Rechte siegt in Sizilien
Man könnte versucht sein, die Schuld dem politischen Kalender zu geben, der ausgerechnet die Regionalwahl in Sizilien zum letzten großen Test vor den nationalen Wahlen im nächsten Frühjahr machte. Denn Sizilien ist traditionell „rechts“ (auch ohne Mafia). Dass es der Linken 2012 gelang – erstmals seit Menschengedenken –, einen der ihren zum Regionalpräsidenten zu machen, war vor diesem Hintergrund eher ein historisches „Versehen“, das heißt in erster Linie der damaligen Zersplitterung der Rechten geschuldet. Der Kandidat der Linken (namens Crocetta) erhielt zwar nur magere 30,5 %. Da aber in Sizilien für seine Wahl die relative Mehrheit (ohne Stichwahl) genügt, war er gewählt. Unangenehme Spätfolge, 5 Jahre später: Bei der neuen Wahl konnte die Linke eigentlich nur schlechter abschneiden. Oder sie musste etwas wiederholen, was schon unter normalen Umständen unwiederholbar war.
Für die Linke ein aussichtsloses Unterfangen
Dafür gab es jetzt weitere Gründe:
• Anders als 2012 hatte sich die Rechte auf einen Kandidaten geeinigt, hinter den sich nicht nur Meloni und Salvini, sondern auch Berlusconi stellte: Nello Musumeci, früher Alleanza Nazionale, heute Autonomist, der im Unterschied zur ihn unterstützenden Koalition, die auch sehr korrupte Figuren umfasst, als „sauber“ gilt.
• Diesmal war es die Linke, die gespalten war. Zwar ist der Kandidat der PD, Micari, kein Parteisoldat, sondern Rektor der Universität Palermo. Aber die antirenzianische Linke stellte mit Claudio Fava einen eigenen Kandidaten auf.
• Die 5-Sterne-Bewegung warf alles in die Waagschale, was möglich war, um schon vor den nationalen Wahlen einen spektakulären Durchbruch zu schaffen. Was gerade in Sizilien nicht aussichtslos erschien, denn bereits 2012 war dort ihre Liste überraschend mit 14,9 % zur stärksten Kraft geworden, und bei den nationalen Wahlen von 2013 kam sie dort sogar auf 33,5 %. Ihr Kandidat, der Vermessungstechniker Cancelleri, absolvierte seinen Wahlkampf in Palermo volksnah auf dem Fahrrad.
Für die PD-Aktivisten muss dieser Wahlkampf ein Alptraum gewesen sein. Man weiß, dass sich unaufhaltsam eine Katastrophe nähert. Nur dass man aus diesem Alptraum nicht erwachen kann und alles ist gut, sondern dass er Realität wird.
Ergebnis
Am Dienstag kam das Ergebnis: Bei der Wahl des Regionalpräsidenten lag der Kandidat der Rechten, Musumeci, mit 39,8 % vorn, während Grillos Kandidat Cancelleri 34,7 % bekam. Ein klareres Resultat als alle Prognosen und ersten Hochrechnungen, die von einem Kopf-an-Kopf-Rennen gesprochen hatten. Der Kandidat der PD, Micari, landete mit 18,7 % auf dem dritten Platz, während der Kandidat der Antirenzianer, Fava, 6,1 % bekam.
Da die Wähler „splitten“ konnten, d. h. einen anderen Kandidaten für den Präsidenten ankreuzen konnten als die von ihnen präferierte Parteienliste, ging es auch um das Ergebnis der Listenwahl. Hier fuhr die Liste der 5-Sterne-Bewegung mit 26,7 % einen haushohen Sieg ein – Forza Italia kam auf 16,4, die PD auf 13 %. Anders als Crocetta vor 5 Jahren kam diesmal die Musumeci-Koalition im Parlament zu einer eigenen (knappen) Mehrheit. Die Wahlanalytiker förderten noch etwas zutage: Während die Listen, die Micari unterstützten, bei dieser Wahl zusammen auf immerhin 28 % kamen, wählten nur knapp 19 % Micari. Jeder dritte Wähler der PD-Koalition musste demnach „gesplittet“ haben, das heißt mit der Stimme, über die er zur Wahl des Regionalpräsidenten verfügte, entweder Cancelleri oder Musumeci unterstützt haben. Er handelte also wie in Deutschland mancher Wähler einer kleineren Partei, der davon ausgeht, dass die Direktstimme für „seinen“ Kandidaten sowieso verloren ist.Resümee
Insgesamt kann man das Ergebnis so resümieren:
1. Die vereinigte Rechte, so scheint’s, kann alle schlagen. Berlusconi erlebt seine hundertste Wiedergeburt. Wenn Salvini hoffte, seine Lega zum gesamtitalienischen Le Pen-Ableger häuten zu können, mit der gesamten Rechten im Schlepptau, muss ihn das Ergebnis seiner Liste in der Pro-Musumeci-Koalition ernüchtern: Sie kam nur auf 5,6 % (klar, im Norden sähe es anders aus). Der Machtkampf um die Führung des rechten Lagers bleibt offen. Offen bleibt auch, ob sich die Hoffnung mancher Beobachter erfüllt, dass sich die italienische Rechte wieder in ihre Bestandteile zerlegen muss, wenn es um die Bildung einer Regierung auf nationaler Ebene (und damit um Europa) geht. Da könnte die Erfahrung, dass die Stärke der Rechten die Einheit ist, ihre eigene Wirkungsmacht entfalten. Alle von rechts kommenden Kommentare üben sich jetzt in Einheitslyrik. Berlusconis Machtinstinkt ist stark, im Zweifelsfall vielleicht stärker als die Sorge um Europa.
2. Die 5-Sterne-Bewegung setzt ihren Aufstieg fort, im Vergleich zur Regionalwahl von 2012 hat sie ihren Stimmenanteil fast verdoppelt. Aber in Wahrheit überwiegt die Enttäuschung. Ihre Kader, die in Sizilien monatelang Wahlkampf machten, hatten einen einfachen Plan: „Jetzt Sizilien, dann Italien“. Aber nun zeigt sich, dass auch ihre Bäume nicht in den Himmel wachsen. Vor allem gelang es ihr nicht, in das riesige Lager der Nichtwähler einzubrechen, obwohl sie gerade im armen Sizilien für das Versprechen eines „Bürgergelds für alle“ aufnahmebereit sein müssten. Doch die Wahlbeteiligung stagniert weiterhin bei 46,8 % (einen Punkt schlechter als vor 5 Jahren). Den „AfD-Effekt“, der in Deutschland die Wahlbeteiligung wieder nach oben trieb, bringt die 5-Sterne-Bewegung bisher nicht zustande (erstmals betreibt jetzt ihre Führung ein Stück Wählerbeschimpfung, indem sie deren „Indifferenza“ beklagt).
3. Der Abstieg der Linken setzt sich auch in Sizilien fort, wenn man die Resultate der verfeindeten Listen um Micari und Fava zusammenzählt. Gemeinsam fuhren sie ca. 10 Prozent weniger ein als die Crocetta-Liste vor 5 Jahren. Die Hoffnung der Renzianer, die PD über ein Bündnis mit Alfanos Alternativa Popolare (AP) zum Zentrum zu öffnen, hat wenig gebracht, obwohl Sizilien Alfanos Heimat ist. Seine Liste hat zwar Micari unterstützt, aber scheiterte mit 4,2 % an der in Sizilien geltenden 5 %-Hürde, wird also im nächsten Regionalparlament keinen einzigen Vertreter mehr stellen.
Ruf nach Renzis Rücktritt
Die Liste der Niederlagen, die Renzi in den letzten Jahren einfuhr, ist eindrucksvoll. Umso peinlicher ist es, wie er sich immer noch an die „vierzig Prozent“ klammert, die er bei den Europawahlen vor vier Jahren bekam. Den Gedanken, dass er sie verspielt hat, lässt er nicht zu. Aber seitdem ist zu viel geschehen, was die Gewissheit wachsen lässt: Wer sich mit Renzi in ein Boot setzt, geht unter. Die Italiener sind abergläubisch.
Jetzt werden auch in der PD die Stimmen lauter, die Renzis Rücktritt als Generalsekretär fordern. Oder zumindest den Verzicht darauf, bei der nächsten nationalen Wahl auch der PD-Spitzenkandidat zu sein. Renzis Abwehrversuch ist schwach: Das wäre „respektlos“ gegenüber den 2 Millionen, die sich im April an den Primarie beteiligten. Aber erstens stimmten nur 1,26 Millionen für Renzi als Generalsekretär. Und zweitens könnte ein Generalsekretär auch auf die Idee kommen, dass das ihm entgegengebrachten Vertrauen die Erwartung beinhaltet, dass er im Interesse seiner Partei und seines Landes handelt. Und deshalb jetzt einem anderen Kandidaten den Vortritt lässt. Aber diese Schlussfolgerung scheint Renzi zu überfordern.
PS: Nach der Sizilien-Wahl gab’s noch eine Burleske. Vor ihr hatte Di Maio, der neue Führer der 5-Sterne-Bewegung, Renzi zum Fernsehduell zwei Tage nach der Wahl herausgefordert. Eine kleine Sensation, denn Di Maio war bisher dafür bekannt, dass er solche Duelle scheut. Aber diesmal glaubte er wohl, mit dem Sizilien-Sieg in der Tasche den nationalen Wahlkampf damit eröffnen zu können, dass er den angeschlagenen Renzi vorführt. Wider Erwarten nahm dieser die Herausforderung an. Als am Montagvormittag klar wurde, dass nicht nur die PD, sondern auch die 5-Sterne-Bewegung die Regionalwahl verloren hatte, sagte Di Maio das Treffen kurzerhand wieder ab. Begründung: Nach der Sizilienwahl sei ja nun Renzi als Kandidat für den nächsten Ministerpräsidenten aus dem Spiel, weshalb sich das TV-Duell mit ihm erübrige. Woher Di Maio bereits weiß, was nun aus Renzi wird, bleibt sein Geheimnis. Vor allem unterschlägt er seine eigene ursprüngliche Hoffnung, das Duell als Wahlsieger führen zu können. Das war nun hinfällig. Dann lieber absagen – es hätte ja unter diesen Umständen außer Kontrolle geraten können. Wobei Di Maio nun in Kauf nehmen musste, von Renzi als kleiner Feigling verhöhnt zu werden.