Recht auf Abtreibung faktisch ausgehöhlt
Die italienische Bischofskonferenz und die Gesundheitsministerin Beatrice Lorenzin (Nuovo Centrodestra) sind empört. Sie werfen der Region Latium vor, Ärzte zu diskriminieren, die nur ihr Recht wahrnehmen, aus Gewissensgründen keine Abtreibungen vorzunehmen. Regionspräsident Zingaretti (PD) sowie viele Andere (Juristen, Vertreter politischer Parteien, Frauen- und auch Ärzteverbände) berufen sich stattdessen auf die Notwendigkeit, das Gesetz 194 umzusetzen, das Frauen unter bestimmten Bedingungen das Recht auf einen legalen Schwangerschaftsabbruch zuerkennt. Dieses 1978 verabschiedete und 1981 durch ein Referendum bestätigte Gesetz sieht vor, dass Frauen in öffentlichen Krankenhäusern innerhalb einer Frist von 90 Tagen ab Schwangerschaftsbeginn kostenlos einen Abbruch vornehmen lassen können.
Hintergrund der heftigen Auseinandersetzung sind zwei Frauenarztstellen, welche die Region für das römische Krankenhaus San Camillo ausschrieb und die sich ausdrücklich auf das Durchführen von Schwangerschaftsabbrüchen bezog. In diesem Krankenhaus liegt die Zahl der Ärzte, die dies aus Gewissensgründen verweigern, bei über 80%.
„Gewissensgründe“ oft nur Vorwand
Die gezielte Ausschreibung diene dazu, den betroffenen Frauen ihren gesetzlichen Anspruch auf einen legalen Schwangerschaftsabbruch zu garantieren, erklärte Zingaretti. Sie formuliere die ärztliche Tätigkeit, die in diesem Krankenhaus dringend benötigt wird und auch Teil des Vertrags werden soll. Dass Ärzte, die dazu aus Gewissensgründen nicht bereit sind, von dieser Ausschreibung nicht angesprochen werden, stelle keine Diskriminierung dar.
Das Problem, das sich akut im Krankenhaus San Camillo stellt, ist kein Einzelfall. Der Anteil der Ärzte, die in Italien aus Gewissensgründen Schwangerschaftsabbrüche verweigern, ist enorm hoch: er liegt im nationalen Durchschnitt bei über 70%, in einigen Regionen sogar noch viel höher (Molise 93,3%, Basilicata 90,3%, Sizilien 87,6%). In einigen Krankenhäusern, wie z. B. dem römischen Policlinico, beträgt er fast 100%.
Dass alle Ärzte, die Gewissensgründe anführen, es tatsächlich aus ethischer Überzeugung tun, wird allerdings – auch in ärztlichen Fachkreisen – bezweifelt. Viele schöben Gewissensgründe vor, um sich einer Aufgabe zu entziehen, die als wenig karriereförderlich, fachlich uninteressant und obendrein psychisch belastend gilt. Die wenigen Frauenärzte, die doch dazu bereit sind, würden oft dazu verdonnert, sich fast ausschließlich dieser Aufgabe zu widmen, weshalb sie dann für „höhere“ Aufgaben kaum noch in Betracht kommen. Womit sich die Katze in den Schwanz beißt .
Illegale Abtreibungen nehmen zu
Die Konsequenz ist, dass vielerorts die Geltung des 194er Gesetzes de facto ausgesetzt ist. Für die betroffenen Frauen bedeutet dies, dass sie in ihrer Nähe keine Struktur finden, in der sie den Abbruch legal vornehmen lassen können. Sie müssen dann versuchen – unter dem zeitlichen Druck der Fristenregelung –, entweder in kilometerweit entfernten Orten doch noch ein Krankenhaus zu finden oder sich an illegale „Engelsmacher/innen“ zu wenden, mit hohen Risiken für ihre Gesundheit. Die Frauenärztin Silvana Agatone ist Vorsitzende des Verbandes „Laiga“, der sich seit langem für das Recht der Frauen auf Abtreibung und dessen Umsetzung engagiert. Sie berichtet, dass zu ihrem Verband immer mehr Frauen kommen, die Opfer unprofessionell und manchmal auch brutal durchgeführter Abtreibungen sind – oft mit schweren Blutungen und lebensgefährlichen Verletzungen. Migrantinnen, die sich mit den Strukturen des Gesundheitswesens nicht auskennen, seien davon besonders stark betroffen. Agatone hält die Behauptung der Gesundheitsministerin, es herrsche kein Notstand, die Anzahl der Abtreibungen nehme doch ab, für Unsinn: denn die Statistik erfasse nur die Zahl der vorgenommenen Abbrüche, nicht aber die Zahl der Frauen, die ohne Erfolg einen Abbruch beantragen, und sage über die Dunkelziffern bei illegalen Abtreibungen ohnehin nichts aus.
Mit der gezielten Stellenausschreibung reagierte die Region Latium auf eine unhaltbar gewordene Situation. Doch statt sich darum zu kümmern, dass die gesetzlichen Bestimmungen umgesetzt und die Gesundheit der betroffenen Frauen geschützt wird, gilt die Sorge der Ministerin nur der „Diskriminierung“ von Ärzten, die – weil „obiettori“ („Gewissensverweigerer“) – von einer solchen Ausschreibung ausgeschlossen werden.
„Das Krankenhaus San Camillo braucht aber nicht allgemein Frauenärzte, sondern Frauenärzte, die bereit sind, das Gesetz 194 anzuwenden“ schreibt der Regionalsekretär der Ärztegewerkschaft „FASSID“, Stefano Canitano, in einem offenen Brief an den Vorsitzenden des örtlichen Ärzteverbandes, der das Vorgehen der Region Latium vehement kritisiert hatte. Gezielte Stellenausschreibungen seien legitim und sachgerecht, betont Canitano, und nennt ähnliche Beispiele auch aus anderen medizinischen Bereichen. So sei vor kurzem – ebenfalls für das San Camillo – eine leitende Stelle speziell für Interventionelle Radiologie (und nicht allgemein für Radiologie) ausgeschrieben worden, ohne dass dies irgendjemand als „diskriminierend“ für Radiologen ohne eine solche Spezialisierung beanstandet hätte. Und fragt dann etwas polemisch: „Oder kannst Du dir vielleicht vorstellen, dass man für Bluttransfusionen einen Zeugen Jehovas anstellt?“.
Bischofskonferenz mischt sich massiv ein
Besonders problematisch an dem Konflikt ist die massive Einmischung der katholischen Kirche, vertreten durch die italienische Bischofskonferenz und deren Vorsitzende Kardinal Bagnasco. Das Gesetz solle in erster Linie dazu dienen – so Bagnasco -, um Abtreibungen zu vermeiden und nicht zu „begünstigen“. Das Vorgehen der Region Latium würde den „angeblichen“ (!) Anspruch von Frauen auf legalen Schwangerschaftsabbruch unzulässig gegenüber dem Recht von Ärzten, dies aus Gewissensgründen abzulehnen, bevorzugen.
Mit seinen Äußerungen unterstellte Bagnasco auch, dass die Region keine präventiven Angebote vorhält (was nicht stimmt) und sich Frauen „leichten Herzens“ für eine Abtreibung entscheiden (was erst recht nicht stimmt). Er möchte das Recht von Ärzten auf (reale oder vorgetäuschte) Gewissensgründe gewährt gesehen, nennt aber das Recht der Frauen auf legale Abbrüche, wie im Gesetz vorgesehen, einen „angeblichen“ Anspruch. Der Kern ist, dass die katholische Kirche dieses Recht in Wahrheit nicht anerkennt. Schon gar nicht in Italien, das sie eigentlich immer noch – Franziskus hin oder her – als eigenes Hoheitsgebiet begreift.
Dass die Gesundheitsministerin dem keinen Riegel vorschiebt, sondern ins gleiche Horn bläst, ist erst recht unakzeptabel. Ministerpräsident Gentiloni sollte sich hier eindeutig positionieren und seine Ministerin nachdrücklich daran erinnern, dass es ihre Aufgabe ist, für den Schutz der Gesundheit der Bürger(innen) und die Umsetzung der bestehenden Gesetze zu sorgen. Und nicht, dagegen zu schießen.