Zerfall der PD?
Zur Finsternis Italiens gehört der Zerfall der PD. Es gibt Horrorfilme über lebende Leichen, die sich urplötzlich in ihre Bestandteile auflösen und nur noch ein Häufchen Lumpen oder – noch lakonischer – Asche hinterlassen. Assoziationen, die auch die gegenwärtige PD erweckt.
Sogar der Versuch, einen neuen PD-Generalsekretär zu wählen, könnte zum Fiasko werden. Zwei Faktoren wirken dabei zusammen: Erstens das Versteckspiel, das Renzi in der Frage veranstaltet, ob er nun die PD verlassen will oder nicht. Zweitens weil Marco Minniti (über den wir berichteten) inzwischen seine Kandidatur wieder zurückgezogen hat. Also der Mann, der nicht nur ein Mitfavorit war, sondern sich auch am deutlichsten in den Dienst eines Zusammenhalts gestellt hatte, der den Flügel der Renzianer umfasste.
Minnitis Rückzug
In dem Interview, das Minniti am 5. Dezember der „Repubblica“ gab, begründete er seinen Rückzug damit, dass sich bei den Primarie für niemanden eine absolute Mehrheit abzeichne, was den relativen Sieger von vornherein entlegitimieren und die Gefahr eines Rückfalls in die alten „Correnti“ (in der SPD würde man sagen: Seilschaften) verstärken würde. Gerade jetzt, wo alles darauf ankomme, eine Alternative zum „Nationalpopulismus“ zu schaffen, müsse die Partei möglichst einig sein. Woraus er noch eine weitere Bedingung ableitete: Obwohl er Wert darauf legte, nicht allein als ‚Renzis Kandidat‘ ins Rennen zu gehen, forderte er dessen Garantie, die Partei nicht zu verlassen. Dass Renzi dies nur mit Schweigen beantwortete, sei der eigentliche Grund für Minnitis Rückzug gewesen.
Die Anzeichen, dass Renzi hier sein eigenes Spiel spielt, mehren sich. Sein Ego ist zwar groß, aber auch er muss zur Kenntnis nehmen, dass er in der PD eher als Belastung denn als Hilfe betrachtet wird. Bei der Frage, wer neuer Generalsekretär werden könnte, brachte ihn niemand mehr ins Spiel. Leute wie Delrio und Gentiloni, die bisher als seine Gefolgsleute galten, sind zu ihm auf Distanz gegangen und unterstützen jetzt Martina oder Zingaretti. Womit sie für Renzi „Verräter“ („traditori“) geworden sind.
Demonstrative Distanz
Renzis letzte Twitters und öffentliche Auftritte signalisieren nur eins: Distanz. Schon seit Monaten kümmere er sich „nicht mehr um den PD-Laden, sondern um nur noch um das Land“, was „wichtiger als die PD“ sei. Als er im Fernsehen gefragt wurde, ob er seine eigene Partei aufmachen wolle, antwortete er zwar, dass dies für ihn „nicht auf der Tagesordnung“ stehe. Aber sein Zusatz, dass ihn in der Politik nur „die Zukunft interessiert, nicht die Vergangenheit“, dürfte bei seinen Anhängern, die es in der PD immer noch gibt und ihm manches Parteiamt verdanken, Unruhe ausgelöst haben. Zumal er durchblicken ließ, dass für ihn auch die PD zu dieser „Vergangenheit“ gehört.
Wobei es nicht nur um die Schicksale und Egos von Personen, sondern auch um Inhalte geht. Die Kandidaten für den Generalsekretär (und auch der zurückgetretene Minniti) sind sich darin einig, dass die PD in den letzten Jahren den Fehler machte, sich zu sehr um die neue urbane Mittelschicht und zu wenig um die „Peripherie“ zu kümmern. In der Feststellung, dass hier eine Kurskorrektur nötig sei, steckt viel Kritik an der vergangenen Politik Renzis. Ebenso wie in Renzis neuem Netzwerk von „Bürgerkomitees“, die sich aus dieser neuen Mittelschicht rekrutieren, die Antwort steckt, dass er diese Kurskorrektur nicht für nötig hält. Er hofft offenbar, sie könne irgendwann zum Keim einer Bewegung „à la Macron“ werden. Renzis Tragik ist es, sich noch dann an illustre Vorbilder zu klammern, wenn sie ihren Zenit bereits überschritten haben: erst an Blair, dann an Obama, nun an Macron.Renzis Trümpfe
Von den „Bürgerkomitees“, an denen Renzi bastelt, hört man nicht allzu viel, außer dass sie offenbar wie Pilze im Herbstregen aus der Erde schießen – sie sollen „schon die Zahl 531“ erreicht haben. Sie sind Renzis persönliche Parallelaktion, auch wenn in der Schwebe bleibt, was er eigentlich mit ihnen vorhat: Ob er sie irgendwann der PD als eine Art Morgengabe anbietet, natürlich mit sich als unverzichtbarer Dreingabe, oder ob sie sein Anfangskapital für die Spaltung sind. Die übrigens, wenn es wirklich zu ihr kommen sollte, nach Einschätzung der Auguren bald erfolgen müsste: noch vor den Europawahlen, also spätestens im Januar, damit Renzi bei dieser Gelegenheit seine Neuschöpfung testen kann.
Dass er diese Frage vorerst in der Schwebe hält, zwingt die PD, einen Teil ihrer Energie auf die Frage nach seinen „wahren“ Absichten zu konzentrieren. Wobei er zwei Trümpfe hat: seine immer noch vorhandene Hausmacht in der PD, und seine – zwar geschrumpfte, aber noch vorhandene – Wählerschaft. Zwar hat sich seit dem „Abfall“ von Delrio und Gentiloni seine Kontrolle über die PD-Führungsgruppe gelockert. Aber eine Hierarchiestufe tiefer zahlt sich seine frühere innerparteiliche Machtpolitik aus: Seine direkte Gefolgschaft in den beiden Kammerfraktionen wird auf 90 (von verbliebenen 166) PD-Abgeordneten geschätzt, also immerhin auf ihre Mehrheit.
Schon das ist Grund genug, um ihn mit Samthandschuhen anzufassen. Aber auch der Blick auf die Wählerschaft zeigt die Probleme einer Spaltung. Denn auch hierzu gibt es Umfragen: Würde Renzi seine eigene neue Partei aufmachen, so könnte er immer noch 5 bis 10 % zu sich überzuziehen – das ist nicht viel, aber da sie fast ausnahmslos aus der bisherigen Wählerschaft der PD kommen würden (die jetzt bei etwa 18 % liegt), könnte sich diese sogar halbieren. Es könnte der endgültige Absturz in die Bedeutungslosigkeit sein.
Erneuerung mit Hindernissen
So ist die „Erneuerung der PD“, von der die Linke redet, mit einem Handicap belastet, das ihr nur die Wahl zwischen Pest und Cholera lässt: Wenn sie sich von Renzi trennt, würde sie ihr Profil schärfen können, aber sie würde zumindest kurzfristig weitere Wähler und Abgeordnete verlieren. Oder sie trennt sich nicht von ihm, und die PD bliebe auf längere Sicht gespalten und profillos. Es ist nicht leicht, sich unter solchen Umständen neu zu erfinden.
Die PD versucht es trotzdem. Der Rücktritt Minnitis hat die Chancen Nicola Zingarettis, der als Gegner des „Renzismus“ gilt, weiter steigen lassen. Sein prominentester Unterstützer, der „Überläufer“ Gentiloni, rät ihm, sich schon jetzt wie der neue Generalsekretär zu verhalten (ohne allerdings seine Führungsmannschaft „nur aus alten Kommunisten“ zu rekrutieren – auch in der erneuerten PD sollen „verschiedene Seelen“ koexistieren können).
Die „Renziani“ in der PD wollen retten, was für sie noch zu retten ist. Aber schon dabei haben sie sich zerstritten. Eine Minderheit will noch im letzten Moment einen eigenen Kandidaten aus dem Ärmel zaubern. Eine Mehrheit will in Verhandlungen mit dem Kandidaten eintreten, dem im Vergleich zu Zingaretti als das „kleinere Übel“ gilt: Maurizio Martina. Aber auch der hat seine Erfahrungen mit Renzi gemacht. Und wird sich die Hände nicht so einfach binden lassen.