Komplizen oder Rebellen

Roberto Saviano

Roberto Saviano

Roberto Saviano ist der Beweis dafür, dass Worte noch Macht haben. Eigentlich ist er „nur“ ein Journalist und Schriftsteller, aber er hat die Gabe, Mächtige so reizen zu können, dass sie ihn um jeden Preis zum Schweigen bringen wollen. Und sich damit selbst entlarven. Als er vor 12 Jahren „Gomorrha“ veröffentlichte, setzte ihn die Camorra auf ihre Todesliste, seitdem lebt er unter Polizeischutz. Nun ist er auch zum scharfen Kritiker der neuen italienischen Regierung geworden, insbesondere ihrer Flüchtlingspolitik (ohne zu unterschlagen, dass schon die Vereinbarungen von Salvinis Vorgänger Minniti mit den Libyern der erste Sündenfall waren).

Drohung und Beleidigung

Als Saviano den Todespoker kritisierte, den Salvini mit den Bootsflüchtlingen spielt, folgte auch hier die Reaktion. Sie war in diesem Fall noch schwerwiegender, denn nun droht Innenminister Salvini, ihm den Polizeischutz zu entziehen, unter dem Saviano seit über 10 Jahren steht. Und ihn damit der Mafia zum Abschuss freizugeben. Damit wurde eine weitere rote Linie überschritten. Zwar lebte Saviano schon vorher in ständiger Lebensgefahr. Das war quälend genug, aber immerhin wusste er dabei die staatlichen Institutionen noch auf seiner Seite. Nun ist es der Staat selbst, der die Farbe wechselt und neben dem die Mafia als bedrohlicher Schatten auftaucht. Aus der Kontraposition wird ein (mögliches) Zusammenspiel, aus einer demokratisch gewählten Regierung ein autoritäres Regime, das Kritikern mit dem Entzug elementarster rechtsstaatlicher Schutzgarantien droht.

Die Eskalationsschraube hat sich inzwischen noch weiter gedreht. Im Mittelalter soll es der Inquisition zuweilen genügt haben, Kritiker durch das Zeigen der Folterwerkzeuge zur Räson zu bringen. Bei Saviano reichte die Drohung nicht. Er warf Salvini öffentlich vor, ein „Minister der Unterwelt“ zu sein, der die „Sprache eines Mafioso“ spreche. Wobei der „Minister der Unterwelt“ ein Zitat aus der italienischen Parlamentsgeschichte ist. 1910 warf der Historiker Salvemini diese Worte dem späteren Regierungschef Giolitti an den Kopf, als dieser versuchte, politische Gegner mit Einschüchterungen mundtot zu machen).

Aber Salvini wusste das nicht zu würdigen und reagierte ziemlich humorlos. Er reichte eine Verleumdungsklage ein. Un zwar nicht als einfacher Bürger, sondern auf dem Kopfbogenpapier seines Ministeriums. Was nebensächlich erscheinen mag, aber ein wichtiges Signal enthielt: Hinter meinem Vorgehen steht die gesamte Regierung. Die er damit auch zum Komplizen seiner Drohung machte, Saviano den Polizeischutz zu entziehen.

Savianos Appell

Saviano sah darin eine weitere Eskalation. In einem ersten Facebook-Post schrieb er: „Ich habe es noch nie getan, aber heute wende ich mich an Euch, mir in diesem Kampf beizustehen… Es liegt an den Menschen guten Willens, sich an die Hand zu fassen und gegen den Vormarsch des Autoritarismus Widerstand zu leisten. Auch wenn er, um mehr Angst einzujagen, das Kopfbogenpapier eines Ministeriums und den Einsatz einer ganzen Regierung gegen einen Schriftsteller nutzt. Ich habe keine Angst“.

Saviano ist kein Held, im letzten Satz steckt wohl auch eine gute Portion Autosuggestion. Denn er schickte dem Post einen Aufruf hinterher, den er am 24. Juli in der „Repubblica“ veröffentlichte und dessen Übersetzung am 26. Juli in der „Süddeutschen “ erschien. Da er dort nachzulesen ist, hier nur ein kurzer Kommentar. Der Aufruf richtet sich an alle „Personen des öffentlichen Lebens, die die Möglichkeit haben, andere Menschen und Gemeinschaften zu erreichen“, vor allem an Intektuelle und Künstler („Autoren, Journalisten, Blogger, Philosophen, Schauspieler“) . Mit dem Appell an sie, das Schweigen zu brechen und Stellung zu beziehen. „Die Zeit, sich bedeckt zu halten, ist vorbei. Wenn ihr euch nicht beteiligt, bedeutet das euer Einverständnis mit dem, was passiert. Es gibt nur Komplizen oder Rebellen“.

Kein Hahnenkampf

Auch wenn Saviano eine Neigung zum Narzissmus hat, wäre es falsch, in diesem Konflikt nur einen Hahnenkampf zu sehen. Salvinis Drohung, ihm wegen seiner Kritik den Polizeischutz zu entziehen, zeigt die reale Gefahr: Der Staat wird mafioser, die demokratische Gewaltenteilung verliert an Kontur. Die Gefahr einer autoritären Wende ist kein Hirngespinst.

Die Tatsache, dass Saviano jetzt einen derartigen Aufruf loslässt, ist – so mein Eindruck – kein Indiz dafür, dass sich die Zivilgesellschaft guter Gesundheit erfreut. Die italienische Intellektuellenszene ist gelähmt, wogegen Saviano – auch im eigenen Interesse – etwas zu unternehmen versucht. Sein „Appell“ enthält einen Hinweis auf eine Ursache dieser Lähmung: Ungewöhnlich ausführlich beschäftigt er sich mit der Frage, ob Künstler, die Geld verdienen, überhaupt das Recht haben, Menschenrechtsverletzungen und soziale Missstände anzuprangern. Das geschürte Ressentiment gegen die „Eliten“ zeigt Wirkung.

Salvinis Reaktion auf den Aufruf war die Bestätigung. Er twitterte nur: „Und die Anderen? Handwerker, Studenten, Arbeiter, Händler, Angestellte, Rentner, Hausfrauen, Krankenschwestern, Polizisten, Arbeitslose… Für den reichen Schriftsteller sind sind das Berufe, die nicht genug in Mode sind, wer weiß? Küsse an Saviano und „stopinvasione“ (der Anti-Flüchtlings-Slogan, aus dem Salvini sein Markenzeichen machte). Die Unterstellung, dass sich der „reiche Schriftsteller“ Saviano nur für Künstler und Intellektuelle interessiere, ist eine bewusste Lüge, gerade bei Saviano, aber auch genau gezielt, denn es setzt wieder auf das Ressentiment gegen die „Eliten“. Die „Küsse“ am Ende signalisieren nur vordergründig Freundlichkeit. Auch die Mafia schickt ihren Opfern zur Einschüchterung „Küsse“.

Auch hier hängt sich die 5-Sterne-Bewegung dran

Wer noch hoffte, dass die 5SB hier andere Akzente setzt, sieht sich getäuscht. Auf ihrer Internetseite 5stellenews findet man eine Stellungnahme, in der sich zur Frage des weiteren Polizeischutzes für Saviano nur die rätselhafte Äußerung gibt, dass denen, denen es „zustehe“, auch weiterhin Personenschutz gewährt werde. Ob dies auch weiterhin für Saviano gilt, bleibt also offen. Ergänzt wird dies durch die Ausfälle eines „Philosophen“, der verkündet, dass sich Savianos „weinerliche Ergüsse“, die er von seiner „New Yorker Luxuswohnung“ aus loslasse, nicht an das „italienische Volk“, sondern nur an irgendwelche „ausländischen Potentaten“ wende, und zwar mit der Bitte, die italienische Regierung aus dem Amt zu jagen. Saviano als im Luxus lebender Ausländerknecht – das ist die souveränistische Suppe, in dem auch die 5SB rührt.

Der Fall zeigt, dass es in Italien gegenwärtig nicht nur um die Frage der Flüchtlinge geht, die in Nordafrika in die Boote steigen, um Europa zu erreichen. Es geht auch um grundlegende Prinzipien der Demokratie: Menschenrechte, Meinungsfreiheit, demokratische Gewaltenteilung, die in Gefahr sind. Er zeigt gleichzeitig, wie wichtig es ist, dass es Menschen wie Saviano gibt.

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