Nach der Spaltung

Orlando, Renzi, Emiliano

Orlando, Renzi, Emiliano

Es ist also geschehen, die PD ist gespalten. Was noch fehlt, ist die notarielle Beglaubigung. Zur Direktionssitzung am Dienstag erschien die Parteilinke schon gar nicht mehr – zumindest die Gruppe um Pier Luigi Bersani, Renzis Vorgänger als PD-Generalsekretär, und Enrico Rossi, der Regionalpräsident der Toscana, der bei den bevorstehenden Primarie eigentlich gegen Renzi antreten wollte. Wer noch kam, war Gianni Cuperlo, der selbstlose „Pontiere“ („Brückenbauer“), der nun mit leeren Händen dasteht. Und nach langem Schwanken Michele Emiliano, der Gouverneur Apuliens, der ankündigte, gegen Renzi kandidieren zu wollen, zu dem er aber wohl die schwächere Alternative darstellt. (Inzwischen hat auch noch der amtierende Justizminister Orlando seine Absicht bekundet, gegen Renzi anzutreten).

Abgewickelte Einheit

Am gleichen Dienstagabend ließ Bersani im Fernsehen erkennen, wie zerschnitten das Tischtuch bereits ist. Mit der Schuldfrag hielt er sich gar nicht mehr auf: Ihm sei „nicht danach“, Parteimitglied zu bleiben, und auch nicht, noch an dem bevorstehenden Kongress teilzunehmen. Eine locker-flockige Beschreibung eigener Befindlichkeit, die ein wenig zweifeln lässt, ob sich Bersani eigentlich bewusst ist, was auf dem Spiel steht.

Man verhielt sich wie das Ehepaar, das sich scheiden lassen will und noch einen letzten amtlichen Versöhnungsversuch über sich ergehen lassen muss. Zu dem es schon nicht mehr erscheint, sondern nur noch Rechtsanwälte schickt. Bei der Delegiertenkonferenz am Sonntag hörte sich Renzi zwar an, was die Vertreter der Linken und andere, die noch die Einheit beschworen, zu sagen hatten. Um sie dann mit der arrogantesten Antwort abzufertigen, die möglich ist: die Nicht-Antwort. Zur Direktionssitzung am Dienstag, die die Weichen zum Parteikongress stellen sollte, erschien er schon nicht mehr, sondern ließ nur per Twitter verlauten, er sei auf dem Weg in die USA, wo er sich ein paar interessante Start Ups anschauen wolle, von denen er vielleicht auch für Italien „etwas lernen“ könne. Will sagen: Während ihr noch redet, kümmere ich mich um die Zukunft.

Wie geht es weiter?

Das PD-Statut schreibt vor, dass spätestens 4 Monate nach dem Rücktritt des Generalsekretärs ein Kongress stattfinden muss, also im Juni. Renzi will als Generalsekretär wiedergewählt werden, was ihn automatisch zum PD-Kandidaten bei den nächsten Wahlen machen würde. Die dazu nötigen Vorwahlen („Primarie“) sollen im April oder Mai stattfinden. Dass sich dies mit den Kommunalwahlen überschneidet, die ebenfalls im späten Frühjahr stattfinden, wird in Kauf genommen. Wenn es nach Renzi ginge, gäbe es dann schon im September (nach der Sommerpause) nationale Neuwahlen. Hier hat allerdings Staatspräsident Mattarella das letzte Wort – sein Vorgänger Napolitano ließ bereits erkennen, dass man sich nicht gern vorschreiben lässt, wann Neuwahlen auszuschreiben sind, wenn es nur um den persönlichen Machterhalt eines Politikers geht. Zumal die Legislaturperiode offiziell erst im Februar 2018 endet und die Regierung Gentiloni noch einiges zu erledigen hat.

Währenddessen will die PD-Linke um Bersani, D’Alema und Rossi ein neues politisches „Subjekt“ schaffen, das dort ansetzt, wo Renzis Politik bisher versagt hat: an der sozialen Unzufriedenheit derer, die sich von der Politik nicht mehr repräsentiert fühlen und zunehmend zu den Parteien überlaufen, die man „populistisch“ nennt. Eine edle Absicht, der man Erfolg wünschen könnte, wenn es nicht in Italien schon viele Projekte dieser Art gäbe, die in der politischen Landschaft Italiens bereits lange diese oder jene Nische besetzt haben.

Was zurückführt zu der Frage, warum sich die Truppen für einen solchen Versuch nicht auch in der PD hätten sammeln können. Dass von dem Blair-Anhänger Renzi nicht viel zu erwarten ist, ist inzwischen klar. Aber warum sollte es nicht möglich sein, die PD zu einer pluralistischen Massenpartei zu machen, die den vielen Seelen des mittelinken Lagers ein gemeinsames Dach gibt. Als die PD vor einem Jahrzehnt gegründet wurde, war es ihr Ziel, die Zersplitterung der Linken zu überwinden, beginnend mit der Spaltung zwischen den Überresten der alten KPI und des linkskatholischen Flügels der alten DC. Was damals ein historischer Fortschritt schien, zerfällt nun wieder in seine Bestandteile. Wobei jetzt leider nicht nur Italien, sondern auch Europa auf dem Spiel steht. Was allerdings den Akteuren – von Renzi über Bersani bis D’Alema – kaum bewusst zu sein scheint.

Die PD ist längst gespalten

Cuperlo hat wohl Recht, wenn er Renzi als dem bisherigen PD-Generalsekretär die größte Verantwortung zuschreibt. Wie schwierig jedoch solche Schuldzuweisungen sind, zeigt ein Artikel, der in diesen Tagen von dem Journalisten Giorgio Tonini über die Ursachen der Spaltung der PD erschien („Situazione PD – La lettura politologica“). Da er für die PD im Senat sitzt, ist er nicht ganz unparteiisch – man könnte ihn einen „Renzianer“ mit Insider-Wissen nennen. Zunächst macht er in dem Artikel darauf aufmerksam, dass die PD-Fraktion längst gespalten ist. In den vergangenen Jahren habe die Fraktionslinke immer wieder die Fraktionsdisziplin durchbrochen, indem sie sich bei den Abstimmungen enthielt, den Saal verließ oder gegen die Regierung stimmte. Sogar auch dann, wenn die Regierung die Abstimmung mit der Vertrauensfrage verband. Tonino hat Recht, wenn er dies „ein Verhalten“ nennt, „das mit der Zugehörigkeit zu einer Partei strukturell unvereinbar ist“. Aber er vergisst, dass eine Parteiführung Fraktionsdisziplin nur dann erwarten kann, wenn sie bei der Gesetzgebung komplementäre Partizipationsmöglichkeiten bietet. Renzi war dazu nicht bereit – seine wichtigsten Reformvorhaben, die Senatsreform und das Wahlgesetz, kungelte er im Hinterzimmer mit Berlusconi aus, um dann von seiner Fraktion zu verlangen, es ohne Abstriche umzusetzen. Wer ist also mehr „schuld“, dass der Zusammenhalt der Partei verluderte – die linke Minderheit, die sich nicht an die Fraktionsdisziplin hielt, oder der „große Macher“, der seine Fraktion vor vollendete Tatsachen stellt?

Das Interesse, wiedergewählt zu werden

Bleibt die Frage, warum die Spaltung, die in Wahrheit längst vorhanden ist, jetzt auch förmlich vollzogen wurde. Tonino liefert eine Erklärung, die ebenso banal wie plausibel ist: Da die PD nicht mehr mit einer Mehrheitsprämie rechnen kann (40 % wird keine Partei erreichen), vermindert sich die Zahl der PD-Abgeordneten in der nächsten Abgeordneten-Kammer von 300 auf ca. 200. Da es die Parteizentrale ist, die in den 100 Wahlkreisen die Listenführer bestimmt, werden die restlichen 100 im Catch-as-catch-can der Präferenzen vergeben. Jeder Abgeordnete der PD-Linken, der sich nicht an die Fraktionsdisziplin hielt, kann sich ausrechnen, wie gering seine Chancen zur Wiederwahl sind, wenn Renzi als Generalsekretär am Ruder bleibt und er sich die Listenführer nach „Zuverlässigkeit“ aussucht. Da könnte es aussichtsreicher sein, sein Glück in einer neuen Partei zu versuchen, auch wenn sie nur (wie jetzt geschätzt wird) auf fünf oder sechs Prozent kommt.

Kleinliche Interessen? Sicherlich – auch wenn man schon sehr verträumt sein muss, um zu glauben, Abgeordnete (auch „linke“) müssten über sie erhaben sein. Wenn Tonino mit seiner Erklärung auch nur teilweise recht haben sollte, bleibt nur die philosophische Betrachtung: wie klein der Schneeball (der Interessen) sein kann, der eine Lawine ins Rollen bringt.