Neue Rechte an die Macht
Gestern hat Staatspräsident Mattarella die neue Regierung vereidigt. Ministerpräsident wird der bisher unbekannte Rechtsprofessor Giuseppe Conte mit den (nominellen) Stellvertretern Di Maio (5Sterne) und Salvini (Lega), deren Angestellter er in Wahrheit ist.
Vorausgegangen waren drei surreale Monate taktischer Winkelzüge, endloser Konsultationen beim Staatspräsidenten und diverser gescheiterter Anläufe von „politischen“ und „technischen“ Regierungen. Sie kulminierten am Ende der vergangenen Woche, als die Regierungsbildung zunächst nur noch daran scheiterte, dass Di Maio und vor allem Salvini den Anti-Euro-Ökonomen Savona unbedingt zum Wirtschafts- und Finanzminister machen wollten. Der Staatspräsident, dem laut Verfassung die Ernennung der Minister (auf „Vorschlag des Ministerpräsidenten“) obliegt, sagte dazu Nein. Das war absehbar. Und von Salvini sogar gewollt. Denn er zielte in Wirklichkeit auf Neuwahlen, bei denen die Lega laut Umfragen auf einen Stimmenanteil von 25-27% (etwa 10% mehr als am 4. März) gekommen wäre. Damit hätte sie die 5SB (fast) eingeholt und seine Führung innerhalb der Rechtskoalition, in der Berlusconi bei 10% dümpelt, endgültig besiegelt.Angriff auf den Staatspräsidenten
Nach dem Nein Mattarellas zu dem „Savona-Diktat“ beschuldigte ihn Di Maio fast hysterisch, den Wählerwillen und die Verfassung zu missachten. Bei einer aufgeheizten Kundgebung in Neapel rief er, der sich sonst aalglatt und ewig lächelnd gibt, blass vor Wut nach einem Impeachment-Verfahren (samt Inhaftierung). Wegen „Hochverrats“. Das Netz sekundierte mit massenhaften unflätigen Beleidigungen und gar Todesdrohungen gegen den Staatspräsidenten. Die populistische Attacke hatte das höchste Staatsamt erreicht.
Danach stieg der Spread (Indikator für die Vertrauenswürdigkeit der italienischen Staatstitel im Vergleich zu den deutschen) mit rasender Geschwindigkeit bis zu einer Rekordhöhe von 320 Punkten, mit Milliardenverlusten an einem einzigen Tag. Sorge und Unsicherheit machten sich breit, auch unter den Unternehmern in Nord-Italien, die bisher treue Anhänger der Lega waren. Auch die Lega-Basis murrte. Im Netz wurde Salvini mit kritischen Kommentaren überhäuft: „Warum macht ihr nicht endlich die Regierung?“, „Stimmt es, dass Du nur auf Neuwahlen aus bist? Das wollen wir nicht, wir haben schon gewählt!“, „Wenn Du so weiter trickst, wähle ich Dich nicht mehr!“.
Dann gab Mattarella auch noch zu verstehen, dass er den Termin für Neuwahlen, wenn sie denn nötig wurden, so früh wie möglich ansetzen wollte, also noch im Juli oder Anfang August. Das hieß mitten in der Feriensaison, in der auch viele Arbeitnehmer in Norditalien (Lega-Land) in den Urlaub fahren. Alles Gründe, die Salvinis Plan, die Regierungsbildung mit dem Konflikt um Savona als Vorwand zu blockieren und Neuwahlen anzusteuern, in Frage stellten.
Di Maios Kehrtwende
Gleichzeitig bekam auch der 5SB-Leader Di Maio kalte Füße: Sein chaotischer Führungskurs und seine grotesken Attacken gegen den Staatspräsidenten (die Salvini schlauerweise nicht übernahm) gerieten auch parteiintern zunehmend in die Kritik. Zumal die Lust der Grillini auf Neuwahlen – anders als bei Salvini – ohnehin gering war, da sie nach den Umfragen mit Stimmenverlusten rechnen mussten. Also machte Di Maio zum zigsten Mal eine Wendung um 360 Grad und erklärte plötzlich, man müsse mit dem Staatspräsidenten (den er am Vortag noch verhaften lassen wollte) „zusammenarbeiten“. Denn nicht Mattarella trüge die Schuld am Scheitern der Regierungsbildung, sondern – na, wer wohl? – „die EU und die Merkel“, sie seien es, die Italien nur Minister aufzwingen wollten, die ihnen genehm sind.
Danach trat Di Maio seinen Gang nach Canossa an, sprich zum Quirinalspalast, „entschuldigte“ sich kleinlaut beim Staatspräsidenten und zog einen Kompromissvorschlag aus der Tasche: den umstrittenen Savona mit einem anderen, weniger „sensiblen“ Amt als dem des Wirtschaftsministers zu beauftragen. Also eigentlich genau das, was schon Mattarella angeboten hatte und was Di Maio und Salvini zunächst vehement abgelehnt hatten. Da der Staatspräsident aber ein weiser Mann ist und nicht seine Person, sondern die Interessen des Landes in den Mittelpunkt stellt, ließ er Vergangenes ruhen und signalisierte sofort Zustimmung. Womit er noch einmal unmissverständlich klar machte, dass er keineswegs eine (ihm persönlich wohl unliebsame) „politische“ Regierung verhindern wollte, sondern lediglich darauf bestand, von einer Kompetenz Gebrauch zu machen, die ihm laut Verfassung zusteht.
Also wurde der avisierte Ministerpräsident Conte schnell zurückgeholt. Salvini und Di Maio drückten ihm die korrigierte Ministerliste in die Hand (statt Savona wird der Ökonom Giovanni Tria Wirtschafts- und Finanzminister, Savona wird Minister für Europäische Angelegenheiten) und schickten ihn damit zu Mattarella, der ihm den Regierungsauftrag erteilte.
In einer Reihe mit Ungarn und Polen
Der neue Wirtschaftsminister, der früher ein Berater von Forza Italia war, gilt ebenfalls als Kritiker der EU und besonders der deutschen Regierung. Doch anders als Savona spricht er sich für einen Verbleib Italiens in der Euro-Zone aus. Von seinem „Nachbar“-Ressort aus wird allerdings Savona immer noch bei der Europa-Politik ein wichtiges Wort mitreden. Das „europafreundliche“ Gegengewicht soll der Außenminister Moavero sein, der schon Ämter in den Regierungen von Letta und Monti hatte. Als „strategischer“ Kopf der Lega und rechte Hand Salvinis nimmt Giancarlo Giorgetti eine Schlüsselposition ein: Er wird Chef der Regierungszentrale („des Kanzleramtes“), um dort „aufzupassen“, dass der Ministerpräsident auf Linie bleibt.
Salvini übernimmt das Innenministerium, sein Wunschressort, wo er seinen fremdenfeindlichen Kurs und seine Law and Order-Sicherheitspolitik umsetzen will. Di Maio wird „Superminister“ für Arbeit, Welfare und ökonomische Entwicklung (mit dem „Bürgergeld“ als zentralem Projekt). Neben Giorgetti werden beide als stellvertretende Ministerpräsidenten Conte zur Seite gestellt, ob als „Schutzengel“ oder „im dreifachen Würgegriff“, wird sich noch zeigen.
Mit dieser Regierung ergreift eine „neue Rechte“ die Macht, entstanden aus dem Bündnis der rechtsextremen, xenophoben, souveränistischen Lega mit der populistischen, „antisystemischen“ 5SB. Damit verabschieden sich die Grillini endgültig von ihrem Anspruch, „weder links noch rechts“ und „postideologisch“ zu sein. Sie haben ohne jedes Wimpernzucken die rechtsradikale Lega-Agenda in allen strategischen Bereichen übernommen: von der Zuwanderung bis Europa, von der Steuer- bis zur Sicherheitspolitik. Als erstes westeuropäisches Land verstärkt damit Italien – das EU-Gründungsmitglied – das Lager, zu dem bisher Ungarn, Polen und Rumänien gehören.
Was kommt?
Wie lange das Regierungsbündnis hält und was von dem völlig unrealistischen Koalitionsvertrag tatsächlich umgesetzt wird, lässt sich noch nicht sagen. Wahrscheinlich ist, dass Lega und 5SB zunächst auf Maßnahmen setzen werden, die nichts oder wenig kosten, aber Signalwirkung haben: Freibrief zum Töten bei „legitimer Verteidigung“, Verschärfung der Haftbedingungen, „öffentlichkeitswirksame“ Rückführungen von Flüchtlingen und Ausschluss von Zuwanderern aus Sozialleistungen. Seine erste Handlung als Innenminister, erklärte Salvini, wird die „Streichung der 5 Milliarden sein, die die Linke für die Integration vorgesehen hat“.
Eine wichtige Etappe wird nächstes Jahr die Europawahl sein: Es ist damit zu rechnen, dass die rechtspopulistische Regierung ihre nicht umgesetzte Wahlversprechen dadurch rechtfertigen wird, dass die EU sie daran gehindert habe. Ihr Wahlkampf wird aggressiv europa- und fremdenfeindlich sein, um von eigenen Versäumnissen abzulenken und die Wut und Enttäuschung der Wähler zu kanalisieren.
Nächste Woche wird Ministerpräsident Conte in beiden Parlamentskammern die Vertrauensfrage stellen. Trotz knapper Mehrheit im Senat reichen dafür die Stimmen aus 5SB und Lega. PD und Forza Italia werden mit Nein stimmen, die postfaschistische Partei „Fratelli d‘ Italia“ hat „wohlwollende Enthaltung“ angekündigt. „Il governo del cambiamento“, wie die Koalitionäre ihre Regierung nennen, kommt. Eine Veränderung, die von einem heftigen Rechtswind getragen wird.