Vor der rechtsradikal-populistischen Regierung

Seit Tagen arbeite ich an einem Beitrag zum Stand der Regierungsbildung. Jeder neue Tag machte die Fassung vom Vortag zur Makulatur. Heute starte ich den dritten Versuch – verbunden mit der Vorwarnung an die Leser: Morgen könnte wieder alles anders sein. Das Polit-Theater, das vor allem die „Beinah-Wahlsieger“ Salvini (Lega) und Di Maio (5-Sternebewegung) veranstalten, ist ebenso verantwortungs- wie selbst für italienische Verhältnisse beispiellos.

Das Polit-Theater

Nach der Wahl am 4. März drehten sich Lega und 5SB zwei Monate lang in einem Kreis von taktischen Annäherungen, Rückzügen und Vetos. Hinter der leeren Dauerrede vom „Verantwortungsgefühl gegenüber den Interessen des Landes“ stand allein der Wille, eigene Parteiinteressen zu bedienen.

Im Laufe verschiedener Konsultationsrunden hatte Staatspräsident Mattarella die Parteien vergeblich zu der Bereitschaft aufgefordert, im nationalen Interesse die notwendigen Kompromisse zur Bildung einer Regierungskoalition einzugehen. Die besten Aussichten hatte von Anfang an das Bündnis zwischen den beiden populistischen Kräften Lega und 5SB, die bei der Wahl am stärksten an Zustimmung gewonnen hatten. Dass es bisher zu keiner Einigung kam, lag vor allem an der von der 5SB gestellten Bedingung, Berlusconi aus den Koalitionsverhandlungen auszuschließen. Ein Veto, dass die Rechtskoalition trotz ihrer heftigen internen Zerwürfnisse nicht akzeptierte. Berlusconi, weil er nicht nur seine politische Ausgrenzung, sondern auch Nachteile für seine Unternehmen befürchtet, und Salvini, weil sein mittelfristiger Plan die Übernahme der gesamten Rechten ist. Da er auf dem besten Weg ist, dieses Ziel zu erreichen (immer mehr FI-Abgeordnete setzen sich Richtung Lega ab), wäre ein sofortiger Bruch mit Berlusconi für ihn kontraproduktiv. Es gibt auch Gerüchte, dass Salvinis Lega von Berlusconi finanziell abhängig sei, mit einer vertraglichen Festlegung, dass diese Gelder nur so lange fließen, so lange die Lega im Bündnis mit Forza Italia bleibt.

Mattarellas Schritt zur Übergangsregierung

Am vergangenen Montag fand die letzte Konsultationsrunde beim Staatspräsidenten statt. Der hatte unmissverständlich zu verstehen gegeben, im Rahmen seiner verfassungsmäßigen Kompetenzen selbst das Heft in die Hand nehmen zu wollen, sollten die Parteien immer noch keinen Konsens erreicht haben. Nachdem auch die Gespräche am Montag ergebnislos verliefen, kündigte Mattarella an, jetzt einer „neutralen“ Übergangsregierung den Auftrag zu erteilen, in einer begrenzten Zeit einige wichtige Vorhaben auf den Weg zu bringen und Neuwahlen vorzubereiten.

Es war eigentlich das, was Mattarella am wenigsten wollte. Denn er weiß, wie problematisch sogenannte „technische“ Regierungen ohne Wählerauftrag und politische Legitimation sind. Sie liefern gerade „Protestparteien“ die beste Munition, um bei den Wählern Stimmung zu machen und die demokratischen Institutionen zu diskreditieren. Mattarellas Bemühungen waren daher bis zum letzten Moment darauf ausgerichtet, die Parteien zur Bildung einer „politischen“ Regierung zu bewegen. Erst nach dem Scheitern dieses Versuchs wollte er zum einzigen ihm noch verfügbaren Mittel einer „Notregierung“ bis (spätestens) zum Jahresende greifen. Für den Fall, dass das Parlament der Übergangsregierung kein Vertrauen ausspricht (was Salvini und die Maio bereits angekündigt hatten), nannte er als mögliche Wahltermine den Herbst oder vielleicht schon den Juli (was allein schon wegen der Urlaubszeit eine Wahl mit geringer Beteiligung bedeutet hätte).

Graffiti in Rom

Graffiti in Rom

Es wurde erwartet, dass der Staatspräsident schon am 9. Mai mitteilt, wem er den Auftrag zur Bildung einer solchen Übergangsregierung erteilt. Bis es mittags plötzlich hieß, Salvini und Di Maio hätten bei Mattarella eine Fristverlängerung von 24 Stunden beantragt: Es gebe nun doch die konkrete Möglichkeit einer Einigung, die Verhandlungen seien im Gange.

Berlusconi gibt nach

Was war passiert? Wer sich bewegt hatte, war Berlusconi. Die Ankündigung Mattarellas, in kürzester Zeit möglicherweise Neuwahlen auszurufen, hatte unter den Abgeordneten von Forza Italia Panik verbreitet. Die aktuellen Wahlumfragen sehen die Partei im freien Fall, der Hälfte ihrer Abgeordneten droht der Mandatsverlust. Der interne Druck auf Berlusconi, seinen Widerstand gegen ein Regierungsbündnis von Lega und 5SB aufzugeben, stieg enorm. Berlusconi suchte nur noch nach einer „Formel“, um ohne Gesichtsverlust nachzugeben und den Weg für die Bildung der rechtspopulistischen Regierung frei zu machen.

Und siehe da: Die „Formel“ wurde am Abend des 9. Mai gefunden: FI wird sich bei der Vertrauensabstimmung über die Regierung von Lega und 5SB enthalten und dann „von Mal zu Mal“ entscheiden, ob sie deren Vorhaben mitträgt oder ablehnt. In einer schriftlichen Erklärung teilte Berlusconi mit, seine Partei würde „mit Respekt zur Kenntnis nehmen, dass eine politische Kraft der Rechtskoalition entschieden hat, die Verantwortung zur Bildung einer Regierung mit der 5SB zu übernehmen“. Dies stelle – und das ist der springende Punkt – „kein Ende des Mitterechts-Bündnisses dar: Die Zusammenarbeit in Regionen und Kommunen bleibt bestehen sowie die gemeinsam gegenüber den Wählern eingegangenen Verpflichtungen“.

Zuvor hatte offenbar Salvini Di Maio gedrängt, gegenüber Berlusconi etwas freundlichere Töne anzuschlagen (bis gestern hatte Di Maio noch geschworen, „nie und nimmer mit dem Straftäter Berlusconi!“, und ihn einen korrupten Gauner und Mafioso genannt). Mit Erfolg. Der Anführer der Grillini ist ein wendiger Mann, er wechselt seine Positionen genauso oft wie seine strahlend weißen Hemden. Also erklärte er jetzt unschuldig lächelnd der Presse: „Berlusconi ist kein Problem!“ und „Veto? Was für ein Veto? Es gibt kein Veto gegen ihn“. Die Journalisten schauten sich verdutzt an, hakten nach, ob sie sich verhört hatten. Hatten sie nicht.

Düstere Aussichten

Da damit der Stolperstein Berlusconi elegant aus dem Weg geräumt war, verhandeln jetzt die rechtsradikalen und „postideologischen“ Populisten über die nächsten Schritte: 1) einen „Mini-Koalitionsvertrag“ mit vier oder fünf Themen und 2) die Entscheidung, wer Regierungschef wird. Die Option einer „dritten Person“ scheint vom Tisch zu sein. Wahrscheinlicher ist die Einigung auf einen „Stabwechsel“ in der Mitte der Amtszeit, die jetzt auf volle 5 Jahre veranschlagt wird, d. h. erst Di Maio, dann Salvini – oder umgekehrt. Auf der inhaltlichen Agenda stehen in erster Linie die Einführung eines „abgemilderten“ Bürgereinkommens (etwa nach Harz IV-Modell), die „Revision“ (vor der Wahl hieß es „Abschaffung“) des Rentengesetzes, Steuersenkungen für Unternehmen und einen schärferen Kurs gegenüber Flüchtlingen und Migranten: noch stärkere Abschottung, vermehrte Rückführungen in afrikanischen Länder unabhängig von Menschenrechtssituation und Gefährdungslage und im Inneren die Behandlung von Zuwanderern als „Sicherheitsproblem“.

Ob bzw. wie in diesem „Vertrag“ Aussagen zum Thema Europa zu erwarten sind, ist noch nicht klar. Als die Option Neuwahlen näher zu rücken schien, waren sowohl von Salvini als auch von Di Maio (der zunächst mit Blick auf das Amt des Regierungschefs Kreide gefressen hatte) wieder aus vollem Rohr antieuropäische Töne zu hören: Da war wieder die Rede von der „EU-Diktatur“ bis zu einem Referendum über den Euro. Aber gerade bei dieser Frage müssen die Rechtspopulisten mit dem Widerstand des Staatspräsidenten rechnen, der heute bei einer Tagung in Florenz in ihre Richtung die Botschaft sandte: Im Alleingang und ohne Europa handeln zu können, sei nicht nur eine Illusion, sondern auch „eine bewusste Täuschung der Öffentlichkeit“.

Bis Sonntag wollen Salvini und Di Maio dem Staatspräsidenten ihre Regierungsmannschaft präsentieren. Die notwendige Mehrheit im Parlament haben sie, auch ohne FI. Dann wird es noch düsterer in Italien (und in Europa). Aber das haben die Italiener so gewollt. Und die 5-Sternebewegung hat den Le Pen-Freund Salvini ins italienische Machtzentrum gehievt.

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