Linker Selbstmord auf Raten

Es ist zum Verzweifeln. Die Welt gerät aus den Fugen: Ein unzurechnungsfähiger, rassistischer und faschistoider Narziss als Präsident der größten Weltmacht, Erstarken nationalistischer und fremdenfeindlicher Bewegungen in Europa, Kriege und islamistischer Terrorwahn weltweit.

Und womit beschäftigt sich die so genannte Linke in Italien? Etwa damit, alle Kräfte darauf zu konzentrieren, eine gemeinsame politische Strategie zu finden, um solchen Entwicklungen Einhalt zu gebieten und für Italien eine glaubhafte Alternative aufzubauen? Aber nicht doch! Die PD mit ihren unzähligen verfeindeten Fraktionen und die sonstigen Kleinparteien, Gruppen und Grüppchen des linken Spektrums haben Wichtigeres zu tun: sie beschäftigen sich mit sich selbst oder besser gesagt damit, sich gegenseitig zu bekriegen.

Nach Renzis krachender Niederlage beim Referendum über die Senatsreform haben sich die innerparteilichen Fehden weiter verschärft. Renzi drängt auf baldige Neuwahlen, mit ihm als PD-Spitzenkandidaten. Nachdem er in der Wahlnacht offen die Niederlage und auch persönliche Fehler eingeräumt hatte, ist er inzwischen wieder ganz im „Hoppla-jetzt-komme-ich“-Modus. Von einer ernsthaften Analyse seiner Fehler oder gar Selbstkritik keine Spur. Stattdessen schwadroniert er, die PD (d. h. er) könne bei den Wahlen die 40%-Hürde erreichen, die für das Kassieren der Mehrheitsprämie erforderlich ist. Das wäre sogar mit einer in sich einigen Partei kaum zu schaffen, geschweige denn mit einer, die kurz vor der Implosion steht.

Ob er wirklich glaubt, was er verkündet, ist zweifelhaft. Denn er wirkt angesichts der drohenden Spaltung – jenseits allen zur Schau gestellten Selbstbewusstseins – eher hilflos. Mal geht er auf Konfrontation, dann sucht er wieder Kontakt zu seinen Kritikern. Gleichzeitig möchte er sich gegenüber dem Koalitionspartner NC und auch Berlusconi die Hände frei halten. Er übt sich in taktischen Wendungen, eine Strategie ist nicht erkennbar.

PD vor der Spaltung

D'Alema sammelt seine Truppen

D’Alema sammelt seine Truppen

Die Frontalangriffe auf Renzi kommen von mehreren Seiten. Von seinem Erzfeind D‘ Alema in primis, der beim Referendum offensiv für das „Nein“ geworben hatte. Auf einer Versammlung von ehemaligen „Nein-Vertretern“ (aus der PD und anderen Gruppen), die Ende Januar in Rom stattfand, rief er zur Gründung einer neuen Bewegung mit dem Namen „Consenso“ (italienisches Wortspiel zwischen „Konsens“ und „Mit Sinn“) auf. In jeder Stadt solle man „Consenso“-Komitees gründen, die „für jede Eventualität bereitstehen“. Was das auch immer heißen mag. Renzis Ruf nach schnellen Neuwahlen nannte D’Alema „unverantwortlich“. Zunächst müsse man eine Debatte über die programmatische Linie führen, dazu sei die schnellstmögliche Einberufung eines Parteikongresses notwendig.

Gleichzeitig bringen sich verschiedene Konkurrenten um die Führung der PD in Stellung, die bei Vorwahlen gegen Renzi antreten wollen: der Gouverneur der Region Apulien Emiliano, der Sprecher der „linken Minderheit“ Speranza und der Gouverneur der Region Toskana Rossi. Besonders Emiliano attackiert Renzi scharf und droht rechtliche Schritte an, sollte dieser der Forderung nach einem sofortigen Kongress nicht nachkommen. Emiliano ist selbst ein Demagoge, der sein Fähnchen dorthin hängt, wo es gerade Wind gibt. Jetzt flirtet er mit D‘ Alema und der Linken außerhalb der PD. Und da er nach Trumps Sieg gelernt hat, dass man punkten kann, wenn man „gegen das Establishment“ wettert, tut er das eifrig.

Gegen schnelle Wahlen und für einen Parteikongress spricht sich auch Bersani aus, der mit Speranza die PD-Minderheitsfraktion vertritt. Selbst er, der immer wieder beteuerte, er werde niemals die PD verlassen, deutet inzwischen immer öfter die Möglichkeit einer Spaltung an.

Linke Parallelwelten

Erst recht in Frontalopposition zu Renzi und „Renzianern“ sind die Gruppen, die sich aus PD-Abtrünnigen und der kleinen SEL-Partei gebildet haben, von Sinistra Italiana/SI bis zur Bewegung „Possibile“ von Civati. Dem Zersetzungsprozess innerhalb der PD sehen sie alle freudig entgegen und hoffen, dass sie daraus ihre eigenen – mageren – Reihen etwas auffüllen können. Dass durch ein Auseinanderfallen der PD die Chancen des linken Lagers insgesamt weiter schrumpfen würden, kümmert sie nicht. Mit der Begründung, dass sie die PD ohnehin nicht (mehr) zum linken Lager zählen.

Doch auch innerhalb von SI tobt bereits der Kampf zwischen der „Fundi-Fraktion“, angeführt von Vendolas Kronprinz Fratoianni, und den „Pragmatikern“ um Scotto, dem Fraktionschef im Senat – noch vor ihrem offiziellen Gründungskongress, der in Kürze stattfindet. Scotto möchte den Vorschlag des früheren Bürgermeisters Mailands, Pisapia, wenigstens diskutieren, die linken Kräfte außerhalb der PD zu bündeln, um dann in einen Dialog mit der PD einzutreten. Um für Mittelinks eine reale Regierungschance zu schaffen. Ein Ansinnen, dass die „Fundis“ von SI schon als Todsünde betrachten.

Einsame Rufer in der Wüste

Pisapia selbst hat sich inzwischen von seiner früheren politischen Heimat SEL entfernt. Schon beim Referendum über die Verfassungsreform hatte er sich für das „Ja“ entschieden, „aus politischer Verantwortung“, wie er sagte. Trotz seiner Kritik an verschiedenen Aspekten der Reform und auch an Renzis politischem Kurs insgesamt. Er bleibt aber dabei, dass eine reale Perspektive für Mittelinks nur unter Einbeziehung der PD möglich ist. Und dass der radikale Bruch mit Renzi nur dazu führen würde, diesen in die Arme von Berlusconi zu treiben und die reformerischen Kräfte innerhalb der PD endgültig zu schwächen.

Zu diesem Reformflügel gehört auch Gianni Cuperlo, der sich – als fast einziger Vertreter der linken Minderheit – zwar noch gegen die drohende Spaltung der Partei wendet, aber gleichzeitig meint, sie sei wohl nicht mehr zu verhindern. Die politische Verantwortung dafür sieht er – zu Recht – nicht allein bei den Renzi-Gegnern, sondern auch bei Renzi selbst. Er habe nichts unternommen, um die verschiedenen Positionen innerhalb der Partei zusammenzuführen, im Gegenteil. Cuperlo forderte Renzi auf, als Parteichef zurückzutreten, um für einen außerordentlichen Kongress den Weg frei zu machen. Eine Aufforderung, der Renzi kaum folgen wird. Für Pisapias Vorschlag ist Cuperlo offen. „Pisapia möchte ein regierungsfähiges Mittelinks von außen her (d. h.außerhalb der PD, MH) aufbauen, ich möchte das Gleiche von innen erreichen. Wir brauchen einander“.

Dass die Versuche von Pisapia und Cuperlo irgendeine Chance haben, den Zersetzungsprozess im linken Lager zu stoppen, ist unwahrscheinlich. Zwar häufen sich in letzter Zeit die Rufe nach einer Wiedergeburt des „Ulivo-Bündnisses“, das zwei Mal (1996-2001 und 2006-2008) zu einer Mittelinks-Regierung mit Prodi an der Spitze geführt hatte. Doch die Meinungen darüber, was unter einem solchen „Ulivo 2“ zu verstehen ist, gehen auseinander: Während Pisapia und Cuperlo die PD dabei haben wollen, streben D‘ Alema und Sinistra Italiana ein „Ulivo“ ohne PD (oder zumindest ohne Renzi) an. Besonders kurios: Ausgerechnet D‘ Alema, der sich jetzt für eine Neuauflage des „Ulivo“ erwärmt, war einer derjenigen, die damals kräftig zum Sturz Prodis und zum Scheitern des Ulivo-Experiments beigetragen haben.

Und so konzentrieren die Kräfte im linken Lager alle ihre Energien darauf, interne Konflikte auszufechten und alte sowie neue Rechnungen zu begleichen. Mit Kongressen und Versammlungen, Fraktionstreffen, Ulivo ja Ulivo nein, Streit um die Führung, Wahlen schnell oder später. Während sich im Land die wirtschaftliche und soziale Lage weiter verschlechtert. Von der internationalen Lage ganz zu schweigen.

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