Salvinis längerer Hebel
Aus unserer Geschichte kennen gerade auch wir Deutschen die Hoffnung, dass „der Spuk bald ein Ende haben wird“. Wie ein schlechter Traum, aus dem man sich hoffentlich bald wachschütteln kann. Diese Hoffnung haben jetzt einige unserer italienischen Bekannten, gerade auch wenn sie selbst zu dem politischen Erdrutsch im März beigetragen haben. Wir würden schon sehen, so die Hoffnung derjenigen, die diesmal die 5SB wählten, dass es zwischen der 5SB und der Lega bald zum Bruch kommen werde.
Neueste Umfrage
Dagegen spricht zunächst die simple Logik der Macht. Die Bündnispartner sitzen fester denn je im Sattel, und zwar als Tandem. Nach der letzten Meinungsumfrage von Demos (Mitte September) ist die Zustimmung zur Regierung Conte auf 62 % angestiegen, ein Wert, von dem die vorhergehenden Mittelinks-Regierungen unter Renzi und Gentiloni nur träumen konnten (die bestenfalls auf 45 % kamen).
Das Ansehen ihrer Führer bewegt sich in ähnlichen Höhen: Salvinis Zustimmungswert ist seit dem Mai dieses Jahres von 52 auf 60 % gestiegen, Di Maios von 42 auf 57 %, und der Wert des gemeinsam auserwählten „Ministerpräsidenten“ Giuseppe Conte, der im Mai noch ein Niemand war (und in Wahrheit bis heute blieb), sogar auf 61 %. Ebenso erstaunlich ist der Ansehensgewinn von Di Maio, der in einer „Bewegung“, bei der Unpersönlichkeit zum Programm gehörte, der große Gewinner ist (und dabei auch seinen Ziehvater Grillo, der nur auf 32 % kommt, weit hinter sich lässt).
Dass es zwischen den Bündnispartnern immer wieder Streit gibt, scheint in der Wählerschaft, der ja meist Harmoniesucht unterstellt wird, kein Nachteil zu sein. Denn man kann in diesen Auseinandersetzungen auch das Ergebnis einer thematischen Arbeitsteilung sehen, die den Kreis der ansprechbaren Wählerschichten erweitert: Die 5SB profiliert sich als Sprecherin der Wutbürger und Arbeitslosen ( „Reddito di Cittadinanza“), vor allem im Süden, die Lega als souveränistisches Sprachrohr der xenophoben, rentenbesorgten und steuerfeindlichen Stammtische des Nordens. Auch beim Umgang mit politischen Konkurrenten oder Gegnern gibt es eine Arbeitsteilung: Die Lega vereinnahmt die Rechte, die 5SB zertrümmert die Linke (soweit sich die nicht schon selbst zertrümmert hat).
Die Klammer Xenophobie
Die programmatische Klammer, die die Partner zusammenhält, ist das Versprechen der „Veränderung“ – und die militante Ablehnung der Flüchtlinge. Auch wenn es Unterschiede im Stil gibt: blanker Zynismus bei Salvini, jesuitische Umwege bei Di Maio (der die NGO-Schiffe mit der pseudo-moralischen Lüge aus dem Mittelmeer verbannte, sie machten „Geschäfte mit den Schleppern“). Es sind Unterschiede im Ton, nicht in der Sache, in der man sich weitgehend einig ist: Dass Italien seine Häfen gegenüber den aus dem Mittelmeer geretteten Flüchtlingen schließt, befürworten 85 % der Lega- und 75 % der 5SB-Anhänger (in der Gesamtbevölkerung sind es 54 %). Diese Tür schlagen beide gemeinsam zu.
Das Volk applaudiert hier jedoch vor allem der Lega. Deren Führer Salvini die „Furbizia“ besaß, sich in der neuen Regierungskoalition zum Innenminister zu machen. Und seitdem keine Gelegenheit auslässt, um Italien vor der „Invasion aus Afrika“ zu schützen, und dabei den Konflikt mit Europa und den eigenen Gerichten zu suchen scheint. Was auch deshalb Erfolg hat, weil die mangelnde Solidarität der anderen Länder jeder aus Europa kommenden humanitären Kritik die Glaubwürdigkeit nimmt.
Wie fest die Regierungsparteien im Sattel sitzen, zeigen die neuesten Antworten auf die „Sonntagsfrage“ (welche Partei würden Sie heute wählen?): die Lega käme auf 30,2 %, die 5SB auf 29,4 %, die PD auf 17,3 %, Forza Italia auf 8,7 %, die linken Liberi e Uguali auf erbärmliche 2,9 %. Die Anhängerschaft Berlusconis hat sich seit der Wahl noch einmal fast halbiert (sie erreichte im März noch 14,0), während sich das Dahinschwinden der PD langsamer vollzieht (seit März verlor sie „nur“ 1,4 %).
Neue Parteienlandschaft
Dass sich die gesamte Parteienlandschaft grundlegend verändert hat, zeigen die ersten beiden Zahlen: Die Lega, die im Mai als „Juniorpartner“ in das Regierungsbündnis mit der 5SB eintrat (sie hatte im März 17,4 % erhalten), ist inzwischen zur stärksten politischen Kraft des Landes geworden. Und hat dabei nicht nur die PD, sondern auch die 5SB überflügelt, die im März noch allein vorne lag. Die 5SB, die im März bei 32,7 % lag, hat gut 3 % verloren – kein dramatischer Einbruch, aber genug, um den Traum von der totalen Machtübernahme in die fernere Zukunft zu verschieben. Und um jenen in der „Bewegung“ Auftrieb zu geben, die verlangen, dass sie wieder mehr eigenes Profil zeigen und deshalb auf sozialem Gebiet möglichst schnell einen Erfolg vorweisen müsse. Das heißt zurzeit vor allem das Durchsetzen des „Reddito di Cittadinanza“, auch wenn dies, wie Di Maio gerade noch einmal bekräftigte, nur durch neues Schuldenmachen möglich ist. Die Wahlversprechen haben sich nicht der Realität, sondern die Realität hat sich den Wahlversprechen anzupassen. Dass dies auf den Bruch mit den Brüsseler Sparvorgaben hinausläuft, ist vorprogrammiert – für den antieuropäischen Souveränisten Salvini ist ein solcher Bruch sowieso wünschenswert.
Zwei Trümpfe Salvinis
Beobachter der politischen Szene registrieren, dass der Siegeszug Salvinis bei den „Grillini“ die Nervosität steigen lässt. Vor allem dank der Trümpfe, über die Salvini verfügt und die den Grillini fehlen. Der eine sei die Flüchtlingsfrage, die Salvini als Innenminister jedes Mal wie einen Joker aus dem Ärmel ziehe, wenn er in irgendwelche Schwierigkeiten gerät. Der zweite sei Salvinis „Plan B“, über den für den Fall des Bruchs mit der 5SB verfüge: die Neuauflage des Rechtsbündnisses, das auch die Reste von Berlusconis FI einschließt. Die Antworten auf die „Sonntagsfrage“ zeigen, dass hier ein Machtblock entstehen könnte, der sich zwar nicht auf 60 % der Wählerschaft stützt wie die gegenwärtige Koalition, aber immerhin auf über 40 %. Das Wahlgesetz könnte diesem Rechtsblock zur absoluten Mehrheit in beiden Kammern verhelfen, mit Salvini als unbestrittenem Herrscher.
Vorher muss Salvini allerdings noch das „Problem Berlusconi“ lösen. Das scheint bereits erledigt zu sein – mit ihm hat Salvini vereinbart, bei den bevorstehenden Regionalwahlen nun doch gemeinsam anzutreten. Die dazu gehörigen Verhandlungen führte Salvini in der Position der Stärke: Gegen die Zusicherung, die unternehmerischen Interessen Berlusconis im Medienbereich zu wahren, erkannte dieser den politischen und programmatischen Führungsanspruch Salvinis an. Das einstige Versprechen Berlusconis gegenüber der EVP, Salvini „unter Kontrolle“ zu halten, ist Makulatur.
Mit der 5SB kann sich Salvini ab sofort auf jede Machtprobe einlassen. Er sitzt am längeren Hebel.