Weltraumperspektive bevorzugt. Denn erst aus der Nähe betrachtet zeigt sich der „Wind der Veränderung“, der zum Sturm werden könnte.
Immer weniger gehen wählen
Da ist zunächst die Wahlbeteiligung. Sie lag im Durchschnitt bei 53,9 %, 10 % weniger als noch im Jahr 2010. Nicht etwa deshalb, weil es nichts zu entscheiden gab. Das Angebot an Parteien reicht von ganz links bis sehr weit rechts und enthält in Gestalt der Grillini auch eine Protestpartei. Aber obwohl es manchen Grund zur Empörung gab, sackten auch die Grillini im Vergleich zu den Europawahlen ab, absolut und prozentual. Jeder zweite Wahlberechtigte blieb zu Hause. Die Hälfte der Bevölkerung wird zum schweigenden Zaungast, aus Empörung und Protest wird Apathie. Die Wahlforscher zeigen, dass es vor allem die „sozial Schwachen“ sind, die nicht mehr wählen: Arbeitslose, Junge, „Prekäre“. Die Furchen, welche Krise, Austerität und Perspektivlosigkeit ziehen, werden tiefer. Hier geht es um mehr als nur um demokratische Institutionen mit schwindender Legitimation. Die Wahlenthaltung ganzer Bevölkerungsschichten wird zum Ausdruck sozialer und psychischer Exklusion.
Rosys Rache
Der PD-Führung bot sich in diesem Wahlkampf mehr als ein Anlass, um sich über die eigene Linke zu entrüsten. In Ligurien stellte diese Linke gegen die offizielle PD-Kandidatin einen eigenen Mann auf, der zwar chancenlos war, aber der PD-Kandidatin vielleicht – sicher ist es nicht – den Sieg kostete. Es hatte seine Vorgeschichte: Die „Primarie“, aus denen die offizielle Kandidatin als Siegerin hervorging, waren getürkt.
Noch spektakulärer war das zweite Ereignis: Einen Tag vor Ende des Wahlkampfs hielt Rosy Bindi (PD) eine Pressekonferenz ab, in der sie in ihrer Eigenschaft als Vorsitzende des Antimafia-Ausschusses eine Liste von Namen vorlegte, die bei diesen Wahlen „eigentlich“ nicht gewählt werden sollten. Die Liste der „Impresentabili“ enthielt zwar überwiegend Kandidaten der Rechten, aber – und das war die Bombe, die an diesem Tag platzte – auch Vincenzo de Luca, den kampanischen Spitzenkandidaten der PD. Nun ist zwar De Luca durchaus umstritten. Einerseits soll er als früherer Bürgermeister von Salerno eine (für süditalienische Verhältnisse) erstaunlich gute Arbeit geleistet haben, und sein Programm, mit dem er in diesen Wahlkampf zog, versprach die „Säuberung“ des kampanischen Saustalls. Andererseits soll auch er ein harter Netzwerker sein, und auf seiner Unterstützerliste versammelten sich merkwürdige Gestalten (vgl. „Kampanisches Trauerspiel“). Vor allem wurde er schon einmal in erster Instanz wegen Amtsmissbrauchs verurteilt, was bedeutet, dass er aufgrund des „Severino-Gesetzes“ sofort nach Amtsantritt für 18 Monate von diesem Amt zu suspendieren wäre. Insofern grenzte seine Kandidatur schon an Wahlbetrug – und die Frage ist nur, wer die Verantwortung trägt: die Kampanier, die ihn bei den „Primarie“ im ersten Wahlgang mit 52 % zum Spitzenkandidaten wählten, oder die Parteiführung (Renzi ist immerhin Parteisekretär), die es bis heute unterließ, für die Kandidatenauswahl bei den „Primarie“ einen verbindlichen Ehrenkodex auszuarbeiten.Aber auch Rosy Bindis Verhalten war nicht ganz so „ethisch“, wie sie es nachträglich erscheinen lassen wollte („Ich tat nur meine Pflicht“). Sie tat es im Namen und mit der Autorität des vom Parlament eingesetzten Antimafia-Ausschusses, ohne dass sie diesen in die Erarbeitung der Liste überhaupt einbezogen hätte. Ein wenig „Amtsmissbrauch“ also auch bei ihr. Auch dass sie die Liste zunächst streng geheim hielt, dann aber mit ihr einen Tag vor den Wahlen vor die Presse trat, war ihre sehr persönliche Entscheidung. Der Verdacht liegt nahe, dass sie dafür auch noch andere Motive hatte. Rosy Bindi gehört zum PD-Urgestein, das Renzi in den letzten Jahren auf demütigende Weise zur Zielscheibe seines „Verschrottungs“-Programms machte. Wollte sie sich rächen?
Jenseits dieser gegenseitigen Schuldzuweisungen werden jedoch zwei Dinge deutlich:
– Der Konflikt Renzis mit der eigenen Parteilinken verschärft sich. Sicherlich trägt dafür nicht nur Renzi die Verantwortung. Aber er hat ihn auch seinerseits vorangetrieben. Wenn dahinter ein Kalkül stand („Was ich links verliere, gewinne ich doppelt im Zentrum“), geht es immer weniger auf. Siehe die Niederlage in Ligurien. Ob die sich abzeichnende Spaltung noch zu verhindern ist, ist fraglich.
– Renzi hat einen Teil der Partei „verschrottet“, d.h. vertrieben oder an den Rand gedrängt. Aber die damit verbundenen Erwartungen hat er enttäuscht: Er hat die Partei nicht erneuert. Dafür fehlen ihm offenbar Kraft, Wille und wohl auch Kompass. Siehe den Fall De Luca in Kampanien, mit dem er noch wenige Tage vor der Wahl Arm in Arm auftrat.
Rechte im Umbruch
Gleichzeitig zeigten die Wahlen, dass sich die Rechte dramatisch verändert. Zunächst beerdigten sie die Hoffnung, dass Alfanos NCD, mit der Renzi gegenwärtig seine Regierung bildet, zum Kristallisationspunkt einer neuen proeuropäischen konservativen Kraft ohne Berlusconi (Forza Italia) und Salvini (Lega) werden könnte. Das Wählerpotenzial ist dafür im italienischen Bürgertum, dies wird immer deutlicher, zu gering. Was nebenbei bedeutet, dass Renzis gegenwärtige Regierungsmehrheit wackeliger wird, denn die NCD sieht sich schon im Überlebenskampf. Ihr droht nun die Spaltung: Ein Teil drängt unter das schützende Dach von Renzi, der andere zurück zu Berlusconi.
Aber auch durch Berlusconis Dach fließt der Regen. Denn der große Sieger der Wahlen ist die Lega, die das Duell mit Berlusconi um die Vorherrschaft innerhalb der Rechten nun wohl für sich entschieden hat. Selbst wenn man Kampanien mitrechnet, wo sie nicht antrat, hatte sie bei den Wahlen gegenüber Berlusconi die Nase vorn. Ohne Kampanien wird das Ergebnis noch eindeutiger: Die Lega kommt auf 18, Berlusconis Forza Italia auf 10 Prozent. Auch die Rechte hat gelernt: Nur wo sie zusammengeht, hat sie – siehe Ligurien – eine Chance. Dafür diktiert nun Salvini die Regeln. Der Mann, der raus will aus dem Euro, in Frankreich mit Le Pen paktiert und die Flüchtlingsboote auf Grund setzen will. Buona notte, Italia.