Volksnah im Bunker
Am vergangenen Sonntag gab es den zweiten Teil der diesjährigen Kommunalwahlen (über ihren ersten Teil berichteten wir). Diesmal ging es um die Stichwahlen, zu denen es dort kam, wo beim ersten Wahlgang kein Bürgermeisterkandidat die absolute Mehrheit erreichte. Hier mussten jetzt die relativ „Ersten“ gegen die relativ „Zweiten“ antreten (der Sieger bekommt auch die Mehrheit im Gemeinderat).
Die Ergebnisse
Berücksichtigt man nur die Provinzhauptstädte, in denen es Stichwahlen gab, so lautet das Ergebnis: In 15 siegte die Rechte, darunter auch dort, wo es der Linken besonders wehtat, in Genua und L‘Aquila. Mittelinks gewann 5 (mit Padua als positiver Überraschung, hier wurde eine rechte Stadtregierung abgelöst). Bezieht man die Provinzhauptstädte ein, in denen schon nach der ersten Runde alles entschieden war, so lautet das Ergebnis: In 25 Hauptstädten siegte 16mal die Rechte, 6mal Mittelinks und 2mal eine Bürgerliste (in Trapani blieb die Wahl ergebnislos, weil bei der Stichwahl ein Quorum verfehlt wurde).
Hinterher versuchte Renzi, das Ergebnis dadurch schöner zu rechnen, dass er in die Rechnung alle 160 Gemeinden mit mehr als 15.000 Einwohner einbezog, in denen diesmal gewählt wurde. Aber auch hier haben sich die Gewichte deutlich verschoben: Nur noch in jeder dritten Gemeinde regiert Mittelinks, in fast jeder zweiten die Rechte (samt Lega oder 5SB), der Rest entfällt auf Bürgerlisten.
Wanderung der Grillini
Da es in Italien gegenwärtig drei etwa gleich große Lager gibt: die Linke, die Rechte, die „Grillini“, ist es politisch besonders interessant, wie sich bei den Stichwahlen die Wählerschaft des jeweils „Dritten“ verhält. Es könnte Aufschluss darüber geben, welches lagerübergreifende Bündnis bei nationalen Wahlen „von unten her“ möglich ist. Als es bei den Kommunalwahlen 2016 bei den Stichwahlen häufig zum Duell Mittelinks gegen 5SB kam, unterstützten viele traditionell „rechte“ Wähler Kandidaten der 5SB – Hauptsache, die verhasste PD wurde geschlagen. Bevor jedoch von einem neuen „Block“ zu sprechen war, musste noch geklärt werden, ob die 5-Sterne-Wähler zur entsprechenden Gegenleistung bereit sind. Die Stichwahlen 2017 wurden hier zur Probe aufs Exempel, denn hier kam es in den größeren Städten fast immer zum Duell „Rechts“ gegen „Links“. Und nun die Wählerschaft der 5SB die Rolle des „Dritten“ übernahm.
Das Bologneser Forschungsinstitut Cattaneo untersuchte speziell diese Frage. Ergebnis: Der größte Teil derer, die beim ersten Wahlgang die 5SB wählten und sich an der Stichwahl beteiligten, obwohl ihre eigenen Kandidaten ausgeschieden waren, wählte „rechts“. Weshalb rechte Bürgermeisterkandidaten nicht nur dort siegten, wo sie – wie in Verona und Genua – schon nach dem ersten Wahlgang in Führung lagen. Sondern z. B. auch in L‘Aquila, wo der rechte Kandidat nach dem ersten Wahlgang noch hoffnungslos zurückzuliegen schien. Einerseits, so die Wahlforscher, weil beim zweiten Wahlgang viele PD-Wähler zuhause blieben. Andererseits weil die Hälfte derer, die im ersten Wahlgang noch den Kandidaten der 5SB gewählt hatten, nun zur Stichwahl gingen, um den Kandidaten der Rechten zu wählen. Renzi bleibt der Hauptfeind, und er lässt sich, das ist für viele Grillini die Erfahrung dieser Wahlen, auch aus der zweiten Reihe schlagen.
Wenn Grillo immer wieder betont, dass seine Bewegung „weder rechts noch links“ sei, ist dies eine nur noch taktisch gepflegte Täuschung. Wobei es nicht nur die Führung ist, die in Sachen Flüchtlinge (Stimmungsmache gegen die NGOs). Migration (Schwenk beim Jus soli) und Europa (raus aus dem Euro) Trumps America first ins Italienische übersetzt. Sondern auch ein großer Teil der eigenen Basis, welche die Anbiederungsversuche der Rechten bereitwillig erwidert.
Sieg der Rechten
Der eigentliche Sieger dieser Kommunalwahlen, darin sind sich die Kommentatoren einig, ist die Rechte. Ihr Rezept ist nicht neu: Geht sie vereint ins Rennen, hat sie die Chance zum Sieg – siehe Genua. Wenn da auch noch die 5SB hilft und sich die Linke selbst zerfleischt, umso besser. Zwar bleibt ein Problem: das Verhältnis zu Europa. Berlusconi gehört zur EVP-„Familie“, sein Gefolgsmann Tajani wurde Präsident des Europa-Parlaments. Während Salvini ein Gefolgsmann von Le Pen ist. Beim Wahlbündnis in einer Gemeinde lässt sich das „ausklammern“. Aber wenn man Italiens Regierung übernehmen will?
Was man trotzdem nicht unterschätzen sollte, ist die Erotik der Macht. Die Kommunalwahlen zeigten erneut, dass sie für die italienische Rechte vielleicht zum Greifen nah ist. Berlusconi hat schon oft bewiesen, dass er in einer solchen Situation zu jedem Bündnis bereit ist – er ging es ja auch schon mit gestandenen Faschisten ein. Er müsste schon sehr charakterfest sein, wenn er im Interesse Europas diese Chance an sich vorbeigehen lässt. Man kann ihm viele Schwächen nachsagen, aber nicht die Schwäche der Charakterfestigkeit.Mittelinks in der Sackgasse
Die Kommunalwahlen haben erneut gezeigt, dass sich die PD – und die Linke insgesamt – in der Sackgasse befindet. An den Stichwahlen beteiligten sich nur 46 % der Wahlberechtigten, und es waren vor allem PD-Wähler, die zu Hause blieben. Als sich Renzi im vergangenen Dezember nach der Niederlage beim Referendum und seinem Rücktritt als Ministerpräsident entschloss, im politischen Geschäft zu bleiben, wollte er sich an den 40 % festhalten, die noch für die Verfassungsreform gestimmt hatten. Mit ihnen, so glaubte er, könne die PD trotz allem zur stärksten Partei des Landes werden. Dies könnte sich als die zweite Fehlkalkulation seiner Laufbahn erweisen – vielleicht die letzte.
Denn immer deutlicher läuft der PD die eigene Basis weg. Weil, das hört man immer öfter, „niemand weiß, wofür die PD eigentlich noch steht“. Zwischen dem Krach mit der eigenen Linken (für den allerdings nicht nur Renzi verantwortlich ist), dem zeitweiligen Bündnis mit Verdini, dem Flirt mit Berlusconi und den verächtlichen Absagen an Prodi und Pisapia, die ein über die PD hinausreichendes sozialdemokratisches Projekt zu (re)konstruieren suchen, verschwimmt das Profil der PD. Zwar könnte es Renzi ehren, dass ihn sowohl die traditionelle Rechte als auch die Grillini zum Hauptfeind erklärten. Und es ist auch kein Ruhmesblatt für den Teil der Linken, der sich diesem Verdikt angeschlossen hat. Denn es wischt beiseite, was die Regierungen von Renzi bzw. Gentiloni z. B. in Menschenrechtsfragen (Flüchtlinge, Homo-Ehe, Jus soli) in Angriff nahmen. Mit einer „rechten“ Regierung wäre es nicht möglich gewesen. Aber damit allein wird Renzi nicht die nächsten Wahlen gewinnen.
Ein Renzi mit politischem Gespür würde begreifen, dass jetzt ein Befreiungsschlag nötig ist. Beginnend damit, dass er den Anspruch aufgibt, als Generalsekretär seiner Partei auch automatisch ihr Spitzenkandidat für die nächste Wahl zu sein. Und dass er stattdessen den Weg für ein breites Bündnis frei macht, unter einer überparteilichen Führungsfigur, die nicht polarisiert, sondern integriert und ein glaubhaftes soziales Programm vertritt. Renzi verweist darauf, dass die PD ja auch in Genua und L‘Aquila die Wahlen verloren habe, wo sie „im Sinne Prodis oder Pisapias“ Bündnisse über die PD hinaus zu schmieden versuchte. Und folgert, dass die PD besser „allein geht“. Es zeigt, dass er das Hauptproblem nicht begriffen hat: die Entfremdung der PD von ihrer eigenen Basis, zu der er selbst kräftig beigetragen hat. Leider steht ihm hier seine Monomanie im Weg: Er sieht sich als Leader, der ohne Umwege und Vermittlungen direkt mit dem Volk kommunizieren kann („Mitten unter unseren Landsleuten diskutieren, uns auseinander setzen, Vorschläge machen“, schrieb er drei Tage nach den Stichwahlen, am 28. Juni, in seiner Homepage). In den Versuchen von Prodi und Pisapia, die retten wollen, was noch zu retten ist, sieht er nur die Verschwörung, die sich gegen seine Person richtet. Das ist sein Paradox: Je mehr er von „Volksnähe“ redet, desto mehr bunkert er sich ein.