5-Sterne: Wer bestimmt den Kurs?
Luxushotel „La Scala“ im Zentrum Mailands: Am 14. Juli versammelten sich dort die Bürgermeister, Fraktionsvorsitzenden in Kommunal- und Regionalparlamenten und Kommunikationsverantwortlichen der 5-Sterne-Bewegung (5SB) zu einem „Meeting über Kommunikationsstrategien“. Ein hochpolitisches Thema für eine Bewegung bzw. Partei, die sich über das Netz definiert. Eingeladen hatten weder der „Garant“ der Bewegung Beppe Grillo noch das sogenannte „Direktorium“ , das – zumindest pro forma – eine Art Leitungsgremium darstellt, sondern Davide Casaleggio.
Wer ist dieser Herr, der wie selbstverständlich Mandatsträger und Repräsentanten staatlicher Institutionen zu sich bestellt, um ihnen Richtlinien für „Kommunikationsstrategien“ auf den Weg zu geben? Er ist der Sohn des vor kurzem verstorbenen Gianroberto, der seinerzeit ebenfalls die „graue Eminenz“ der grillinischen Bewegung war. Davide ist ihm als Vorsitzender des Unternehmens „Casaleggio Associati“ nachgefolgt. So wie früher der Vater, hat auch er innerhalb der 5SB keinerlei politische Funktionen, wurde von niemanden gewählt oder beauftragt und ist niemandem in der Bewegung verantwortlich.Die „Casaleggio-Dynastie“
Dafür ist der Einfluss der „Casaleggio-Dynastie“ – früher der Vater, jetzt sein Erbe – um so größer. Er ist weitreichender als der Grillos, dessen Metier öffentlichkeitswirksame Auftritte und populistische Provokationen sind, nicht strategische Entscheidungen. Schon vor dem Tod seines Vaters spielte der stille, hochintelligente Davide in der Bewegung – wenn auch im Hintergrund – eine tragende Rolle. Sein Spezialgebiet sind das „Online-business“ und die unternehmerische Nutzung von Web und sozialen Netzwerken, für die er nicht nur über eine exzellente technische, sondern auch methodische und strategische Kompetenz verfügt. Er ist der „Erfinder“ der lokalen grillinischen „meetups“ und hat in der 5SB das letzte Wort über die Zertifizierung von Mitgliedern, Kandidaturen und Rausschmisse. Die grillinischen Abgeordneten brachte er dazu, ihre usernames und passwords bei ihm abzulegen.
Davide Casaleggio ist also weit mehr als ein „technischer Berater“. Nun könnte man meinen, das sei ja doch wohl Sache der Grillini. Wenn sie es in Ordnung finden, dass ein Online-Unternehmer über ihre Kandidaten entscheidet oder ihre politische Repräsentanten zum Rapport bestellt, bitte schön. Warum sollen sich andere darüber den Kopf zerbrechen?
Nur eine „innergrillinische Angelegenheit“?
Ganz einfach, weil es sich nicht allein um eine “innergrillinische“ Angelegenheit handelt. Es geht nicht nur darum, dass die Einflussnahme und Befugnisse des Vorsitzenden der „Casaleggio Associati“ im eklatanten Kontrast zum Anspruch der 5SB stehen, in ihrem politischen und öffentlichen Handeln die höchste Transparenz zu gewährleisten und „basisdemokratischen“ Prinzipien zu folgen. Das könnte man noch achselzuckend als „internes Demokratiedefizit“ der 5SB verbuchen: Wer das hinnimmt und nicht dagegen aufmuckt, ist eben selber Schuld.
Aber die 5SB ist schon lange nicht mehr „nur“ eine schrille Protestbewegung in den Kinderschuhen. Sie ist inzwischen zur zweitstärksten politischen Kraft Italiens geworden, als deutlicher Sieger aus den Kommunalwahlen hervorgegangen und stellt in Metropolen wie Rom und Turin die Bürgermeisterinnen. Nach jetzigen Umfragen würde sie bei einer Stichwahl mit der PD wahrscheinlich vorne liegen und somit den Auftrag zur Regierungsbildung erhalten.
Deswegen haben ihre „inneren“ Angelegenheiten auch für die politische Zukunft Italiens eine große Relevanz. Genauso wie die innerparteilichen Kontroversen und Korruptionsfälle innerhalb der PD; oder die Frage, ob sich innerhalb der Rechten ein populistischer Hetzer wie Salvini als Leader durchsetzt.
Gewählte Bürgermeister, Mitglieder von Regions- und Gemeinderegierungen, Abgeordnete auf nationaler, regionaler und kommunaler Ebene tragen eine hohe Verantwortung. Deshalb ist es auch unerlässlich, dass sie der Verfassung, den Gesetzen und ihrem Gewissen verpflichtet und in ihrem Handeln zuallererst den Wählern und den demokratischen Institutionen rechenschaftspflichtig sind. Eigentlich.
Man stelle sich vor …
Deswegen ist es befremdlich, wenn ein Herr Casaleggio, der weder in der Partei noch sonstwo in irgendein Amt gewählt wurde und sich keinerlei demokratischen Kontrolle stellen muss, die grillinischen Mandatsträger zu sich ruft, um ihnen ihren strategischen Kurs mitzuteilen. Beim Mailänder Meeting lautete seine Parole, man solle eine „pragmatische Linie“ verfolgen und „sich regierungsfähig“ zeigen. Das ist zwar schön und gut und mir sogar sympathisch, aber die Frage bleibt: Was legitimiert ihn überhaupt dazu?
Man stelle sich den – gar nicht mehr so unwahrscheinlichen – Fall vor, der „Grillino“ Luigi Di Maio, derzeit Vizepräsident der Abgeordnetenkammer, wird der nächste Regierungschef Italiens. Und hat sich für sein politisches Handeln im Kabinett oder im Europarat vorher den Segen der „Casaleggio Associati“ zu holen. Ich fände es irgendwie beunruhigend.
Kleiner Trost: Auch einige Grillini sind über Davide Casaleggios Führungsanspruch nicht gerade begeistert. Es ist wohl kein Zufall, dass die „wichtigsten“ Bürgermeisterinnen der Bewegung, Virginia Raggi (Rom) und Chiara Appendino (Turin), zum Mailänder Meeting nicht erschienen. Allerdings haben sie, um nicht allzu aufmüpfig zu wirken, einen „Vertreter“ geschickt. Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste.
Ein Papst ist in der italienischen Politik unentbehrlich
Die alte DC regierte jahrzente lang immer nur mit Zustimmung des Vatikans. In der gleichen Zeit holte die kommunistische Opposition PCI die „Linie“ von Moskau. Berlusconi war selbr ein wenig Papst und ein wenig Sünder, er regierte mit Zustimmung seiner Steuerberater, Anwälte und Gechäftsführer seines Imperiums.
Es darf daher niemanden verwunder, dass auch die Bewegung 5 Sternen einen Papst benötigt. Ebenfalls jemand, der keine direkte politische Funktionen hat, aber die „Linie“ angibt und kontrolliert, ob sie verfolgt wird oder nicht. Es ist zwar traurig für diejnigen, die Demoktratie im Kapitalistischen System möglich halten, aber es ist leider so:Statskapitalismus (oft als „reeller Komunismus“ bezeichnet) oder Marktkapitalismus funktionieren nur jeweils mit der Konzentration der Entscheidungsmacht in sehr wenigen Händen. Die einzige Alternative wäre diese Machr dem Volk zurückzugeben, aber dies wäre „Populismus“, genau das, was beide Systeme zum Fall bringen würde.
„Die Macht dem Volk zurückgeben“ würde heißen, wieder bei Grillo, Erdogan, Orban und Putin zu landen. Und man wäre vom Regen in die Traufe gekommen. Die demokratischen Institutionen sind eigentlich dazu da, dem, was Sie für die reale Tendenz halten, eine Grenze zu setzen. Ich würde mich lieber an diese Institutionen halten und sie zu stärken versuchen.