Renzis drohende Verschrottung

Die von ihm zu Beginn seiner Amtszeit proklamierte Verschrottung hat ihren Initiator gnadenlos eingeholt. Am Sitz des Partito Democratico wurde das Ergebnis der Gemeindewahlen nach Mitternacht nur unwillig und spärlich kommentiert. Denn für den sonst keineswegs wortkargen Regierungschef kommt des Resultat einem Debakel gleich.

Niederlage nicht nur in Rom

Siegesfeier in Turin

Siegesfeier in Turin

In Rom siegte die favorisierte Fünfsterne-Kandidatin Virginia Raggi mit fast 68 Prozent über Roberto Giacchetti. In Turin demütigte die 31-jährge Unternehmerin Chiara Appendino überraschend mit fast 57 Prozent den amtierenden Bürgermeister Piero Fassino. Die Ausgangslage der beiden war durchaus unterschiedlich. Während Raggi sich um das Bürgermeisteramt der korruptionsverseuchten und vom Bankrott bedrohten Hautpstadt bewarb, siegte Appendino in einer gut verwalteten, attraktiven und innovationsfreudigen Stadt wie Turin. Fassino wurde damit etwas überraschend zum prominenten Opfer der von Renzi propagierten Verschrottungspolitik. Während Appendino, die ihre Regierungsmannschaft bereits vor etlichen Wochen vorgestellt hatte, in Turin keine großen Probleme zu erwarten hat, sieht die Lage für Raggi freilich anders aus. Sie übernimmt als Bürgermeisterin eine konkursbedrohte und korruptionsverseuchte Millionenstadt, deren Probleme vielfach unlösbar anmuten. Das gilt vor allem für den kommunalen Verkehrsverbund und für die Müllabfuhr – zwei ineffiziente Großbetriebe mit rund 20.000 Beschäftigten, riesigen Schuldenbergen und skandalösen Privilegien. Während etwa ein Busfahrer in Mailand 1200 Stunden im Jahr arbeitet, begnügt sich sein Kollege in Rom mit 700 Stunden. Täglich findet sich fast ein Viertel der Gemeindebediensteten nicht am Arbeitsplatz ein. Mit ihrem massiven Widerstand gegen jede Reform muss Raggi von Anfang an rechnen. Die 37-Jährige wird versuchen, gleich zu Beginn mit exemplarischen Maßnahmen Zeichen zu setzen.

Wahl „a dispetto“

Renzi wird sich damit abfinden müssen, dass nur 10 Gehminuten vom Chigi-Palast entfernt nun eine Vertreterin der Fünfsterne-Bewegung auf dem Kapitol regiert. Es wird nicht die einzige Unnannehmlichkeit bleiben, die auf den populistischen Regierungschef zukommt. Denn es kann kein Zweifel daran bestehen, dass der Premier der große Verlierer dieser Wahl ist. Über Wochen hatte Matteo Renzi versucht, diese Wahl als rein lokalen Urnengang zu definieren: „Der Versuch, aus dieser Wahl ein Referendum über die Regierung zu machen, ist unsinnig. Il tentativo di trasformare il voto in un referendum sul governo appare maldestro“.
Diese Wahl, zu der über 13 Millionen Italiener aufgerufen waren, brachte ein neues Phänomen in Italiens Politik: „il voto a dispetto“, die Wahl, um jemand abzuschießen.

Tausende wählten nicht für, sondern gegen eine Person – in diesem Fall gegen Matteo Renzi. Ungeniert rief Lega-Chef Matteo Salvini seine Wähler dazu auf, für die Fünfsterne-Kandidaten zu stimmen – eine bizarre Allianz. Und nach der Wahl jubelte Salvini darüber, dass Renzi der eindeutige Verlierer sei. Über die schwere Niederlage seiner eigenen Partei, die sogar in ihrer unbestrittenen Hochburg Varese eine bittere Niederlage kassierte, verlor er kein Wort.

Ungewissere Zukunft

Nun wird das Anfang Oktober anstehende Verfassungsreferendum für Matteo Renzi zu einer problematischen Hürde. Ein unheilige Allianz, die von der Faschisten der Casa Pound über die Lega, Forza Italia, M5S bis hin zur extremen Linken reicht, will ihn endgültig aus der Politik verbannen und vorzeitige Neuwahlen herbeiführen – mit ungewissem Ausgang.
Gelingt ihnen das, müsste auch der abgeschaffte Senat wieder neu gewählt werden. In diesem Fall könnte Italien auch international in eine risikoreiche Situation schlittern.

Renzi wird zunächst versuchen müssen, seine tief gespaltene Partei zu einen. Auf den von ihm angedrohten Schneidbrenner wird er dabei verzichten müssen. Und wohl auch auf viele der gewohnt saloppen Sprüche. Noch vor dem Referendum könnte er zu erheblichen Zugeständnissen gezwungen sein, darunter zu einer neuerlichen Reform des Wahlrechts Italicum. Er wird seinen Reformkurs beschleunigen und notfalls seine Regierungsmannschaft durch neue Gesichter bereichern müssen. Fest steht: Die gufi, über die er bisher stets spotten konnte, sind für den Regierungschef urplötzlich einer ernsten Bedrohung geworden.