Krippenkrieg in Rozzano
Rozzano, eine Kleinstadt in der Provinz Mailand: Vor der Garofani-Schule steht Legaführer Salvini mit einer Krippe samt Jesulein, Maria und Josef in den Händen. Die Forza Italia-Abgeordnete Gelmini schmettert inbrünstig Italiens Weihnachtshymne „Tu scendi dalle stelle“ („Von den Sternen kommst Du her“), und der Alt- und Neufaschist La Russa schwenkt dazu die Fahne seiner rechtsextremen Partei „Fratelli d‘ Italia“.
Der Grund fürs weihnachtliche Spektakel: Angeblich hatte der Schulleiter der Garofani-Schule aus Rücksicht auf nichtchristliche Schüler das Weihnachtsfest „verboten“ und an dessen Stelle für Januar ein „Winterfest“ geplant, das neben christlichen auch andersgläubige Kinder einbeziehen sollte.Schulisches Weihnachtsfest verboten?
Das klingt pädagogisch wie „politisch“ bescheuert. Ich unterrichtete fast zwanzig Jahren an einer hannoverschen Grundschule, die mindestens zur Hälfte von Kindern aus muslimischen Familien besucht wurde. Natürlich hat auch da alljährlich der (übrigens aus Izmir stammende) Heilige Nikolaus allen Schülern kleine Geschenke gebracht, es wurden gemeinsam Weihnachtslieder gesungen und um die Wette goldene Weihnachtssterne gebastelt. Genauso wie es am muslimischen Zuckerfest Süßigkeiten für alle Kinder gab. Wenn der Schulleiter tatsächlich „Weihnachten verbieten“ wollte, wäre Kritik angebracht. „Setzen, sechs!“ müsste man sagen.
„Weder habe ich Weihnachtsfeste noch andere von den Lehrern geplante weihnachtliche Aktivitäten in den Klassen verboten“, erklärt inzwischen in einem offenen Rundbrief Schulleiter Marco Parma, der politisch der 5-Sterne-Bewegung nah steht. An den weihnachtlichen Vorbereitungen in den Klassen und auch am Weihnachtskonzert der älteren Schüler habe sich nichts geändert. Und das „Winterfest“ im Januar sei schon lange geplant. „Das Einzige, was ich abgelehnt habe, war der Wunsch zweier Mütter, während der Mittagspause in die Schulmensa zu gehen, um dort den christlichen Kindern religiöse Lieder beizubringen. Das schien mir nicht opportun und das sehe ich auch heute noch so“ schreibt Parma. Der aber inzwischen unter dem Druck von Medien, Politik, Kirche und regionaler Schulbehörde seine Schulleiterfunktion aufgab.
Das hört sich ein bisschen anders an als „Weihnachten verbieten“. Übereifrige christliche Mütter, die ihren Sprösslingen religiöse Gesänge beibringen möchten, können zu diesem Zweck gerne private und kirchliche Räume nutzen. Die Mittagspause in der Schulmensa sollte von den Kindern lieber dazu genutzt werden, gemeinsam und entspannt ein (hoffentlich) gesundes Essen zu sich zu nehmen. Ohne religiöse Beilagen.
Christkind als Propagandawaffe
Das alles hätte man zwischen Eltern, Lehrerkollegium und Schulleitung besprechen und vielleicht auch klären können. Stattdessen wurde eine Art Religionskrieg ausgerufen und von politischer Seite bewusst angeheizt, als ob in Rozzano das Ende des christlichen Abendlandes bevorsteht. „Bringen wir die Jesusstatue in die Schule zurück!“ riefen vor der Schule aufgedrehte Mütter, und trugen die Krippenfigur des jüdischen Flüchtlingskindes aus Palästina, das für diesen Unsinn wirklich nichts kann, vor sich her. Sie bekamen Beifall.
Die neue lombardische Schuldezernentin Valentina Aprea (Forza Italia) legte nach: „Wieder die Krippen und religiösen Lieder in die Schulen zu bringen, verstehen wir als Verpflichtung. Auch wenn wir dafür keine direkte Zuständigkeit haben (sic), werden wir trotzdem überprüfen, wo das nicht geschieht. Die Schulen sind zwar staatlich, aber wir werden regionsbehördlichen Druck gegen alle jene didaktischen Aktivitäten ausüben, die darauf abzielen, unsere Traditionen zu vernachlässigen“. Das klingt eher nach Religionswächtern, welchen Glaubens auch immer, als nach westlicher Demokratie.
Mag sein, dass Schulleiter Parma mit seinem komischen „Winterfest“ daneben lag (zumal dank des Klimawandels vom Winter derzeit in Italien nichts zu spüren ist, dafür eine seit Monaten anhaltende Dürre). Aber dass die italienischen Rechtspopulisten beim „Fest der Liebe“ ausgerechnet das Christkind als Propagandawaffe schwenken, um ihre fremdenfeindliche Hetze zu betreiben, ist schon pervers. Entspricht aber voll und ganz dem Lega-Kurs unter Matteo Salvini, der für Januar sein großes Vorbild Marine Le Pen feierlich nach Italien einlud. Und der fast verächtlich Berlusconis Forza Italia auffordert, sich der Lega und deren Politik unterzuordnen – oder zu Renzi überzulaufen.
Salvinis Führungsanspruch spaltet FI
Im Fall des „weihnachtlichen Religionskrieges“ in Rozzano ist ihm die Unterordnung gelungen: Prominente FI-Vertreter wie Mariastella Gelmini, die ehemalige Bildungsministerin von Berlusconi, standen ihm während des Aufmarsches vor der Garofani-Schule singend zur Seite. Und die militante Schuldezernentin Aprea, die in den staatlichen Schulen wieder den Krippenzwang einführen möchte, hat Salvinis Lektion ebenfalls gelernt.
Doch nicht alle in Forza Italia fühlen sich in der Rolle des Juniorpartners der rechtsextremen und europafeindlichen Lega wohl. Viele fürchten, das könnte zu einem weiteren Verlust an politischem Einfluss und zur Isolierung in Europa und in der EVP führen, deren Mitglied die FI noch ist. Einige Abgeordnete drängen Berlusconi, den Führungsanspruch im rechten Lager nicht kampflos Salvini zu überlassen, und drohen damit, zu der von FI abgespaltenen Parlamentsgruppe um Denis Verdini überzulaufen, die Renzis Regierung „von außen“ stützt. Doch Berlusconi selbst hat offenbar weder die Lust noch die Fähigkeit, irgendeinen Führungsanspruch anzumelden. Er schafft es nicht einmal mehr, seine beiden Fraktionsvorsitzenden in Abgeordnetenkammer und Senat, die sich fast täglich an die Gurgel gehen, zur Ordnung zu rufen.
Der Kampf um die politische Macht spielt sich in Italien längst zwischen anderen Akteuren ab: Renzi, Salvini und …nein, nicht (mehr) Grillo, sondern Luigi di Maio, dem neuen starken Mann der 5-Sterne-Bewegung. Die Zeiten ändern sich.
Buon Natale a tutti!