Öl-Lobbies und Interessenkonflikte
„Boom, salta tutto!“ frohlockte Beppe Grillo kürzlich auf seiner Facebook-Seite. Wer bzw. was nach seiner Meinung hoffentlich bald „in die Luft fliegt“, ist Renzi mit seiner Regierung. Das ist – wie bei Grillo üblich – zwar reichlich übertrieben und unwahrscheinlich. Aber dass die Regierung unter Druck steht, trifft zu.
Federica Guidi, Renzis Ministerin für wirtschaftliche Entwicklung, ist (wurde) Anfang April zurückgetreten. Gestolpert ist sie über ihren Lebensgefährten, der die private Beziehung für eigene Geschäftsinteressen missbrauchte. Gianluca Gemelli ist mit seiner Firma darauf spezialisiert, für Chemie- und Energieunternehmen Anlagen zu bauen und zu warten. Er arbeitet mit italienischen und ausländischen Konzernen zusammen, u. a. mit dem französischen Ölunternehmen Total, das in der Ortschaft Tempa Rossa der Region Basilikata eine Großanlage zur Förderung von Erdöl und Methangas betreibt. Gemelli ist in Tempa Rossa am Bau eines Förderbandes beteiligt, das Rohöl bis Taranto transportieren soll, um es in der dortigen ENI-Raffinerie zu bearbeiten und dann von dort ins Ausland zu exportieren.
Die Tempa Rossa-Affäre
Das „Tempa Rossa-Projekt“ ist höchst umstritten. Gegen ENI laufen bereits Ermittlungen wegen des Verdachts, gefährliche Giftstoffe aus seinen Anlagen in Viggiano (ebf. Basilikata) auf unerlaubte Weise entsorgt zu haben. Umweltverbände und die Regionalregierungen von Apulien und Basilikata wehren sich vehement gegen das Projekt, weil sie befürchten, durch die Tempa Rossa-Anlage und den Transport des Öls nach Taranto könnte es in ihren Regionen zu zusätzlichen Umweltbelastungen und Gesundheitsgefährdungen kommen.Inzwischen ermittelt die örtlich zuständige Staatsanwaltschaft auch gegen Gemelli wegen des „unerlaubten Handels mit Einflüssen“. Im Zentrum stehen abgehörte Telefonate zwischen Federica Guidi und Gemelli, die (wie in Italien üblich) schnell Zugang zu den Medien fanden. Zunächst hatte der zuständige Parlamentsausschuss die Inbetriebnahme der Anlage in Tempa Rossa aus umweltpolitischen Erwägungen gestoppt. In einem der Telefonate teilte Guidi ihrem Freund mit, dass gute Aussichten bestünden, diesen Stopp über eine Änderung des Haushaltsgesetzes für das Jahr 2015 wieder rückgängig zu machen. „Es müsste klappen, dass wir die Änderung wieder hinein bekommen, wenn auch Maria Elena (Boschi, Ministerin für Reformen und Beziehungen zum Parlament, Anm. MH) einverstanden ist. Wenn wir es schaffen, kommt alles wieder in Bewegung!“ so die Ministerin. Ob dies auch „seine Freunde von Total“ betreffe, wollte Gemelli genau wissen. Dazu Guidi: „Aber klar doch! Deswegen erzähle ich es Dir doch gerade!“.
Renzi lässt Guidi fallen
Die Änderung kam tatsächlich durch. Dadurch wird Tempa Rossa zum „strategischen Projekt von nationaler Bedeutung“ erklärt, für dessen Durchführung allein die Zentralregierung zuständig ist. Unter Ausschaltung der (kritischen) regionalen Entscheidungsinstanzen. Dass es Guidi war, welche die Gesetzesänderung forcierte, um ihrem Lebensgefährten einen Gefallen zu tun, ist nicht belegt. Stattdessen beteuert Renzi,er selbst habe sie aus wirtschaftspolitischen Gründen gewollt. Denn sie sichere Tausende von Arbeitsplätzen und sei wichtig für Italiens Wiederaufschwung. Die Mitteilung Guidis an Gemelli sei allerdings „inopportun“ gewesen. Eine diplomatische Umschreibung für einen eklatanten Fall von Interessenkonflikt.
Das weiß in Wahrheit auch Renzi. Er hielt die Angelegenheit für so brisant, dass er gleich nach Bekanntgabe der Abhörprotokolle – noch von den USA aus, wo er sich gerade befand – Guidi anrief und ihr kurz und bündig sagte, sie müsse unverzüglich ihren Hut nehmen. Was auch geschah. Mit dem schnellen Rücktritt hoffte er zu erreichen, dass die Affäre die Regierung nicht zu lange belastet. Die Hoffnung hat sich nicht erfüllt, denn weitere Abhörprotokolle und Erkenntnisse der Justizbehörden zeigen, wie systematisch Gemelli seine Beziehung zur Ministerin zu nutzen suchte, um sie mit Vertretern von Energiekonzernen und Öl-Lobbyisten bekannt zu machen. Und damit auch selbst in eine Schlüsselrolle zu gelangen, die in den betreffenden Wirtschaftskreisen kurz der „Gemelli-Weg“ genannt wurde.
Opposition stellt Misstrauensantrag
Guidi ging inzwischen zu Gemelli auf Distanz und gibt sich als ahnungsloses Opfer. Er habe ihr Vertrauen missbraucht, erklärt sie. Das gelte auch für ihren früheren Vize De Vincenti, der an ihr vorbei Entscheidungen getroffen habe und „sie fertig machen wollte“. Das ist erstens wenig glaubwürdig und zweitens, wenn doch zutreffend, wirft es ein jämmerliches Licht auf sie selbst.
Dass die Oppositionsparteien nun den Rücktritt der gesamten Regierung fordern, ist politisches Schaugeschäft. Und Renzis „ölbefleckte Hände“, die Grillo in seinem Blog anprangert, sind billige Oppositionsrethorik. Nach Lage der Dinge betraf der Interessenkonflikt die zurückgetretene Ministerin für wirtschaftliche Entwicklung. Nicht Renzi, Boschi oder andere Kabinettsmitglieder. Boschi, die als „informierte Person“ von der Staatsanwaltschaft gehört wurde, erklärte, sie habe als Ministerin für die Beziehungen zum Parlament die Pflicht, vom Kabinett beschlossene Gesetzesänderungen an dieses weiterzuleiten. Weder kenne sie Gemelli noch habe sie etwas von seiner Beteiligung an Tempa Rossa gewusst.
Für die Involvierung der ganzen Regierung gibt es also keine Belege. Ob allerdings der Ministerpräsident ein „sensibles Händchen“ bewies, als er die Guidi (deren Vater der Chef eines Energieunternehmens ist) zur Ministerin für wirtschaftliche Entwicklung machte, steht auf einem anderen Blatt. Auch parteiinterne Kritiker wie Cuperlo registrieren irritiert „gewisse Anzeichen von Vetternwirtschaft innerhalb der Regierungsmannschaft“. Womit er nicht nur Guidi, sondern auch die – für Renzi viel wichtigere – Ministerin Boschi meint, deren Vater in dubiose Bankgeschäfte verwickelt ist.
Dass die Regierung Renzi energiepolitisch eher auf fossile als auf erneuerbare Energien setzt, ist bekannt. Dass dies die entsprechenden Lobbies zum Versuch stärkerer Einflussnahme ermuntert, ebenfalls. Für einen Misstrauensantrag gegen die Regierung ist das allerdings kein hinreichender Grund, zumal er die politische Kritik einer „falschen Energiepolitik“ (die man zu Recht üben kann) mit dem nicht belegten Vorwurf eines pauschalen Interessenkonflikts der ganzen Regierung vermengt. Da ist gut begründete politische Opposition gefragt, welche die Wähler überzeugt. Das Referendum gegen die Erdölbohrungen im Mittelmeer am kommenden Sonntag bietet dazu eine gute Gelegenheit. Genauso wie die Forderung, endlich adäquate Gesetze zur Vermeidung von Interessenkonflikten und zur Transparenz der versuchten Einflussnahmen von Lobbyisten zu erlassen.