EVP in der Hand Berlusconis

„Berlusconi hat keine Rehabilitation nötig, er ist ein großer Europäer und ein großer Staatsmann“, so Manfred Weber, Fraktionschef der Europäischen Volkspartei und Mitglied der CSU, nach einem gemeinsamen Abendessen in Brüssel vor ca. einer Woche. Der „große Staatsmann“ darf keine öffentlichen Ämter bekleiden, weil er ein wegen Steuerbetrugs in Millionenhöhe rechtskräftig verurteilter Straftäter ist. Einer Haftstrafe entging er nur aufgrund seines hohen Alters. Bei diversen anderen Prozessen – wegen Betrugs in anderen Fällen, Amtsmissbrauchs, Bestechung von Abgeordneten und Förderung der Prostitution von Minderjährigen – hat er seine Haut nur dadurch retten können, dass er in seiner Regierungszeit Gesetze „ad personam“ schuf, nach denen seine Straftaten verjährt sind oder schlicht aus dem Strafgesetzbuch gestrichen wurden. 2011 hat „der große Europäer“ Italien an den Rand der Ruin geführt und musste auf Druck nicht nur des italienischen Staatspräsidenten, sondern auch der EU zurücktreten.

Berlusconi und Weber in Brüssel

Berlusconi und Weber in Brüssel

Wie kann es also sein, dass der Fraktionschef der EVP nun eine solche unfassbare Behauptung von sich gibt? Die Antwort ist leider einfach: Berlusconi hat die EVP in der Hand. Er garantiert ihr mit den Sitzen seiner Partei Forza Italia im Europäischen Parlament die Privilegien der stärksten Fraktion. Webers Aussage ist kein Ausrutscher und kein Einzelfall. Zeitgleich mit ihm gab sich auch Kommissionspräsident und EVP-Mitglied Juncker die Ehre und erklärte nach einem „informellen“ Treffen (informell, weil Berlusconi keine offizielle Funktion bekleidet, s.o.), das Gespräch sei „exzellent“ gelaufen. In offensichtlich prächtiger Stimmung: herzliche Umarmungen, mannhaftes Schulterklopfen und geschmackvolle Witzchen, wie man sie vom Altmacho kennt („Ich habe gehört, dass es in Brüssel keine schöne Frauen gibt, ist das wahr??“). Kurz davor hatte ihn auch Angela Merkel einen „überzeugten EVP-Vertreter“ genannt. Obwohl sie (wie jedermann) genau weiß, dass sein Interesse nicht dem Wohl Italiens und Europas, sondern dem seiner Geschäfte gilt.

Aber egal, was sie von ihm in Wirklichkeit halten. Er hat sie – wie schon immer – in der Hand. Also kann er jetzt auch auf dem europäischem Parkett der Türöffner für das angestrebte rechtsextreme Bündnis sein.

Janus-Gesicht

Berlusconis Strategie ist zweigleisig, je nachdem, wo er agiert. „Zu Hause“ in Italien betreibt er mit Salvini und Meloni die plumpeste Hetze gegen Migranten und Flüchtlinge, als Kriminelle und Schmarotzer, vor denen Italien gerettet werden müsse. In seinen eigenen Fernsehsendern, wo er natürlich omnipräsent ist, wettert er in Grillo-Manier: „Alle Politiker kotzen mich an!“. Sagt ausgerechnet derjenige, der Politik systematisch zum Instrument seiner privaten Interessen pervertiert. Natürlich verspricht er den Italienern wieder den warmen Regen wunderbarer Wohltaten, die vor allem den Reichen und großen wie kleinen Steuerhinterziehern das Herz höher schlagen lassen: Besteuerung durch eine „Flat-tax“ unabhängig von der Höhe des Einkommens, „Steuerfrieden“ (Freibrief für Steuersünder), weg mit den Immobilien-, KfZ-, Erbschaftssteuern, Rücknahme der Begrenzungen für Bargeldzahlungen (zur Freude der Geldwäscher). Und noch ein paar Kleinigkeiten: „Abschaffung von Armut, Jugendarbeitslosigkeit und Prekariat“, dazu kostenlose Kitas, mehr Elterngeld, Rücknahme der Rentenreform. Gegenfinanzierung? „Ghe pensi mi!“ („Das mache ich schon!“). Und natürlich die Rückführung „aller illegalen Migranten“.

Die endlose Liste aberwitziger Versprechungen ist im Netz Anlass für Spott und Häme und wird dort noch täglich erweitert: „Kostenlose Gebisse für alle Rentner!“ (er hat gerade ein besonders auffälliges Exemplar bekommen), „Weniger Husten für alle!“ (Wortspiel zwischen „meno tasse“ und „meno tosse“), „Ich werde den Cholesterin in den Bluttests abschaffen!“ u.ä. m. Alles ganz lustig, aber auch ein wenig hilflos. Denn die Satire ändert nichts daran, dass er damit in der Wählergunst punktet.

So plump populistisch seine heimische Wahlpropaganda auch ist: Gegenüber den europäischen Partnern gibt er sich „moderat“ und behauptet, er allein sei Italiens „Garant“ für Europafreundlichkeit, Zuverlässigkeit, Stabilität und – kein Witz – gegen den Populismus. Er habe den rabiaten Salvini im Griff, seine Partei werde den Ministerpräsidenten stellen (da er nicht kandidieren darf, spricht er unbestimmt von einer „international anerkannten Persönlichkeit“). Nur er könne Italien vor dem Chaos (d.h. die 5-Sternebewegung) retten. Zu seiner Liste verspäteter Weihnachtsgeschenke versichert er, die von der EU geforderte 3%-Marke beim Defizit einhalten zu wollen und zu können, denn er mache nie leere Versprechungen, sondern gehe immer nur Verpflichtungen ein, die er dann auch erfülle. Man glaubt den eigenen Ohren nicht und fragt sich: Glauben die EVP und die EU-Kommission wirklich dieses Ammenmärchen? Unwahrscheinlich. Aber sie tun so, als ob. Weil sie meinen, so die Machtverhältnisse in Kommission und Parlament aufrechterhalten zu können. Und weil sie wohl hoffen, es komme nach den Wahlen dann doch zu einer großen Koalition der Rechten mit Mittelinks, ähnlich wie in Deutschland. Mit der man die Rechtsradikalen „unter Kontrolle halten“ könne .

Die zweite Karte

Das ist in der Tat die Karte, die Berlusconi im Bedarfsfall ausspielen will. Sollte es für eine rechte Mehrheit nicht reichen, könnte er auf die PD zugehen und versuchen, eine gemeinsame Regierung zu bilden (vorausgesetzt allerdings, dass Staatspräsident Mattarella dazu den Auftrag erteilt, was alles andere als ausgemacht ist).

Eine solche große Koalition in Italien mit der in Deutschland gleichzusetzen, verbietet sich. Schon in Deutschland wirft sie Probleme auf, in Italien wäre sie verhängnisvoll. Erstens, weil Berlusconi nicht Merkel und die Forza Italia nicht die CDU/CSU ist (auch wenn sie Manfred Weber vielleicht gern dazu machen würde). Und zweitens, weil Berlusconis Bündnispartner Lega und Fratelli d‘ Italia keine „Rechtskonservativen“, sondern Rechtsradikale sind: antidemokratisch, rassistisch, europafeindlich. Als wenn die CDU/CSU und SPD gemeinsam mit der AfD eine Regierungskoalition bilden würden.

Um eine Koalition für die PD schmackhaft zu machen, könnte Berlusconi allerdings auch bereit sein, dafür nach den Wahlen seine unappetitlichen Bündnispartner auszubooten (in den Medien kursieren Gerüchte, Berlusconi habe Juncker und Weber diese Zusicherung gemacht). Er müsste dafür aber den Bruch mit Salvini in Kauf nehmen und auch akzeptieren, dass in einer solchen Koalition mit Mittelinks seiner Forza Italia die Rolle des Juniorpartners zukommt. Für die PD wäre ein Zusammengehen mit Berlusconi so oder so – mit oder ohne Lega – fatal. Bei den Wählern würde sie weiter an Zustimmung verlieren, ihr Zerfallsprozess würde sich beschleunigen. Noch weisen die PD und ihre (wenigen noch verbliebenen) Verbündeten eine solche Option weit von sich, Renzi und Gentiloni in primis. Aber man hat ja schon oft erlebt, dass es nach den Wahlen dann anders kommt.

Dass die europäische „bürgerliche Rechte“, die vor allem von den deutschen Christdemokraten dominiert wird, Berlusconi einen Freibrief zum Regieren erteilen, schwächt die demokratischen Kräfte Italiens. Unter anderem deshalb, weil sie damit auch den Hassprediger Salvini unterstützt. Das ist unverantwortlich und hat Konsequenzen nicht nur für Italien, sondern für ganz Europa – das ohnehin auf dem besten Weg ist, in die Hände antidemokratischer und fremdenfeindlicher Kräfte zu geraten. Diese Konsequenzen nimmt die EVP wissentlich in Kauf, wenn sie sich weiterhin zur Komplizin eines Verächters von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit wie Berlusconi macht und ihn gar als „großen Europäer und großen Staatsmann“ feiert.

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