Berlusconis Kotau
„Buuuh!“, „Aufhören!“, „Lega, Lega!“. Immer wieder wird der einst als genialer Kommunikator geltende Berlusconi von Pfiffen und Zwischenrufen unterbrochen. Die Teilnehmer an der Kundgebung der versammelten Rechten in Bologna reagieren auf ihn gelangweilt, gereizt oder mit bösem Spott. Sein Versuch, sich beim wahren Protagonisten, dem Lega-Führer Matteo Salvini, anzubiedern („Herzlichen Glückwunsch, Matteo, für deine große Popularität!“), werden mit einem verächtlichen „Speichellecker!!“ quittiert. Und als er wieder seine alte Masche probiert, das Volk mit suggestiven Fragen in Wallung zu bringen („Wollt Ihr, dass die Linke …?!“) schallt ihm nicht wie damals ein Chor von „Neeeein!!“ entgegen, sondern ein ungeduldiges „Lass endlich Matteo reden! Mat-teo, Mat-teo!“.
Salvini übernimmt das Ruder
Er wirkt fast pathetisch, der alte Ex-Cavaliere, mit dem zu engen blauen Zweireiher, dem rötlich schimmernden Toupet und dem eingefrorenen Lächeln auf dem maskenhaften Gesicht. Neben ihm auf dem Podium steht „Matteo“, hemdsärmelig und locker in Jeans, seinem Namensvetter Matteo Renzi im Stil nicht unähnlich. Wenn der Alte zu langatmig wird („Punkt vier …“), signalisiert er mit einer kleinen Geste, dezent aber deutlich, er möge zum Schluss kommen. Was der Alte auch tut. In Bologna findet die – nicht offizielle, aber faktische – Inthronisierung Salvinis zum Leader der italienischen Rechten statt. Ciao Silvio.Lange hatte Berlusconi gezögert, ob er in Bologna überhaupt auftreten soll. Schon weil er ahnte, er könne hier zum Sekundanten degradiert werden. Und weil er weiß, dass der offene Schulterschluss mit Salvinis aggressiv fremdenfeindlicher, antieuropäischer Lega „lepenistischer“ Prägung seine ohnehin schwache Position innerhalb der EVP nicht gerade stärkt. Er entschied sich dennoch in letzter Minute für eine Teilnahme, allen Unkenrufen und Warnungen von Vertrauten zum Trotz. Ob er wirklich glaubte, er könne wieder den großen Volksverführer geben, bezweifle ich. Eher sah er keine Alternative. Denn ein Wegbleiben wäre erst recht als Signal gedeutet worden, dass er das Feld räumt und Salvini die Initiative überlässt.
Radikale Rechte gewinnt in Europa an Boden
Die Kundgebung vom letzten Sonntag in Bologna markiert eine radikale politische Wende, die nicht nur für Italien, sondern auch für Europa von Bedeutung ist. Sie beschleunigt und festigt eine Entwicklung, die seit Jahren in immer mehr europäischen Ländern in Gang ist: die „moderate“ (wie die Italiener sagen) bzw. „bürgerliche“ Rechte (wie die Deutschen sagen) verliert an Boden und gerät unter den Druck der extremen Rechten. Eine Rechte, die fremdenfeindliche Ressentiments nicht nur bedient, sondern schürt. Die militant antieuropäisch auftritt und die krisenhaften Entwicklungen in Europa nutzt, um Spaltungen zu vertiefen und den altrömischen Leitsatz „Mors tua – Vita mea“ (dein Tod – mein Leben) hof- bzw. regierungsfähig zu machen. Le Pen in Frankreich, Orban in Ungarn, Kaczynski in Polen, AfD und Pegida plus Teile der CSU in Deutschland, Köppel in der Schweiz, die „Schwedendemokraten“ in Schweden. Und nicht zu vergessen: Putin in Russland. Der jetzige Machtwechsel von Berlusconi zu Salvini gehört in diesen europäischen bzw. internationalen Kontext.
Zwar verkörperte auch Berlusconi alles andere als eine „normale“ Rechte: Korruption, Missbrauch der Macht zu persönlichen Zwecken, Verachtung von Regeln und Institutionen, populistische Wunderparolen mit der Verheißung einer strahlenden Zukunft für alle Schlitzohren im Lande. Schon er verkörperte eine politische und kulturelle Verrohung, die zum Vertrauensverlust gegenüber Demokratie und Rechtsstaatlichkeit und zum Erstarken der neuen populistischen Rechten in Italien beitrug. Offene Fremdenfeindlicheit, Rassismus und Antieuropäismus gehörten jedoch – bisher – nicht zum Repertoire von Berlusconi und seiner Forza Italia.
Wer füllt das Vakuum in der Mitte?
Der Kotau in Bologna bedeutet hier eine Zäsur. Innerhalb der ohnehin zerstrittenen und zerfallenden Forza Italia löste er vielfach Kritik und auch offenen Protest aus. Natürlich spielen dabei nicht allein politische, sondern auch persönliche Motive eine Rolle: Forza Italia als Juniorpartner der Lega bedeutet auch den Verlust von Macht und Posten. Aber es wäre falsch, die sich anbahnende Auseinandersetzung darauf zu reduzieren. Ein Teil der Anhänger von Forza Italia hielt schon immer Distanz zu der Lega und deren Parolen. Sie sind zwar zu taktischen Bündnissen bereit, wie die Geschichte zeigt, aber bitte zu solchen, wo Berlusconi und FI das Heft in der Hand haben. Und nicht umgekehrt.
Altero Matteoli, ehemals Minister in der Berlusconi-Regierung, sieht in der Wende von Bologna einen strategischen Fehler und meint, so würde man Renzi die gemäßigte(re) rechte Wählerschaft geradezu in den Schoß werfen. Was nicht gesagt ist. Es ist auch möglich, dass viele von ihnen einfach nicht mehr zur Wahl gehen. Denn auch Renzis Projekt „Partito della Nazione“, das sich in erster Linie aus der umworbenen Mitte nähren soll, stockt. Die PD verliert laut aktuellen Umfragen links, ohne von Mitterechts wirklich profitieren zu können.
Salvini hingegen fühlt sich im Aufwind. Und damit es so bleibt, ist er bereit, die alten separatistischen Kampfparolen einzumotten. Er weiß, dass sich die Lega als regionale Partei und ohne den italienischen Süden – die verachteten „Terroni“ („Erdfresser“) – nie zu einer nationalen politischen Kraft mausern kann. Also Schluss mit den keltischen Ritualen am Ufer des Po und der Drohung bewaffneter Aufstände gegen das „diebische Rom“ (die Bossi so liebte). Jetzt heißt es nicht mehr „Zuerst der Norden!“, sondern „Zuerst Italien!“. Aus der „Lega Nord“ soll im Januar eine „Lega Italia“ werden. Mit Salvini als Leader und Berlusconi als willigem Geburtshelfer. Tempora mutantur.