Erdbeben, materiell und spirituell
Wir Deutschen kennen Sturmfluten, Überschwemmungen und Kriege, Erdbeben hingegen meist nur als Metapher oder vom Hörensagen. Italien ist von vielem geschlagen, zum Überfluss auch noch von ihnen. Nur selten erreichen uns Berichte von Italienurlaubern, die zufällig ein Beben miterlebten: Es kündige sich durch ein eigenartiges Getöse an („Boato“), dann gerieten die Gebäude in vibrierende Bewegung, in deren Mauern sich Risse bilden. Noch Glück gehabt, würden italienische Bergbewohner kommentieren, die sich in größerer Nähe befanden. Sie berichten von einem heftigen gewalttätigen Schütteln, das alles erfasst, den Erdboden, die Straßen, ganze Dörfer und Städte. Ruinen erzählen den Rest: Erdspalten öffnen sich, Hänge rutschen, Mauern brechen seitlich weg, Decken stürzen ein. Die Beben im Apennin kommen nicht nur vereinzelt, sondern meist in Serien, die sich über Wochen und Monate hinstrecken können, ohne an Stärke zu verlieren. Die Zerstörung, welche die ersten Beben nur beginnen, vollenden die späteren. Bis alles nur noch ein Trümmerfeld ist.
Geologische Erklärung
Die Historiker berichten, dass der ganze Gebirgszug des Apennin, vom hohen Norden bis zum tiefen Süden, schon immer Erdbebengebiet war, und die Geophysiker fügen hinzu, dass dies auch in Zukunft so bleiben wird. Als Laie übersetze ich mir ihr Erklärungsmodell so: In Italien treffen zwei Kontinentalplatten aufeinander, die sog. afrikanische auf die eurasische, und eine kleinere („adriatische“), über deren Zugehörigkeit zur afrikanischen Platte sich die Gelehrten noch streiten, die wie ein Sporn nach Norden in die Adria hinaufragt. Auf jeden Fall drücken die afrikanische und die adriatische Platte die italienische Halbinsel gemeinsam Richtung Nordosten. Was sich auf den Apennin auswirkt, der entlang der Bruchlinie zwischen der afrikanisch-adriatischen und der eurasischen Platte entstand: Er befindet sich in einer permanenten Dehnungsspannung zwischen Nordost und Südwest, wie ein Baguette, das jemand von oben nach unten zerreißen will. Das Ergebnis sind ruckartige und sich wiederholende Ausgleichsbewegungen, die Teile des Apennins nach unten sinken lassen und sich als „Erdbeben“ manifestieren.
Die ewige Rückkehr
Schaut man sich eine Karte an, auf der die seismischen Gefahrenstufen der italienischen Halbinsel eingezeichnet sind (hohe Gefahr: blau und lila; erhöhte Gefahr: rot und gelb; mittlere Gefahr: grün und blau; geringe Gefahr: grau und weiß), mag einem der Gedanke kommen, dass große Gebiete Italiens eigentlich sofort evakuiert werden müssten, und zwar auf unabsehbare Zeit. Aber der Gedanke ist müßig, denn Erdbeben gibt es in Italien schon länger als das Jahrtausende alte Rom, und die Geschichte zeigt, dass die Menschen früher oder später immer wieder in die gefährdeten Zonen zurückkehren, obwohl sie schon verschiedentlich verwüstet wurden. Selbst der Vesuv, der die schrecklichsten Zerstörungen verursachte und jederzeit wieder ausbrechen kann, macht hier keine Ausnahme (auch wenn die neuen Ansiedlungen für „illegal“ erklärt werden). Jetzt gelingt es den Behörden nicht einmal, alle Bewohner der Bergdörfer, deren Häuser durch die Erdbeben zu Schutt oder zumindest unbewohnbar geworden sind, für ein paar Monate in Hotels an der Küste zu evakuieren. Sie wollen in der Nähe bleiben, aus oft handfesten Gründen: ihre dort noch stehenden Tiere, ihr unter den Trümmern gebliebenes und noch verwertbares Eigentum, um das schon die menschlichen „Schakale“ kreisen. Oder um möglichst gleich mit dem Wiederaufbau beginnen zu können.Instrumentalisierungen
Die Regierung verspricht vollständigen Wiederaufbau und legt sich für die Finanzierung spektakulär mit der EU-Kommission an. Was populär ist, worauf allerdings schon ein paar Schatten fallen: Erstens liegen die dafür konkret im Haushalt bereitgestellten Gelder noch weit unter dem Milliarden-Bedarf, den Italien in Brüssel angemeldet hat – was den Verdacht nährt, dass das Stichwort „Erdbeben“ auch ein Vorwand ist, um mit Blick auf das bevorstehende Referendum Wahlgeschenke zu verteilen: 14. Monatsgeld für Rentner, Müttergeld usw. Zweitens ist unklar, in welchem Ausmaß die Vergabe der für den Wiederaufbau in Aussicht gestellten Gelder auch wirklich an die Minimalbedingung geknüpft wird, dass endlich die Regeln der Erdbebenprävention beachtet werden. Auch gegen den Druck des So-schnell-und-so-billig-wie-möglich.
Wenigstens für eines scheint die Regierung sorgen zu wollen: dass es nicht die Camorra oder die N’Drangheta sind, die am Wiederaufbau verdienen. Bekanntlich hat die Mafia längst entdeckt, welche Möglichkeiten in solchen Großkatastrophen stecken. Renzi hat – auch das ist Prävention – seinen Anti-Korruptionsbeauftragten Cantone zum Wächter ernannt.
Die Strafe Gottes
Die Erdbeben haben wieder eine Kontroverse um ihre spirituelle Bedeutung entfacht. Den Anfang machte der israelische Vizeminister Ayoub Kara von der Likud-Partei, der Ende Oktober mit einer Regierungsdelegation Rom besuchte, um sich im Vatikan über einen kritischen Unesco-Beschluss zur israelischen Politik in Ost-Jerusalem zu beschweren (die italienische Unesco-Vertretung hatte sich bei der Abstimmung enthalten). Als während seines Aufenthalts in Rom die Erde bebte, erklärte Ayoub Kara, die Erdbeben seien die „Strafe Gottes“ für den Unesco-Beschluss. Anfang November zog der katholische Privatsender „Radio Maria“ nach, in dem ein Padre Cavalcoli die gleiche Verbindungslinie zog – nur dass er diesmal die Sünde, auf die Gott mit den Erdbeben reagierte, im Beschluss des italienischen Parlaments sah, homosexuelle Partnerschaften anzuerkennen. Was wiederum einen vatikanischen Staatssekretär auf den Plan rief, der diese These mit dem Hinweis zurückwies, sie sei noch einer vorchristlichen Theologie verhaftet, die den strafenden und nicht barmherzigen Gott in den Mittelpunkt stelle. Zum Glück hängt auch Papst Franziskus der Barmherzigkeit an, obwohl auch er meint, dass die Ehe zwischen Homosexuellen nicht zum „Plan Gottes“ gehöre.
Ayoub Kara hat sich inzwischen (auf Anweisung der israelischen Regierung) entschuldigt, Padre Cavalcoli nicht. Die Heilige Schrift, erklärte er, berichte immer wieder von göttlichen Strafaktionen. Aber Satan sei ja längst auch in den Vatikan eingezogen, siehe die dort gerade stattfindende Aufwertung des Häretikers Luther. Auch das, so verstehe ich Cavalcoli, könnte die Erdbeben mitverursacht haben.
Gestern La 7: Staatsanwalt: die Ndrangheta sei inzwischen so etabliert. dass sie alle staatlichen Bauprojekte – zumindest – mitbestimmt. Versagen der Politik.
Nicht dieser, sondern Renzis Transparenz-Versprechen zum Wiederaufbauen muessten dies endlich auch beinhalten und erklaeren.
Abgesehen von der Sinnhaftigkeit ohnehin schon halbverlassene Bergdoerfer, von denen es unendlich viele gibt, aus kunstihistorischen Gruenden zu enormen Kosten wieder historisch aufzubauen. In Umbrien wurde dies nach dem letzten Erdbeben gemacht. Es dauerte ewig, die Doerfer stehen prachtvoll da, leer. Da die Einwohner sich inzwischen andere Existenzen aufgebaut haben.