Italienische Muslime setzen Zeichen
Rom, Mailand, Genua, Palermo, Parma, Reggio Emilio, Lucca: Unter dem Motto: „Not in my name!“ riefen muslimische Gemeinschaften in Italien am vergangenen Wochenende dazu auf, gegen den IS-Terror, für gemeinsame demokratische Werte und ein friedliches Zusammenleben zu demonstrieren. Es sind zwar keine Massendemonstrationen geworden – und das war vermutlich nicht nur dem regnerischen Wetter geschuldet. Dennoch: Einige Tausende sind dem Aufruf gefolgt, darunter viele Frauen.
Hier der Text des Aufrufs zu der zentralen Kundgebung in Rom, die von der „Grande Moschea di Roma“ initiiert wurde und der sich viele muslimische Verbände anschlossen:
„Not in my Name!
Wir in Italien lebenden Muslime verurteilen das Massaker in Paris auf schärfste und drücken dem französischen Volk und den Familienangehörigen der Opfer, die auf so barbarischer Weise ermordet wurden, unsere tiefste Anteilnahme aus.
Mit diesem Aufruf wollen wir ein klare Wende in der Beziehung zur italienischen Zivilgesellschaft und zum italienischen Staat einleiten, als dessen integraler Bestandteil wir uns verstehen und der wir auch sind.
Wir rufen daher alle Muslimas und Muslime dazu auf, sich aktiv dafür einzusetzen, jegliche noch so kleine Form von Fundamentalismus zu isolieren und insbesondere die jungen Generationen davor zu bewahren, dass sie Hass- und Gewaltpredigten im Namen der Religion folgen.
Wir laden alle Muslimas und alle Muslime, alle religiösen und laizistischen Organisationen sowie alle italienischen Bürger dazu auf, an der zentralen Kundgebung am Samstag, den 21. November, um 15.00 Uhr in der Piazza Santi Apostoli in Rom teilzunehmen.“
„Muslime wichtigste Verbündete“
Italienische Politiker, Gewerkschaftler, Intellektuelle und Künstler unterstützten die Initiative der muslimischen Gemeinschaften. Staatspräsident Mattarella und Parlamentspräsidentin Boldrini schickten Grußbotschaften.
Dem europäischen Islam eine Stimme geben
Der aus Marokko stammende Chaouki, selbst muslimischen Glaubens, ist schon lange Zielscheibe übelster rassistischer Angriffe bis zu offenen Morddrohungen. Sie werden vor allem im Netz verbreitet, teilweise anonym, teilweise von Anhängern faschistischer Organisationen und der Lega namentlich gekennzeichnet.
Politikern wie Khalid Chaouki in Italien und Cem Özdemir in Deutschland ist es zu verdanken, dass sie nicht nur selbst mutig und klar Position beziehen, sondern sich unermüdlich dafür einsetzen, die in Europa lebenden Muslime für einen europäischen Islam zu gewinnen, der die Auseinandersetzung um eine zeitgemäße Glaubensauslegung nicht scheut und die in der Verfassung beider Länder verankerten demokratischen Werte aktiv verteidigt. „Kein heiliges Buch steht über den Menschenrechten und keine Religion dieser Welt steht über der Verfassung der Bundesrepublik Deutschland!“, so Özdemir am vergangenen Samstag in seiner vielbeachteten leidenschaftlichen Rede auf dem Bundeskongress der Grünen, am gleichen Tag, an dem in Italien Muslime gegen den Terror auf die Straße gingen. Er warnte aber auch, dass sich der reformerische Islam derzeit auf dem Rückzug befinde. Um so wichtiger sei es, sich gerade jetzt nicht auseinanderdividieren zu lassen und vereint – Muslime, Christen, Juden, Atheisten – gegen islamischen Fundamentalismus und Terror einzutreten.
Gegen die Flucht aus der Verantwortung
Dass viele Muslime die Ablehnung des Terrors – so auch auf der Kundgebung in Rom – mit der Beteuerung verbinden, dass er „mit dem Islam nichts zu tun“ habe, führt nicht weiter. Richtig ist, was Chaouki und Özdemir sagen: Es geht (nicht erst seit heute) um die Auseinandersetzung zwischen verschiedenen Richtungen innerhalb der islamischen Welt: über die Interpretation (und Interpretationsfähigkeit) des Korans, sein Verhältnis zur Gewalt, zur Beziehung zwischen den Geschlechtern und zur Toleranz bzw. Intoleranz gegenüber Anders- und Nichtgläubigen. Ein Kampf um Hegemonie zwischen mittelalterlichem und reformerischem Islam, dessen Ausgang wesentlich davon abhängt, ob es auch in Europa jenseits von Religionszugehörigkeiten gelingt, Demokratie, Toleranz und Menschenrechte gegen diejenigen wirksam zu verteidigen, die Fremdenhass und menschenverachtende Gewalt verbreiten wollen.
Noch sind die Stimmen des reformerischen Islams zu spärlich, die Signale zu schwach. Aber es gibt sie. Es ist unsere aller Verantwortung, dafür zu sorgen, dass sie mehr und kräftiger werden. Und dass sie geschützt werden vor den Angriffen sowohl aus dem rechtsextremen als auch islamistischen Lager.