Renzis Absturz

Ohne Worte

Ohne Worte

Das deutsche Wahrnehmung Renzis prägen noch die Bilder, die das Fernsehen über seine Brüsseler Auftritte liefert. Ein jungenhafter Mann, der mit den Granden von Gleich zu Gleich verkehrt: Umarmung mit Juncker und Schulz, Küsschen mit Merkel. Mancher mag noch an die Plumpheit Berlusconis im gleichen Kreis denken („Kuckuck!“ zu Merkel). Renzi hat solches nicht nötig – er ist sich dort seiner Position sicher. Nach dem Brexit wurde außer Hollande auch er nach Berlin eingeladen.

Dass zu Hause sein Stern schon fast versunken ist, passt nicht in dieses Bild. Aber es lässt sich nicht mehr leugnen. Gerhard Mumelter berichtete, dass die 5-Sterne-Bewegung der große Gewinner der Kommunalwahlen war. Hier wurden nicht nur ein paar lokale PD-Vertreter, sondern die gesamte PD abgestraft. Besonders der „Hauptfeind“ Renzi, Würde heute in Italien das neue Parlament gewählt, bekämen die Grillini die absolute Mehrheit der Sitze.

Wählerwanderung zu den Grillini

Der Lernprozess der italienischen Rechten, die im Bündnis mit der „Antipolitik“ Grillos ihre gesellschaftliche Mehrheit entdeckt, ist eine Tatsache. Die Wählerwanderung zwischen den Wahlgängen beweist es: In 20 Kommunen kam es zur Stichwahl zwischen einer PD-Liste und der 5-Sterne-Bewegung, in 19 gewann die 5-Sterne-Bewegung – auch dort, wo sie zunächst weit zurücklag. Stimmten hier im ersten Wahlgang 650 000 für die Grillini, so waren es bei der Stichwahl 1,1 Millionen – der Zuwachs kam vor allem von rechts. In Turin lag der bisherige Bürgermeister Fassino (PD) nach der ersten Runde bei 42 %, die Kandidatin der 5-Sterne-Bewegung bei 31 %. Bei der Stichwahl kam fast jede zweite Stimme, die sie erhielt, von der Rechten. Nun erreichte sie 57 %.

Zwar ist vorerst die Wand zwischen der Wählerschaft der Rechten und der 5-Sterne-Bewegung nur teildurchlässig: Im Kampf gegen den „Hauptfeind“ schwenkte bei der Stichwahl mehr rechte Wähler zu den Grillini über als Grillini zur Rechten. Aber von nun an gehörte es zum kollektiven Gedächtnis: Gemeinsam können wir „ihn“ schlagen. Auch dann, wenn es nicht mehr nur um Kommunalpolitik geht. Im Herbst kommt das Referendum über die Senatsreform. Warum sollen dann nicht die beiden „Anti-Renzi“-Lager, Rechte und Grillini, ergänzt durch den kleineren Stoßtrupp „linker“ Renzi-Hasser, erneut ihre Truppen zusammenführen? Dass das Referendum mit einem „Nein“ endet, ist fast sicher. Es würde das politische Schicksal Renzis schon vor der nächsten Wahl besiegeln – und damit das Chaos eines Europas, das nun schon den Brexit verkraften muss, nochmals erhöhen.

Wie ist es dazu kommen? Bei der Antwort konzentriere ich mich auf Ursachen, an denen Renzi eine für mich erkennbare Mitverantwortung trägt. Eine Ursache klammere ich aus: Dass er sein Versprechen eines ökonomischen Wiederaufschwungs bisher nicht eingelöst hat, trug sicherlich zur Entzauberung bei. Hier wurde sein Handlungsspielraum durch Faktoren eingeschränkt, die er „geerbt“ hat oder ihm aufgezwungen wurden: Staatsverschuldung, Produktivitätsrückstand, Austerity-Politik. Inwieweit dafür auch seine eigene Politik verantwortlich ist, müssen die Ökonomen entscheiden.

Der „Fall Rom“

Als Renzi im Dezember 2013 zum Generalsekretär der PD gewählt wurde, galt sie als Ansammlung von „Mini-Fürstentümern“. In Kommunen wie Rom ist sie regelrecht verludert, in Seilschaften zersplittert und von Korruption infiziert („Mafia capitale“). Renzi versprach Erneuerung. Aber die Kur, die er der PD verpasste, war vor allem ihre Fokussierung auf ihn, den einen Leader. Eine sorgfältige Durch- und Aufforstung, die auch für Nachwuchs gesorgt hätte, gab es nicht. Renzis Dauerfehde mit der PD-Linken nährte den verbreiteten Verdacht, die Partei in eine Akklamationsmaschine verwandeln zu wollen. Viele Aktivisten und früheren Wähler erlebten dies als territoriale Entwurzelung, verlorene Debattenkultur und abgewürgte Eigeninitiative.

Falsch gerechnet

In wichtigen Punkten hat Renzi die Lage falsch eingeschätzt – und sich selbst überschätzt. Er ging auf Konfliktkurs zur eigenen Linken und glaubte, dafür im Zentrum doppelt und dreifach kompensiert zu werden. Das grandiose Ergebnis der Europawahlen von 2014 schien es zu bestätigen. Aber genau das erwies sich als Falle. Renzi setzte die Demontage der eigenen Linken fort, machte sie damit zu seinem Todfeind und vergrätzte viele ehemalige Linkswähler. Gleichzeitig überschätzte er die Bereitschaft rechter Wähler, die Seiten zu wechseln. Statt in ihr Lager einzubrechen, gilt er nun für viele Linke als Renegat.

Mailand scheint das Gegenbeispiel zu sein – eine Täuschung. Obwohl es bei diesen Kommunalwahlen die einzige Millionenstadt war, in der ein Kandidat Renzis siegte, war es ein Sieg gegen Renzis Grundlinie. Zwar brachte er bei den Vorwahlen einen Kandidaten durch, mit dem er auf das Zentrum zielte. Aber das tat auch der Kandidat von Mitte-Rechts. Den Sieg hat Renzis Kandidat vor allem dem Glücksfall zu verdanken, dass ihm der bisherige Bürgermeister Pisapia im Wahlkampf nicht die Loyalität entzog, obwohl dieser in Renzis Koordinatensystem der radikalen Linken zuzurechnen ist. Die Stimmen aus dieser „Ecke“ waren es, die letztlich den Sieg sicherten.

Renzis Buhlen um das Zentrum droht im Desaster zu enden: Er opfert die eigene Linke, um einen zwielichtigen und korrupten Bündnispartner wie Verdini ins Boot zu holen. Was wenig Stimmen bringt, aber weitere frühere Wähler in die Wahlenthaltung oder Grillos Arme treibt.

Aus Hoffnungen werden Alpträume

Der Glaube, ins Zentrum vordringen zu können, die Überschätzung seines Prestiges und die Annahme, dass sich die Rechte schon nicht mit den Grillini gegen ihn zusammenzuschließen würden, führten zu weiteren Fehlern. Das im Herbst geplante Referendum über die Senatsreform ist ein wichtiger Baustein seines Gesamtplans. Mit seinem Prestige wollte er das Referendum zu einem rauschenden Erfolg machen, und mit diesem Erfolg in der Tasche würde der Rest der Legislaturperiode zum Spaziergang. Nun formiert sich wieder die Allianz, die schon bei den Kommunalwahlen seine Fährte aufnahm. Die Umfragen lassen Böses ahnen. Gegen die vielen Initiativen für das NEIN, die wie Pilze aus der Erde sprießen, versuchte Renzi, mit der Parteibasis eine Unterschriftensammlung für das JA anzuschieben. 500.000 sollten es bis Juli werden – bisher unterschrieb nur die Hälfte. Beim Referendum geht es schon längst nicht mehr um die Senatsreform. Es geht um IHN.

Als noch schwerwiegenderer Fehler könnte sich das neue Wahlgesetz erweisen, das „Regierbarkeit“ um jeden Preis durchsetzen soll: Wenn keine Partei auf Anhieb mehr als 40 % der Stimmen erhält, findet eine Stichwahl mit der zweitplatzierten Partei statt. Der Sieger bekäme als „Prämie“ auf jeden Fall die absolute Mehrheit der Sitze. Eben wurde das Ergebnis einer ersten Meinungsumfrage nach den Kommunalwahlen bekannt. Es ist niederschmetternd für die PD: Wären jetzt Wahlen, würde die 5-Sterne-Bewegung schon im ersten Wahlgang knapp vor der PD liegen. Die PD käme zwar noch in die Stichwahl, aber im zweiten Wahlgang würde ihr Rückstand auf 10 % anwachsen.

„Der Lack ist ab“

Zunächst schien Renzi den Typ des charismatischen Leaders zu verkörpern. Ein Abglanz dieses Charismas überlebt noch im deutschen Renzi-Bild, aber in Italien ist davon nichts mehr zu spüren. Heute wird deutlich, wie sehr Renzi in der Kontinuität Berlusconis auf den Effekt des puren „Neuen“ setzte. Berlusconis Trumpf war 1992 die Verkommenheit einer politischen Klasse, der er sich als das unverbraucht Neue entgegenstellte. Renzis „Verschrottung“ versprach Ähnliches: das inhaltsleer „Neue“, das „Machen“, die „Veränderung“. Warum er Letta im Februar 2014 als Regierungschef ablöste, wurde nie begründet – aber mit dem Bonus dessen, der „etwas macht“, zog er bei den Europawahlen im Mai 2014 fast 41 % der Stimmen auf sich. Nun beanspruchen eine Raggi in Rom und eine Appendino in Turin, ihrerseits das „Neue“ und „Unverbrauchte“ zu sein. Das genügt als Kompetenznachweis. Renzi ist eben „alt“, sein Verfallsdatum überschritten.

PS: ein persönliches Dementi. Mein letzter Beitrag enthielt einen Fehler. Ich glaubte, bei der 5-Sterne-Bewegung Ansätze zu einer Korrektur ihres europapolitischen Kurses zu entdecken. Ihre Führung hat inzwischen klargestellt: Eine solche Korrektur gibt es nicht. Sie will weiterhin raus aus dem Euro, auch wenn sie irgendwie in der EU bleiben möchte. Grillos Europaabgeordnete haben sich gerade wieder mit ihrem Fraktionsfreund Farage solidarisiert, Seite an Seite mit Le Pen und Salvini. Der Sog des Brexit ist zu stark.

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