Dreiste Vertuschungsversuche aus Ägypten
Über die Ermordung des jungen italienischen Forschers Giulio Regeni in Agypten berichteten wir. Seine Leiche wurde Ende Januar – einige Tage nach seinem Verschwinden – in Kairo in einem Straßengraben entdeckt. Sie trug Spuren unvorstellbar grausamer Folterungen, die wahrscheinlich tagelang dauerten, bis er schließlich durch Genickbruch getötet wurde. Regeni, der in Ägypten über oppositionelle Gewerkschaften und regimekritische Bewegungen forschte, befand sich dort schon länger im Visier von Polizei und Geheimdiensten.
Seit dem Bekanntwerden des Mordes versuchen die ägyptischen Behörden und Regierungsstellen mit immer neuen Hypothesen – eine abenteuerlicher als die andere – vom Verdacht abzulenken, sie selbst bzw. ihre Geheimdienste seien für den Mord verantwortlich. Erst hieß es, es handele sich um einen Verkehrsunfall. Nachdem diese Behauptung angesichts der Folterspuren nicht zu halten war, kam die nicht minder abstruse These, es seien „gewöhnliche Verbrecher“ gewesen. Warum sollten aber Räuber ihr Opfer tagelang misshandeln? Dass die italienischen Stellen auch so einen Unsinn unmöglich schlucken konnten, war klar. Aber die ägyptischen Spezialisten für Spurenverwischung ließen sich nicht entmutigen und brachten beinah wöchentlich neue „Erklärungen“: Es könne sich um eine Beziehungstat, eine private Abrechnung handeln. Vielleicht im Drogenmilieu? Oder wie wäre es mit Terroristen? Wahrscheinlich Muslimbrüder, die damit General Al Sisi und seinen guten Beziehungen zu Italien schaden wollten.
Regime führt Italien an der Nase herum
Der ägyptische Diktator selbst hieß es sich nicht nehmen, in einem langen Interview mit der „Repubblica“ mit mehr oder weniger dunklen Andeutungen die „Terrorismusthese“ zu propagieren. Mit dem drohenden Hinweis, dass ja bestimmt auch die italienische Regierung ein großes Interesse daran habe, die guten Beziehungen zu Ägypten zu erhalten, gerade angesichts der „sehr wichtigen Kooperation“ bei der Gewinnung von Methangas vor der ägyptischen Küste (an der das italienische Energiekonzern ENI maßgeblich beteiligt ist).
Nachdem sich auch für das angebliche terroristische Komplott keinerlei Indizien – geschweige denn Beweise – fanden, wurde jetzt Version Nr. 5 aufgetischt: Regeni sei wahrscheinlich „von einer fünfköpfigen Bande professioneller Entführer“ ermordet worden, hieß es erst in der Zeitung „El Watan“ und dann in einer Facebook-Eintragung des ägyptischen Innenministeriums. Allerdings sei bei ihrer Verhaftung zu einem Schusswechsel gekommen, bei dem leider alle Bandenmitglieder von Sicherheitskräften getötet worden seien. Wie praktisch: Tote reden nicht. Dafür waren die „Entführer“ so freundlich, in ihrem Unterschlupf sämtliche Ausweise sowie persönliche Gegenstände und Dokumente Regenis von der ägyptischen Polizei finden zu lassen. Bingo!
„Professionelle Entführer“, die – ohne je ein Lösegeld zu fordern – acht Tage lang ihr Opfer systematisch foltern, schließlich umbringen und dann deren Ausweise und weitere „Beweisstücke“ monatelang – während gleichzeitig alle Medien über den Mordfall berichten – bei sich aufbewahren? Dreister geht es nicht.
Regenis Familie verlangt Wahrheit
Ganz offensichtlich versuchen die ägyptische Regierung und ihre „Ermittlungsbehörden“, die italienische Regierung und Öffentlichkeit mit plumpen Täuschungsversuchen und Lügen auf unerträgliche Weise an der Nase herumzuführen. Und beleidigen dabei auch noch schamlos das Opfer und seine Familie. „Wir sind verletzt und verbittert“ erklärten Giulios Eltern gegenüber der Presse. „Es handelt sich um den zigsten Versuch der Spurenverwischung durch die ägyptischen Behörden…Wir sind uns sicher, dass unsere Regierung in der Lage sein wird, auf diese beleidigende Inszenierung mit Bestimmtheit zu reagieren, die übrigens noch weiteren fünf Menschen das Leben gekostet hat. Das schuldet man nicht nur Giulio, sondern auch der Würde unseres Landes“.
Hoffentlich ist das Vertrauen von Giulios Eltern in das Rückgrat der eigenen Regierung berechtigt. Denn von der hört man außer Beteuerungen, man werde nicht ruhen, bis die Wahrheit herausgefunden ist, auch immer wieder Hinweise auf die „guten und wichtigen Beziehungen“ zum Militärregime. Ministerpräsident Renzi lobte sogar das Interview des ägyptischen Diktators als Zeichen des guten Willen, zur Aufklärung des Falles beizutragen (!). Nach der Verbreitung der neuesten „Entführergeschichte“ mussten freilich er und sein Außenminister erneut beteuern, bei der Suche nach der Wahrheit nicht nachlassen zu wollen.Staatsanwalt Pignatone stellt Ultimatum
Hartnäckiger als die italienische Regierung könnte sich der römische Staatsanwalt Giuseppe Pignatone erweisen, der die Ermittlungen im Fall Regeni leitet. Er ist ein erfahrener Jurist und nicht dafür bekannt, sich politischen Opportunitäten zu beugen. Die römische Staatsanwaltschaft halte die Informationen, die bisher von ägyptischer Seite zur Aufklärung des Mordfalles gegeben wurden, weder für ausreichend noch für plausibel, erklärte er. Die Ermittlungen müssten daher weiterlaufen und seine Behörde erwarte, dass ihr die ägyptische Staatsanwaltschaft die seit langem angeforderten Akte und Dokumentationen (u. a. Videoaufnahmen und Anrufprotokolle) endlich übermittelt. Und stellte dafür eine Art „Ultimatum“ bis zum 5. April.
Nach diesen Reaktionen ruderte der ägyptische Innenminister wieder zurück. Jetzt erklärt er, es sei doch nicht sicher, dass die erschossenen „Entführer“ für den Mord verantwortlich sind, der Fall sei noch offen und die Ermittlungen würden fortgesetzt. Und fügte hinzu, man werde nun den italienischen Behörden die angeforderten Materialien „wie gewünscht“ zur Verfügung stellen. Man wird sehen.
Indessen wächst in Italien der politische Druck auf die Regierung, gegenüber dem ägyptischen Regime einen härteren Kurs zu fahren. Nicht nur die oppositionellen Sinistra Italiana und 5-Sterne-Bewegung, sondern auch Teile der Regierungspartei PD fordern, den italienischen Botschafter aus Kairo zurückzurufen und die wirtschaftliche Kooperation, u. a. im Gasgeschäft, komplett auf Eis zu legen. Der Vorsitzende der Menschenrechtskommission im Senat, Luigi Manconi (PD), nahm an der Pressekonferenz von Giulios Eltern teil, wo er mit klaren Worten die „kolossalen Lügen und Obszönitäten“ aus Ägypten anprangerte. Auch er schloss sich der Forderung an, den italienischen Botschafter „zu Konsultationen nach Rom zurückzurufen“.