Der antieuropäische Kern
Wenn es um Europa geht, macht die neue italienische Regierung den rüden Umgangston zur Normalität. Für sie sitzen in Brüssel nur italophobe „Bürokraten“, auf die Di Maio und Salvini „pfeifen“. Ministerpräsident Conte fällt es „auch im Traum“ nicht ein, „einen Haushalt auf der Grundlage eines EU-Kommissars zu machen“. Nach der Europawahl werde es diese Herren ja „nicht mehr geben“, die amtierende Kommission sei jetzt schon ein „wandelnder Leichnam“, mit einem Trunkenbold als Präsidenten (wie Salvini genüsslich durchblicken lässt). Gleichzeitig werden schon Durchhalteparolen ausgegeben: Auch bei einem Veto aus Brüssel werde die Regierung „Kurs halten“. Gegen die zu erwartenden Nebenwirkungen werden schon Verschwörungstheorien gebastelt: Wenn der Spread für die italienischen Staatsschuld wieder steige (und demnächst noch weiter steigen werde), dann sei es die Schuld derjenigen, die jetzt absichtsvoll vor ihm warnen und damit der „Regierung des Volkes schaden“ wollten. Derartige Töne werden angeschlagen, wenn Glücksritter in einen Krieg ziehen und darauf setzen, niemals wieder mit der Gegenseite zusammenarbeiten zu müssen. Der Minister für europäische Angelegenheiten, Paolo Savona, sagt es professoral vornehmer: „Wir haben dem alten Europa den Fehdehandschuh hingeworfen. Nun müssen wir auch den Krieg gewinnen. Denn Krieg wird es geben“. Es scheint, dass Savona zum strategischen Vordenker der Regierung geworden ist.
Verhunzter Keynes
Der Fehdehandschuh, den die neue Regierung Europa mit so viel Kriegsgeschrei vor die Füße wirft, ist der Haushalt, über den wir im letzten Blog-Beitrag berichteten. Das Geschrei ist hohl, weil die Regierung den Haushalt als Wundermittel gegen alle möglichen Krankheiten verkaufen will: Er sei nicht nur das „Ende der Armut“ (das er in Wahrheit nicht bringt), sondern werde auch den schon lange erhofften Wachstumsschub zünden. Was jedoch mehr als fraglich ist, und zwar vor allem deshalb, weil er die Schulden an der falschen Stelle macht, d. h. (bestenfalls) die Konsumkraft stärkt, ohne die Strukturreformen anzupacken, welche nicht nur die Wirtschaft, sondern das ganze Land dringend benötigt. Das Ergebnis ist bestenfalls ein Strohfeuer, das die Probleme nicht löst, aber als einzige nachhaltige Wirkung die Verschuldung weiter in die Höhe treibt.
Es wäre allerdings zu kurz gegriffen, die Ursache für den Konflikt mit Europa nur in einem falsch verstandenen Keynesianismus zu suchen. Für die Ideologie der Souveränisten ist Europa selbst der Sündenfall. Der Antieuropäismus ist es, der die 5SB und die Lega von Anfang an verband und sich bei der 5SB vor allem gegen den Euro, bei der Lega gegen die gesamte EU richtet. Dass er im Wahlkampf vor dem 4. März, der ihnen zusammen die Mehrheit brachte, kaum eine Rolle spielte, hatte vor allem taktische Gründe: Zwar war von der Lega bekannt, dass sie zum Le Pen-Lager gehört und raus aus der EU will, aber sie erklärte dies nicht zum offiziellen Wahlziel, um ihre alte Klientel im Norden, das kleine und mittlere Unternehmertum, nicht allzu sehr zu verprellen. Und auch um das Bündnis mit Berlusconi, der hier als EVP-Mitglied vorsichtiger ist, nicht zu gefährden. Ebenso strich die 5SB kurz vor der Wahl ein Referendum gegen den Euro aus ihrem Programm und folgte damit dem Rat ihres Marketing-Gurus Casaleggio. Wobei ihre Führung sich jedoch nur geringe Mühe gab, ihre fortbestehende Euro-Gegnerschaft zu verbergen: Man tue dies deshalb, so Di Maio treuherzig, um den Wählern die „Furcht“ zu nehmen. Die Frage eines Journalisten, wie sich Di Maio verhalten würde, wenn es dann doch zu einem solchen Referendum kommen werde, bekannte dieser, dann gegen den Euro zu stimmen.Destruktion von innen
Als es zum Regierungsbündnis der 5SB nicht mit der gesamten Rechten, sondern nur mit der Lega kam, standen dem Antieuropäismus der Partner kaum noch Hindernisse im Weg. Da er aber in den Wahlprogrammen beider Parteien nur verhüllt zum Ausdruck gekommen und auch nicht zum gemeinsamen „Regierungsvertrag“ gehörte, lag ein Umweg nahe: zunächst die sozialen Wohltaten zu beschließen, welche die Partner populär gemacht hatten und derentwegen sie ja auch gewählt worden waren, um dann den erwarteten Einspruch aus Brüssel nicht nur als Ausdruck der dortigen „Volksfeindlichkeit“ zu brandmarken, sondern zum eigentlichen Aufhänger des Konflikts zu machen. Das erklärt die gezielte Nonchalance, mit der sie sich beim Festlegen ihrer Haushaltsziele über alle Brüsseler Regeln hinwegsetzen, und die provokante Rhetorik, mit der sie dies begleiten.
In einem Punkt haben sie allerdings hinzugelernt. Sie haben erkannt, dass es zu dem schlichten Austritt aus der EU (Lega) oder wenigstens aus dem Euro (5SB) eine Alternative gibt: ein Kantersieg der Euro-Skeptiker und Europafeinde bei den Europawahlen, der jetzt in Reichweite ist. Kann man den Konflikt um den Haushalt nicht auch dafür nutzen und so den Feind von innen her zur Strecke bringen? Gibt es nicht überall einen Boom der Protestwahlen? Die Gelegenheit ist günstig, und ein Sieg würde beide Regierungspartner innen- wie außenpolitisch stärken. 5SB und Lega befinden sich weiterhin im Aufwind, die Proeuropäer sind führungslos und gespalten (nicht nur in Italien) oder lethargisch (wie in Deutschland), und der Feind, den jede Protestwahl braucht, ist in Brüssel identifiziert. In ganz Europa wachsen Bündnispartner heran, auch wenn das einigende Band eigentlich nur eine Negation ist: Zuerst unser Land. Auf die Frage, wie es dann weitergehen soll, z. B. mit dem Euro, gibt es noch keine gemeinsame Antwort, auch von Lega und 5SB nicht, aber das wird man dann sehen. Nur auf eines kann man schon jetzt setzen: Die gegenwärtige Brüsseler Kommission wird abgewählt, und mit dem Spuk haben auch die Einschränkungen der einzelstaatlichen Souveränität, vor allem die Austerity, ein Ende.
Fahrplan des Konflikts
Dass jetzt aus Brüssel das erste Nein zu den Eckdaten des Haushalts 2019 kam, haben die Strategen der Regierungskoalition längst eingeplant. Der nächste Zug wird die Vorlage eines Haushaltsentwurfs sein, den die Kommission Mitte November formell ablehnt. Die Regierungskoalition wird auf ihm beharren, so dass Brüssel im Februar gegen Rom ein Verfahren wegen Regelverletzung einleiten muss, das sich über Monate hinziehen wird. Der Europawahlkampf kann also in Italien im Zeichen eines Konflikts stattfinden, dem 5SB und Lega so beschreiben werden: Die Kommission will verhindern, dass in Italien weniger Steuern gezahlt werden, und will das Volk in Armut halten. Wollt Ihr das? Eine prachtvolle Frontstellung, um für den bevorstehenden Europawahlkampf zu mobilisieren.
Eine Unbekannte bleibt hier allerdings Staatspräsident Mattarella. Er ist immer noch populär und hat verschiedene Instrumente, um noch Einfluss auf den Gang der Dinge zu nehmen, von der „moralischen Einflussnahme“ bis – im Extremfall – zur Verweigerung seiner Unterschrift. Einen ersten kleinen Schritt in dieser Richtung hat er getan, indem er öffentlich anmerkte, beim nächsten Haushalt müsse man auch an „die Zukunft unserer Kinder“ denken, denen man nicht noch mehr Schulden hinterlassen dürfe. Womit er weder die Brüsseler Sparvorgaben noch die Auflagen der Verfassung (die einen ausgeglichenen Haushalt verlangt) zum Maßstab machte, sondern das nationale Eigeninteresse. Solche längerfristigen Überlegungen sind den gegenwärtig Regierenden fremd.