Gründlich verrannt
Es gab in den letzten Jahren Augenblicke, in denen wir überlegten, ob wir unseren Blog nicht schließen oder zumindest umbenennen sollten. „Aus Sorge um Italien“ entstand, als Berlusconi noch fest im Sattel saß und das Land in einen ebenso korrupten wie autoritären Staat zu reiten schien. Als klar geworden war, dass seine politische Macht zerfiel und andere Regierungen ans Ruder kamen, gab es zwar weiterhin Anlass zur „Sorge“. Aber sie schien sich doch so weit zu relativieren, dass wir, wenn wir uns schon besorgen wollten, genauso gut auf Europa oder Deutschland konzentrieren konnten. Italien schien wieder auf dem Weg in die „Normalität“ – zwar nicht im Sinne einer prosperierenden Demokratie, aber doch eines Landes, das mit all seinen politischen, sozialen, ökonomischen und kulturellen Defekten irgendwie in den europäischen Durchschnitt gehört.
Jetzt aber ist etwas ins Rutschen geraten: in Europa, in den USA, in einer immer katastrophischer werdenden Welt. Etwas, das größer ist als die Folge dieses oder jenen politischen Missgriffs. Auch in Italien schlägt das Pendel zurück. Auch Renzi scheint auf eine Niederlage zuzusteuern, in deren Strudel ganz Europa geraten kann, mehr noch als durch den Brexit. Dass es in Frankreich nicht besser aussieht, ist kein Trost.
Das Kernproblem ist die Stagnation
Ich weiß, dass ich mich wiederhole: In Italien ist der Hauptgrund die wirtschaftliche Stagnation. Sie legt sich nun schon seit Jahren wie Mehltau auf das Land, auch wenn die Regierung versucht, sie durch mikroskopische Erfolgsmeldungen zu übertönen. Aber nicht an diesem oder jenem halben Prozentpunkt wird die Regierung gemessen, sondern an dem Versprechen, mit dem Renzi die Arena betrat: Mit ihm werde Italien „entblockiert“. Er hat zwar ein paar „Blockaden“ weggeräumt, aber damit eigentlich nur erreicht, dass er zum Favoriten der italienischen Wirtschaftsverbände und der New Yorker Bank JP Morgan wurde (siehe „Bankenrettung mit Vorbehalt“). Dafür, dass die Unternehmen wieder mehr investieren, reicht die Freundschaft nicht.
Das Ergebnis ist eine wachsende soziale Unzufriedenheit, die Renzi offenbar unterschätzt hat. Sein Vorhaben, das parlamentarische System Italiens mit institutionellen Reformen zu verschlanken, erscheint da wie das Ausweichen auf einen Nebenschauplatz. Da er aber nun einmal den Fehler beging, das anstehende Referendum auch zur Abstimmung über ihn selbst zu machen, droht es für ihn zur Falle zu werden.
Unausgegorene Reform
Die Reform wurde mit allzu heißer Nadel gestrickt. Nicht weil sie den „perfekten Bikameralismus“ beendet – das wäre ein Fortschritt -, sondern weil sie 1) die italienische Verfassungsarchitektur in Richtung auf mehr Zentralismus verschiebt, damit 2) reale Autonomiebestrebungen in den Nordregionen übergeht (siehe Kusstatschers Artikel vor einer Woche) und 3) in Verbindung mit dem neuen Wahlgesetz „Italicum“ allzu viel Macht in den Parteizentralen konzentriert. Was nicht nur viele Verfassungsrechtler auf den Plan ruft, sondern auch PD-Linke, die sich als Hüterin der Verfassung verstehen und gleichzeitig der eigenen Haut wehren. So werden nicht nur Wählerschichten mit Nein stimmen, die Renzi eins auswischen wollen, sondern auch PD-Stammwähler.
So wird es gegenwärtig immer wahrscheinlicher, dass das Referendum für Renzi verloren geht. Das wäre nicht nur das Scheitern seiner wichtigsten Reform, sondern wohl auch sein politisches Ende. Auf jeden Fall wäre er eine „lahme Ente“ – für einen Politiker, der ganz auf sein individuelles Charisma setzt, wäre es tödlich. Und er würde damit wohl auch die PD in den Abgrund reißen, denn er hat jede mögliche personelle Alternative (z. B. Letta) ins Abseits gedrängt.
Die Machtübernahme
Der nächste Schritt wäre die Übernahme der Macht durch die 5-Sterne-Bewegung. Wofür ihr Renzi selbst den Thron bastelte, in Gestalt der Mehrheitsprämie, welche die Liste mit den relativ meisten Stimmen in der Abgeordnetenkammer erhält. Denken wir diese Möglichkeit zu Ende: Damit käme eine „Bewegung“ an die Macht, die nicht nur den Kampf gegen die Korruption, sondern auch den Austritt aus dem Euro auf ihre Fahne schrieb. Ohne allerdings vorzurechnen, wie das gehen soll. Denn im Euro steckt ein doppeltes Problem: Einerseits verhindert er, dass Länder wie Italien, deren Problem der Produktivitätsrückstand ihrer Wirtschaft ist, durch Abwertung wieder wettbewerbsfähig werden. Andererseits betonen die Experten die Macht des Faktischen: Die Wiederabschaffung des Euro könnte nicht nur das restliche Europa, sondern auch Italien noch tiefer in die Rezession hineinreißen. Und anders als der Brexit auch zum politischen Ende Europas führen. Italien gehörte zu den Gründerstaaten der EU.
Kann sich Renzi da noch rauswinden? Was nicht nur den Betrachter, sondern auch die politischen Akteure lähmt, ist der Eindruck: Die Weichen sind gestellt. Ein plötzliches Wirtschaftswunder wird es bis zum Herbst nicht geben – die soziale Unzufriedenheit bleibt. Aus dem Referendum kommt Renzi – bei Strafe des politischen Selbstmords – zu diesem Zeitpunkt nicht mehr raus.
Könnte wenigstens der Bruch mit der eigenen Linken gekittet werden, so dass die PD wieder „kompakt“ würde? Von der gegenwärtigen PD-Führung gibt es schwache Signale, vielleicht doch zur Revision des Italicums bereit zu sein – immerhin sprach sich kürzlich auch Napolitano dafür aus. Es könnte die autoritären Implikationen der Senatsreform abmildern, was es wiederum der PD-Linken erleichtern würde, der Verfassungsreform zuzustimmen.
Vorwärts in die Niederlage
Es wäre ein Strohhalm, aber Renzi macht nicht den Eindruck, ihn ernsthaft ergreifen zu wollen. Denn es würde das Eingeständnis eines Fehlers bedeuten, wozu er nicht „der Typ“ ist. Zumal es schon der zweite Fehler wäre, da er gerade eben schon eingestehen musste, allzu sehr das Referendum „personalisiert“ zu haben. Seine Bereitschaft zur Selbstkritik scheint damit erschöpft. Zumal er eine bequeme Entschuldigung hat: Die Neufassung des Wahlgesetzes sei nicht Sache der Regierung, sondern des Parlaments. Und da kann er davon ausgehen, dass zwar eine parlamentarische Mehrheit das gegenwärtig geltende „Italicum“ ablehnt, aber unfähig ist, sich auf eine positive Alternative zu verständigen.
Bei den Grillini, die einmal zu den schärfsten Kritikern des Italicum und insbesondere der Mehrheitsprämie gehörten, kann die PD keine Unterstützung erwarten. Denn sie haben Aussichten, zu ihrem Profiteur zu werden. Und reagieren deshalb mit Hohn: ‚Solange ihr selbst davon profitieren konntet, wolltet ihr sie einführen. Jetzt, wo sie uns zu Gute kommt, wollt ihr sie wieder abschaffen‘. Das Argument macht zwar nicht einmal den Versuch, vom Gemeinwohl her zu argumentieren. Aber es trifft bei Renzi einen wunden Punkt: Genauso hatte er wohl kalkuliert.
Irgendwie möchte man nicht glauben, dass die PD-Führung sehenden Auges in die Niederlage marschiert. Aber es ist gegenwärtig nichts in Sicht, was den Showdown noch verhindern könnte. Dass Renzi schon beginnt, nach Schuldigen zu suchen („die Linken“, „das Parlament“), ist ein schlechtes Vorzeichen.