Zerrüttete Ehe

Die fraktionierte PD-Führung verhält sich wie das Ehepaar, das sich eigentlich nur noch hasst und nach Scheidung sehnt. Aber wo niemand die Initiative zur endgültigen Trennung ergreift, weil es gegenüber dem Scheidungsrichter (in diesem Fall der „Basis“) günstiger ist, sich als Opfer zu präsentieren. Obwohl das Zusammenleben zunehmend unhaltbar wird.

Die Direktoriumssitzung

Am 10. Oktober tagte das Direktorium der PD. Eigentlich ist es seine Aufgabe, bei wichtigen Meinungsunterschieden nach Lösungen und notfalls Kompromissen zu suchen, um die Handlungsfähigkeit der Partei zu erhalten. Denn es gibt heftigen Streit zwischen Renzis Mehrheit und seiner linken Minderheit: Die Linke hält die Senatsreform für mangelhaft, würde sie aber widerwillig mittragen, ginge es nur um sie. Aber aus ihrer Sicht ist es die Kombination der Senatsreform mit dem neuen Wahlgesetz „Italicum“, welche die bisherige Verfassungsarchitektur in Richtung auf eine Präsidialverfassung verändern würde. Also will die Linke der Senatsreform nur dann zustimmen, wenn es ein neues Wahlgesetz gibt, das weniger präsidial ist. Und dies alles wenige Wochen vor dem näher rückenden Referendum am 4. Dezember, dessen Ergebnis nach allen Umfragen auf der Kippe steht und eigentlich eine geschlossen auftretende PD erforderlich machen würde.

Diesmal waren es die Linken, die sich besonders ruppig verhielten. Während sich Speranza und Cuperlo wenigstens noch an der Diskussion beteiligten, indem sie ihr Ultimatum wiederholten, erklärte Bersani schon am Vortag dem „Corriere“, dass er beim Referendum auf jeden Fall mit „Nein“ stimmen werde. In der Sitzung sagte er dann kein Wort. So verhält sich, wer schon die Brücken abgebrochen hat – ausgerechnet Bersani, der Parteisoldat, der so gern zeigt, dass er Jedermanns Kumpel ist.

Vorschlag zur Güte?

Demgegenüber scheint Renzi gespürt zu haben, dass er diesmal nicht wieder den Leader herauskehren durfte, der mit den Dissidenten Schlitten fährt. Also zeigte er Entgegenkommen: Eine innerparteiliche „Kommission“ solle gebildet werden, die einen Vorschlag für ein verändertes Wahlgesetz erarbeitet. Wofür Renzi sogar zur Diskussion stellte, was für ihn bis dahin unantastbar schien: Stichwahlen, Zuschnitt der Wahlkreise, Mehrheitsprämie, Präferenzen. Auch die Senatoren könnten vielleicht doch, und zwar direkt, vom Volk gewählt werden. Eine weitgehende Öffnung, wäre sie ernst gemeint.

Leider hat Renzis Entgegenkommen den Schönheitsfehler, dass aus seiner Sicht die Kommission ihre Arbeit erst nach dem Tag des Referendums aufnehmen soll. Worin die Linke sofort den Pferdefuß erkannte: Erst soll sie Renzi beim Referendum unterstützen, im Vertrauen darauf, dass er nach gewonnener Schlacht in der „Kommission“ auch den Entwurf eines neuen Wahlgesetzes zulässt, der dann von der gesamten PD getragen würde – was aber nur die halbe Miete wäre, denn dann müsste dieser Vorschlag auch noch in beiden Kammern eine Mehrheit finden. Ein Verfahren mit vielen Unbekannten, das aber heute der Linken das Druckmittel aus der Hand schlagen würde, über das sie noch zu verfügen glaubt: die Bindung ihres Jas zum Referendum an die Garantie eines demokratischeren Wahlgesetzes.

Das Misstrauen bleibt

Mangels eines besseren Vorschlags und angesichts des nahenden 4. Dezembers ließen sich die Linken auf Renzis „Kommissions“-Vorschlag ein (sofern sie sich nicht einfach der Abstimmung entzogen, indem sie den Sitzungsraum verließen) – wer kann schon innerhalb von 6 Wochen ein neues Wahlgesetz über alle Hürden bringen? Trotzdem fühlen sie sich taktisch überspielt. Ihr Vorbehalt ist klar: Wenn Renzi Anfang Dezember (mit ihrer Hilfe) das Referendum gewinnt, wird er sich dann noch an das Zugeständnis erinnern, das er ihnen heute ankündigte?

      Cuperlo und Renzi

Cuperlo und Renzi

So endete die Direktoriumssitzung nur mit einer Scheineinigung: Renzi zeigte sich „offen“ für Änderungen am Wahlgesetz, ohne zu spezifizieren, welche. So dass sich auch die Linke hüten wird, beim Referendum für ein klares Ja zu votieren. Das Bild kompakter Geschlossenheit, das sich Renzi wünscht, kommt gerade nicht zustande. Cuperlo, der vielleicht letzte noch vorhandene Brückenbauer zwischen der zerstrittenen Fraktionen, machte schon mal deutlich, dass er nicht gedenkt, sich an Renzis Zeitvorgabe zu halten. Er gebe der Kommission von nun an zwei Wochen Zeit – dann werde abzusehen sein, ob man mit ihr „weiter kommt“. Sei dies dann nicht der Fall, werde er am 4. 12. mit Nein stimmen und sein Abgeordnetenmandat zurückgeben. Die Drohung bleibt bestehen.

In Wahrheit gibt es zwischen Renzis Mehrheit und der Linken nur Misstrauen. Gerade jetzt, wo es eigentlich darauf ankäme, alle Kräfte der PD zu bündeln, zeigt es seine zerstörerische Kraft.

Renzis Mitverantwortung

In unserem Blog beschäftigten wir uns schon öfter mit der Frage, wie Renzis Niedergang zu erklären ist. Der wechselseitige Hass zwischen Renzi und der eigenen Linken ist inzwischen zum eigenständigen Faktor der italienischen Innenpolitik geworden. Zu diesem Hass tragen beide Seiten bei – die Neigung der Linken zum Sektierertum ist bekannt. Aber auch Renzi trägt dafür ein gerüttelt Maß Mitverantwortung. Schon als er die nationale Bühne betrat, tat er es in erster Linie mit dem eigentlich unpolitischen Versprechen, das Alte zu „verschrotten“ – warum? Weil es alt ist. Dies erzeugte Hass, weil es nicht nur innerparteiliche „Fürstentümer“ angriff, sondern Traditionen einebnete, die zum positiven Erbe von Urmutter KPI gehören: trotz traditioneller Zerstrittenheit Koexistenz des Verschiedenen, trotz individualistischer Ichbezogenheit auch Mannschaftsgeist. Die „Verschrottung“ lenkte den Blick stattdessen auf den einen Leader, der alles richtet. Die Linke ist überzeugt, dass Renzi sie hinausdrängen will, um die PD in eine zentristische und auf seine Person ausgerichtete „Partei der Nation“ umzuwandeln. Und beantwortet dies mit der Versuch ihrer identitären Selbstbehauptung, indem sie sich mit Renzi auf ein nicht endendes innerparteiliches Duell einlässt.

Es ist kein Trost, dass es nicht nur die PD ist, die zerfällt. Fast überall befinden sich die Sozialdemokratien in der Krise. Das Ende des nach dem 2. Weltkrieg eingegangenen Klassenkompromisses, der Zusammenbruch des realen Sozialismus, die Finanzkrise und die zunehmende Migration nagen am Fundament der europäischen Wohlfahrtsstaaten, deren wichtigste Botschafter und Verteidiger nun einmal die Sozialdemokratien sind. Nicht nur in Deutschland läuft ihnen das Personal weg – wer sich engagieren will, tut es woanders. Ihre Wählerschaften werden Treibsand, ihre Leader qualifizieren sich noch als smarte „Macher“, deren Verfallszeiten jedoch kürzer werden. Renzi scheint dafür ein Beispiel zu sein.

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