Compagno Buzzi
„Die römische PD ist korrupt, korrupt wie die rechten Parteien“. Unter den Römern ist es ein Gemeinplatz, hinter dem jahrzehntelange Erfahrung mit einer Serie linker Stadtregierungen steht (eine Serie, die nur einmal – 2008 bis 2013 – durch eine rechte Stadtregierung unter dem Neofaschisten Alemanno unterbrochen wurde, mit dem Rom vom Regen in die Traufe kam). Kein Wunder, dass sich bei der Gemeinderatswahl im Juni 60 % der Bürger, die überhaupt zur Wahl gingen, einer unbekannten Kandidatin der 5-Sterne-Bewegung in die Arme warfen. Obwohl es sein könnte, dass sich auch dieser Ausweg als Sackgasse erweist.
Bleibt die Frage: Wie konnte es dazu kommen? Denn zur Ahnengalerie der heute so brutal abgestraften PD gehört die KPI, die eurokommunistische Massenpartei, die zwar nie – auf Anweisung der USA – in die italienische Regierung aufgenommen wurde, aber in vielen Regionen, Provinzen und Gemeinden eine Verwaltung praktizierte, die sich wohltuend vom „Klientelismus“ der DC und ihrer Verbündeten unterschied. Und deren Generalsekretär Berlinguer einst die „moralische Frage“ ins Zentrum stellte, worin ihm allerdings die Chefs der KPI-Nachfolgeparteien nicht folgten. Ich maße mir nicht an, die Frage, warum dieses Erbe verspielt wurde, auch nur annähernd beantworten zu können. Aber ein Mosaiksteinchen könnte die Geschichte von Salvatore Buzzi (PD) sein, der im Zentrum der „Mafia Capitale“ steht, deren Aufdeckung zum Zusammenbruch der PD-Herrschaft über Rom führte.
Zunächst war Salvatore Buzzi nur ein junger Bankangestellter, der zum banalen Verbrecher wurde, als er sein Gehalt durch das Fälschen von Schecks aufzubessern begann. Er hatte in der Bank einen Komplizen, der sie einlöste. Als ihn dieser zu erpressen versuchte – mit der Drohung, ihn bei den Vorgesetzten anzuzeigen -, brachte ihn Buzzi mit 34 Messerstichen um. Er versuchte, sich der Leiche zu entledigen, indem er sie verbrannte. Aber er wurde gestört, sie verbrannte nur zur Hälfte, alles flog auf. 1980 wurde er wegen vorsätzlichen Mordes zu einer langjährigen Haftstrafe verurteilt.
Die Wiedergeburt
Denn für Buzzi war dies nicht das Ende seiner Geschichte, sondern das Vorspiel. Sein eigentliches Leben begann in der römischen Haftanstalt Rebibbia. Man könnte es auf zwei Weisen erzählen: Dass Buzzi einen Plan hatte, den er von Anfang an zielstrebig verfolgte. Oder dass er ein genialer Opportunist ist, der die Gelegenheiten so erhaschte, dass sie sich wie „von selbst“ zu einem Gesamtplan zusammenfügten. Ich neige zur zweiten Annahme.
Durch die italienischen Gefängnisse wehte in den 80er Jahren ein neuer Geist. Das Ziel war nicht mehr das einfache Wegschließen, das Vegetieren in stumpfsinniger Untätigkeit oder mit einer nicht weniger stumpfsinnigen Tätigkeit. „Resozialisierung“ hieß die Parole, und Rebibbia wurde zu ihrem Experimentierfeld. Künstler und humanistisch gesonnene Linke boten ihre Dienste an, als „freiwillige Helfer“, als Lehrer und Dozenten. Die Kirche und die Gefängnisleitung spielten mit. Anders als viele seiner Mithäftlinge, die in mürrischer Trägheit verharrten, griff der einsitzende Salvatore Buzzi zu. Er schrieb sich in Kurse ein, fing an zu studieren, legte eine Prüfung nach der anderen ab. Auch das Angebot, im Knast Theater zu spielen, nahm er an. Eine berühmte Journalistin, die Rebibbia besuchte, zeigte sich tief beeindruckt, wie er in einer internen Aufführung aus Sophokles‘ Antigone rezitierte. 1983 machte er als erster Häftling seinen Doktor, mit einer Arbeit über „Pareto, den Ökonomen“, an der geisteswissenschaftlichen Fakultät der römischen Universität. Sie wird mit „110 e lode“ bewertet, was bei uns dem „summa cum laude“ entspricht. Die Priester und linken Resozialisierer sind entzückt: Buzzi, der Mörder, ist ein neuer Mensch geworden.Vorbereitung auf das „Leben danach“
Dann engagiert er sich auch noch sozial. Er benennt, nicht ohne Risiko, Wärter, die Gefangene misshandeln; setzt sich dafür ein, dass die Insassen, wenn sie von ihren Freundinnen oder Freunden besucht werden, mit ihnen auch allein sein können; macht sich Gedanken über die Schwierigkeit von Ex-Häftlingen, „draußen“ Arbeit zu finden. Er wird zum „Compagno“. Und entwickelt Kreativität und Beharrlichkeit: 1984, noch während er sitzt, erreicht er in Rebibbia mit Unterstützung eines Priesters, verschiedener KPI-Honoratioren und des römischen Bürgermeisters die Abhaltung eines „Konvents“. Dessen wichtigstes Ergebnis ist die Gründung der „Kooperative des 20. Juni“, die seine Handschrift trägt. Sie hat edelste soziale Ziele: Entlassene Häftlinge sollen in ihr Arbeit finden und für eine saubere Umwelt sorgen, d. h. Grünbereiche schaffen und erhalten, Abfälle sammeln, sich um Roma-Lager kümmern usw.
Buzzi, der „Modellhäftling“, wird schon 1986 zum Freigänger und 1994 von Staatspräsident Scalfaro begnadigt. Und scheint auch danach alle in ihn gesetzten Erwartungen zu erfüllen, als er „seine“ Kooperative beginnt. Von Anfang an mit dem Rückenwind von mächtigen Gönnern in der Stadtverwaltung, die für öffentliche Aufträge und Vergünstigungen sorgen (es ist ja für eine gute Sache). Dass sich auch Buzzi gegenüber seinen Gönnern großzügig zeigt, festigt die Beziehungen. Die Tätigkeit der Kooperative verändert und erweitert sich, sie steigt schließlich auch ins Geschäft mit der Unterbringung und Versorgung von Flüchtlingen ein. Als die Staatsanwaltschaft gegen Buzzi zu ermitteln beginnt und seine Telefongespräche abhört, fällt ein plötzlicher Lichtstrahl ins Dunkel der Motive: „Mit den Flüchtlingen“, erklärt er einem Kumpel, „kannst du mehr Geld machen als mit Drogen“.
Mafia Capitale
Was Buzzi schützte, jahrzehntelang, war die Intransparenz seiner Unternehmungen, die nach außen hin das Gütesiegel „sozial“ tragen. Die roten Linien wurden im Verborgenen überschritten. Seitdem die Staatsanwaltschaft ermittelt, wird das ganze Ausmaß des Gebens und Nehmens erkennbar: Wie ihm seine Kontaktleute in Politik und Verwaltung die Aufträge zuschusterten, wie er sie mit Geld und Wählerstimmen schmierte und in Abhängigkeit brachte. Wer in der römischen Politik etwas werden will, stattet erst einmal Buzzis Kooperative einen Besuch ab. Buzzi zahlte für Renzis Leopolda-Projekt, für Marinos Wahlkampf, zuletzt sogar den Angestellten der römischen PD einen festen Teil ihres Gehalts. Erst später wurde bekannt: 2008 finanzierte er auch Alemannos Wahlkampf, der doch eigentlich der politische Gegner sein müsste. Heute weiß man: Die beiden kannten sich schon aus dem Knast: 1982, als Buzzi in Rebibbia zum Modellhäftling wurde, traf er auf den einsitzenden Neofaschisten Alemanno und auf den rechtsradikalen Schläger Carminati. Die Verbindung hielt, mit Carminati bildete er die „Kuppel“ der „Mafia Capitale“.
Sie war kein Ableger der Camorra, `Ndrangheta oder Cosa Nostra, die schon feste Strukturen hatten. Sondern ein römisches Eigengewächs, Buzzis Gewächs. Einige Bedingungen ihrer Entstehung lassen sich allerdings benennen.
Die Bedingungen von Buzzis Aufstieg
Da waren erstens die humanitär gesonnenen Resozialisierungsförderer, die reinen Herzens glaubten, dass sich auch die schlimmsten Verbrecher ändern, wenn man sie nur ins entsprechende Biotop verpflanzt. Und dabei nicht in Rechnung stellten, dass man sie auch täuschen könnte. Einer Figur wie Buzzi halfen sie, sich neu zu erfinden. Sie formten ihn scheinbar neu, sorgten für seine vorzeitige Entlassung, vermittelten ihm die anschließenden Connections.
Da war er zweitens selber, ebenso amoralisch wie hochintelligent, mit einem starken Willen zur Selbstbehauptung und dem guten Gespür für die Chancen, die ihm die Umstände boten. Und womit er die neuen Gönner für sich einnehmen konnte: Theaterspiel, Engagement für seine Mithäftlinge, für die Umwelt und schließlich sogar für die Flüchtlinge (wobei es, unter strategischen Gesichtspunkten wichtig, immer um „Staatsknete“ geht).
Und da war drittens die römische PD, die in dieser Geschichte eine nicht weniger düstere Rolle als Buzzi spielt. In der einige vielleicht anfangs noch glauben wollten, beim Aufbau der „Geschäftsbeziehungen“ zu Buzzi auch einer „guten Sache“ zu dienen. Die sich dann aber offenbar widerstandslos und ohne alle „Antikörper“ zu Mitspielern eines Systems machen ließen, in dem alle roten Linien zur Korruption überschritten wurden.
Nun sitzt Buzzi wieder, 22 Jahre nach seiner Begnadigung, und wartet auf das Ende des zweiten Prozesses seines Lebens. Diesmal ist er nicht der einzige Angeklagte. Und diesmal haben sie ihn – vorsichtshalber – nicht in Rebibbia untergebracht.