Schade, Franziskus
Dass die Kirche vom Staat zu trennen ist, steht auch in der italienischen Verfassung. Radio Eriwan hätte allerdings hinzugefügt: im Prinzip. Denn Artikel 7 sagt: „Der Staat und die katholische Kirche sind, jedes im eigenen Ordnungsbereich, unabhängig und souverän“. Hört sich nach Trennung an, auch wenn bei der Religion nur von der katholischen die Rede ist, als ob es nichts anderes gibt. Dann noch der Zusatz: „Ihre Beziehungen regeln die Lateran-Verträge“. Die Stellung der katholischen Kirche wird also gleich doppelt unterstrichen: Von ihr spricht die Verfassung, in einem der ersten Artikel, und auch auf die Lateran-Verträge, die Mussolini mit dem Vatikan schloss, weist sie schon zu Anfang hin. Man kann die Sache auch so sehen: Für den Vatikan bleibt Italien der Vorgarten, in dem er gerne die Blumen selbst gießt.
Im Alten Testament ist zu lesen, dass praktizierende Homosexuelle Gott ein Gräuel sind. Im Katholizismus ist dies immer noch Lehrmeinung, auch wenn die Begründung im Laufe der Jahrtausende etwas feinsinniger wurde und die alttestamentarische Forderung nach ihrer Tötung aufgegeben wurde. Wer einmal glaubte, mit Papst Franziskus komme es hier zu einer Wende, sieht sich getäuscht. Er ließ zwar in einer Pressekonferenz den Satz fallen: „Wenn jemand schwul ist, den Herrn sucht und guten Willen hat, wer bin ich, über ihn zu urteilen?“ Aber man übersah bei diesem Satz die Bedingtheit (was ist mit dem Schwulen, der nicht „den Herren sucht“) ebenso wie das Motiv: die Barmherzigkeit. Die will in Franziskus‘ Lesart zwar den Sünder umfangen, aber Sünde bleibt trotzdem Sünde. Und diese Grenze bleibt eisenhart, wenn es um rechtliche Konsequenzen geht.
Das Cirinnà-Gesetz
Um die geht es, wenn in den nächsten Tagen beide Kammern des italienischen Parlaments über einen Gesetzentwurf abstimmen, der schon seit einiger Zeit vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte angemahnt wird: Gleichgeschlechtlichen Partnerschaften sollen ähnliche Rechte zugebilligt werden wie z. B. in Deutschland. Also keine Gleichstellung mit der Ehe (die gibt es auch in Deutschland nicht), aber doch Gleichstellung in wichtigen Belangen: Namensgebung, vor Gericht, im Krankenhaus, beim Finanzamt, bei der Rente. Der Vatikan hat sich damit abgefunden, dass es auch in Italien ein derartiges Gesetz geben wird, obwohl die Kirche noch kürzlich Bürgermeister angriff, die es wagten, im Ausland getraute homosexuelle Paare in ihr Register einzutragen. Stattdessen mobilisiert sie nun alle Kräfte gegen einen Punkt: dass solche Paare unter ähnlichen Bedingungen wie in Deutschland Kinder adoptieren können (wenn sie ein Partner in die Verbindung einbringt und sie keinen weiteren anerkannten Elternteil haben).
Die Divisionen des Vatikans
Montag vor einer Woche erklärte Angelo Bagnasco, der Vorsitzende der katholischen Bischofskonferenz, dass „Kinder einen vollständigen Mikrokosmos brauchen, einen Papa und eine Mama. Für die Stabilität des Landes ist eine solche Familie fundamental“. Nicht zufällig fiel hier das Stichwort „Familie“, denn am 30. Januar fand der „family day“ statt, an dem traditionell katholische Laien-Verbände aufmarschierten, um die „Werte der Familie“ zu verteidigen. Nachdem das „bunte“ (Arcobaleno-)Italien am 23. Januar in 100 Städten für das Cirinnà-Gesetz demonstriert hatte, wobei die Veranstalter von „einer Million Teilnehmern“ sprachen. Bei dem „family day“, der sich gegen das Gesetz richtete, ging es deshalb auch um die Zahl der Teilnehmer. Hier schwanken die Angaben beträchtlich, sie reichen von 300.000 bis zwei Millionen. Die zwei Millionen erklären sich wohl vor allem dadurch, dass sie das Doppelte von einer Million sind.
Die Kirche hat ihre Truppen in fast allen parlamentarischen Fraktionen. Als ihr radikalster Bündnispartner gegen das Cirinnà-Gesetz posiert die Lega, für die Christentum in erster Linie die Botschaft ist, dass es in Italien keine Schwulen und Muslimen geben darf. Ihren guten Willen zeigte sie, indem sie gegen das Gesetz erst einmal 5000 „Verbesserungsanträge“ ankündigte. Auch Alfanos kirchentreuer NCD, der mit der PD eine Koalition bildet, ist dagegen. Aber das Hauptproblem ist mal wieder die interne PD-Opposition, diesmal in Form der „cattodem“ („Katholische Demokraten“), die im Senat, wo die Mehrheit knapp ist, 30 Abgeordnete stellen. Sie möchten eigentlich den Adoptions-Paragrafen ganz streichen, wollen aber auch über einen „Kompromiss“ mit sich reden lassen. Andererseits winken die 5-Sterne-Bewegung und SEL mit dem Angebot, dem Gesetz von außen über die Hürden zu helfen, aber nur dann, wenn am Entwurf kein i-Tüpfelchen geändert wird.
Nun wird verhandelt, taktiert und finassiert. Renzi gab zu erkennen, dass er trotz seiner (katholischen) Pfadfindervergangenheit den Gesetzentwurf samt Adoptionsrecht befürwortet. Für ihn steht sein europäisches Renommee auf dem Spiel. Aber um die Regierung nicht zu gefährden, will er den Adoptions-Paragrafen geheim und ohne Fraktionszwang abstimmen lassen. Kann sich die PD-Führung auf die Grillini verlassen? Oder sucht sie den internen Kompromiss, auf die Gefahr hin, dass ihn die 5-Sterne-Bewegung ablehnt?
Barmherzigkeit und Härte
Immerhin soll Franziskus die Parole ausgegeben haben, ein „muro contro muro“ zu vermeiden. Zumal ihm beim „family day“ wohl auch ein wenig schummrig wurde. Denn in Teilen des Nordens dominiert ihn die Lega, für die, wie schon gesagt, „Schwule“ und „Flüchtlinge“ gleich hassenswert sind. Auch Franziskus muss sich überlegen, in welche Gesellschaft er sich begibt. Aber die Heiligkeit der – heterosexuellen! – Ehe bleibt für ihn höchste Glaubensgewissheit. Dass ihre Übertragung auf die zivile Rechtsordnung eine von der Verfassung gezogene Grenze beiseite wischt, ist ihm da wurscht. Schade, Franziskus.
Am 9. Februar beginnen im Senat die entscheidenden Abstimmungen.