„Im Senat wird es ein Vietnam geben“
In seinem Kommentar in der Süddeutschen vom 8. August („Renzi braucht Hilfe – von Europa“) schreibt Stefan Ulrich: „Zu Renzi und dessen Partito Democratico gibt es derzeit keine seriöse Alternative. Die Protestbewegung 5 Sternen gefällt sich als Geist, der stets verneint. Berlusconis Forza Italia, die am Niedergang des Landes große Mitschuld trägt, zerbröselt. Das nutzt der radikalen Lega Nord, die Wladimir Putins Russland mehr schätzt als Europa. Das bedeutet: Stürzt Renzi, fällt Italien in schlechte Hände. Das ist nicht mehr unwahrscheinlich. Denn ein neues Übel hat alle Kräfte jenseits der Regierung erfasst: die Ablehnung Europas.“
Ulrichs Einschätzung ist zutreffend und seine – wenn auch ziemlich flüchtige – Analyse der „alten und neuen Übel“ Italiens im Wesentlichen auch. Nur lässt der Artikel einen Aspekt außer Acht, der im Hinblick auf die Frage „Stürzt Renzi?“ von Bedeutung ist: Renzis eigene Partei ist inzwischen so tief gespalten, dass die Regierung auch dadurch in Gefahr gerät.
Virus der Selbstzerstörung
Egal, ob es um die Schulreform geht oder das neue Wahlgesetz, die Beschäftigungspolitik, die Wahl des neuen RAI-Verwaltungsrats oder die Senatsreform: Es gibt kaum ein Regierungsvorhaben, das bei der linken PD-Minderheit nicht auf Ablehnung und Protest stößt, verbunden mit mehr oder weniger unverhohlenen Drohungen, der Regierung im Parlament die Gefolgschaft zu verweigern. „Im Senat wird es bei der Abstimmung über die Reform (des Senats, MH) ein Vietnam geben!“, so kriegerisch einige Senatoren der Minderheit.
Wenn man sich das ganze – Pardon! – Theater anschaut, mit Erklärungen und Gegenerklärungen, Vorwürfen und Gegenvorwürfen, kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass sowohl bei Renzi und seinen Anhängern als auch bei den Kritikern die inhaltlichen Differenzen nur noch eine untergeordnete Rolle spielen. Renzi, mit seiner forschen und zuweilen arroganten Art, scheint es darauf anzulegen, seine Kritiker immer weiter zu reizen. Er stellt sie als Blockierer und ewig Gestrige dar, denen die dynamische Erneuerungskraft seiner Regierung per se ein Dorn im Auge ist. Und die PD-Minderheit scheint immer nur auf die nächste Gelegenheit zu warten, um den eigenen Ministerpräsidenten öffentlich zu demontieren.Ein „Virus, das nach Spaltung und Zerstörung des eigenen Leaders strebt“, nennt der Journalist Claudio Tito den Hang der italienischen Linken, den internen Kampf noch rabiater zu führen als den gegen die äußeren politischen Gegner. Das stimmt und greift dennoch zu kurz. Denn dahinter stehen Unterschiede im politischen Selbstverständnis und den daraus folgenden Handlungsstrategien.
Strategien mit Fallstricken
Renzi gefällt sich in der Rolle des entscheidungsfreudigen Machers, der die Suche nach dem innerparteilichen Ausgleich, insbesondere mit dem linken Flügel, als Klotz am Bein empfindet. Lieber sucht er im rechten Spektrum nach Konsens (und Wählerstimmen). Und nimmt dabei in Kauf und hofft sogar, dass ihm auf diesem Wege ein Teil der PD verlustig geht. Damit aus der „alten Tante PD“ ein „Partito della Nazione“ wird.
Der linke PD-Flügel, zu dem prominente Vertreter wie Bersani und Cuperlo gehören, sehen das sozialdemokratische Profil der PD durch Renzis „Modernisierungskurs“ zunehmend bedroht. Und ihren eigenen Einfluss natürlich auch. Einige haben bereits die PD verlassen, u. a. profilierte Politiker wie der junge Pippo Civati, der frühere CGIL-Generalsekretär Cofferati und der Wirtschaftsexperte Fassina, der früher einmal Minister der Letta-Regierung war. Civati wirbt bereits offen für die Bildung einer neuen Linkspartei, in die neben PD-Enttäuschten auch SEL, ehemalige Grillini und Gewerkschaftler wie Landini eingebunden werden sollen.
Wenn zwei sich streiten …
Für beide Strategien sind die Erfolgsaussichten gering. Der Zulauf, den ein „Partito della Nazione“ von rechts erwarten kann, ist schmal. Während der PD selbst an Konsens verliert (von den 40 % bei der Europawahl auf 32 bis 35 % in aktuellen Umfragen), bewegen sich die rechten Wähler eher in Richtung Wahlenthaltung, Grillo oder Lega als in Richtung Renzi. Und da reicht es auch nicht, wenn ein schwergewichtiger Strippenzieher wie Denis Verdini, früher die graue Eminenz von Berlusconi, jetzt Forza Italia verlässt und im Parlament eine eigene kleine – renzifreundliche – Gruppe bildet. Es sieht ganz danach aus, dass Renzi mehr links verliert als rechts gewinnt.
Andererseits gibt es auch für das (zigste) Projekt, links von der PD eine neue politische Kraft zu etablieren, erst recht eine geringe Perspektive. Auch wenn alle potenziellen Bündnispartner sich auf sie verständigen könnten – was nicht sicher ist -, würde eine solche Linkspartei bei Wahlen wahrscheinlich im einstelligen Bereich bleiben. Also die PD schwächen, ohne eine tragfähige Alternative darzustellen.
… freut sich der Dritte
Angesichts des von Renzi durchgesetzten Wahlgesetzes (Mehrheitsprämie mit Regierungsgarantie, wenn eine Partei die 40 %-Hürde schafft, sonst Stichwahl zwischen den zwei stärksten Parteien) zeichnet sich heute bei Neuwahlen folgendes Szenario ab: Keine Partei erreicht die 40 %, es kommt zur Stichwahl, wahrscheinlich zwischen PD und Grillos 5-Sterne-Bewegung (die in Umfragen aufholt und derzeit bei 25 % liegt). Bei der Stichwahl schwenken Lega und ein guter Teil von Forza Italia auf die 5-Sterne-Bewegung um, um Renzi zu verhindern. Grillo gewinnt, und gute Nacht Marie.
Eigentlich müsste diese Perspektive in der PD sowohl den Renzianern wie der linken Minderheit klar sein. Dennoch fahren sie munter fort, sich gegenseitig zu bekriegen. Was bei den sowieso politikverdrossenen Bürgern nicht gerade zur Akzeptanz beiträgt. Und auch wenn die PD-Minderheit letztlich davor zurückschrecken sollte, im Senat mit der Opposition gegen die eigene Regierung zu stimmen: Es ist ein hochriskantes Spiel, das die PD zerreißen kann. Profitieren davon würden vor allem die Rechtspopulisten.