Die Frauen und die Jugend

Während die Opposition schwächelt und primär mit sich selbst beschäftigt ist, wächst in Teilen der Zivilgesellschaft der Widerstand gegen die rechtspopulistische Regierung von Lega und 5-Sterne-Bewegung. 200.000 Frauen und über 100.000 Schülerinnen und Schüler sind im Monat November in vielen Städten Italiens auf die Straße gegangen. Ihr Protest ist umfassend: Er richtet sich gegen die Gewalt gegen Frauen, gegen Rassismus und Diskriminierung von Minderheiten und gegen die Politik der Regierung, von der Wirtschafts- bis zur Sozial- und Bildungspolitik.

Gegen Männergewalt und frauenfeindliche Gesetze

Am 24. November, anlässlich des internationalen Welttags gegen Gewalt an Frauen, gab es Demonstrationen und Protestaktionen in vielen italienischen Städten. Frauen – und auch Männer – aller Altersgruppen wendeten sich gegen die erschreckend hohe Zahl von „femminicidi“ (Frauenmorde) und gegen alle Formen von Männergewalt. Männer, die in der übergroßen Mehrheit die eigenen Ehemänner, „Freunde“ und Verlobten sind. Die größte Gefahr für die Frauen geht von ihnen, nicht von Fremden aus. Der gefährlichste Aufenthaltsort ist für sie die eigene Wohnung, nicht die Straße. Doch die Regierung, insbesondere die Lega, interessiert sich für diese alltägliche Gewalt kaum. Medienwirksame Empörung gibt es nur, wenn die Täter Flüchtlinge oder Zuwanderer sind. Die Verbrechen italienischer Täter werden – wenn überhaupt – nur mit Bedauern registriert.

Auf den Demonstrationen forderten die Frauen auch die Rücknahme des Gesetzesdekrets „Pillon“ (so genannt nach dem Erstunterzeichner, dem Lega-Senator Pillon). Das Dekret sieht vor, dass bei Trennungen und Scheidungen eines Paares die Sorgepflicht und Betreuung der Kinder in jedem Fall zwischen Mutter und Vater hälftig zu teilen sind. Das gilt auch für die Kosten und die Zeiten, die die Kinder bei der Mutter bzw. dem Vater verbringen.

Die Frauenorganisationen sowie auch linke Oppositionsparteien und Kinderschutzverbände lehnen diese Regelung ab, weil dadurch die Bedürfnisse und Interessen sowohl der Mütter als auch der Kinder verletzt werden. Es sei nicht zu verantworten, dass auch in Fällen häuslicher Gewalt – gegen die Mutter und/oder die Kinder – die „1 zu 1“-Regelung zwingend gelten soll. Mütter, die meist weniger als die Väter verdienen oder gar keine Beschäftigung haben, würden durch die Pflicht zur gleichmäßigen Kostenaufteilung benachteiligt. Mit der möglichen Folge, dass sie gegen ihren Willen allein aus Gründen der Existenzsicherung auf eine Trennung oder Scheidung verzichten, auch wenn diese zum Schutz der Frauen und der Kinder dringend angezeigt wäre. Für Paare, die sich trennen wollen, sieht das Dekret als Voraussetzung für die Einleitung des Scheidungsverfahrens auch eine Verpflichtung zur „familiären Mediation“ vor. Ein solcher „Mediationszwang“ sei bei starken Konflikten und zerrütteten Beziehungen kaum praktikabel und besonders in Fällen von häuslicher Gewalt nicht vertretbar, betonen die Kritiker.

Schülerprotest gegen die Regierungspolitik

studentiroma1Widerstand gegen die Politik der rechtspopulistischen Regierungskoalition regt sich auch in den Schulen. Am 16. November haben Schülerinnen und Schüler in 70 Städten gegen Kürzungen im Bildungsbereich und gegen das von Salvini aufgelegte Programm „Sichere Schulen“ protestiert, das den Einsatz von Sonderkräften der Polizei und die Installierung von Videogeräten vorsieht, um gegen den Handel und Konsum von Drogen an Schulen vorzugehen. Aber der Schülerprotest richtet sich auch gegen das „Sicherheitsdekret“ des Innenministers, das in erster Linie auf die Abschaffung von Schutzregelungen für Flüchtlinge und auf die Verhinderung von Integration zielt, und gegen weitere Regierungsvorhaben. Inzwischen wurden mehrere Gymnasien von den Schülern besetzt, sechs davon in Rom.

Die Schüler des renommierten Gymnasiums „Torquato Tasso“ (Nr. 1 im Ranking der römischen Schulen) veröffentlichten nach dem Beginn der Besetzung eine Erklärung. Wir übersetzen sie hier (mit leichten Kürzungen), weil sie zeigt, dass der Schülerprotest sich keineswegs auf das Bildungsthema beschränkt, sondern ein weites politisches Spektrum umfasst. Ähnlich lautende Stellungnahmen verfassten die Schüler anderer besetzter Gymnasien.


Erklärung der Schüler des besetzten Gymnasiums „Tasso“

„Zuallererst erklären wir unseren Dissens gegenüber der Wirtschafts- und Sozialpolitik der Regierung. Wir unterstreichen unsere Überzeugung, dass das fundamentale Element der Besteuerung ein System der Progression sein muss. Und wir erinnern nachdrücklich daran, dass Italien entsprechend dem Artikel 1 der Verfassung eine ‚auf Arbeit und auf die Würde der Arbeitenden gegründete Republik‘ ist. Diese Würde wird durch eine Sozialhilfe wie das sogenannte Bürgergeld herabgesetzt, wenn nicht gar ausgelöscht.

Zum zweiten erklären wir unseren Dissens zu dem Gesetzesdekret ‚Sichere Schulen‘, welches unter Sicherheit in den Schulen in Wirklichkeit die militärische Kontrolle der Schüler intendiert. Dafür werden erhebliche Finanzmittel bereitgestellt, die besser für die Lösung der wirklichen Sicherheitsprobleme in den Schulen genutzt werden könnten. Denn eine Schule ist dann sicher, wenn nicht das Dachgesims herunterfällt, wenn im Winter die Heizung läuft und wenn die technischen Anlagen den gesetzlichen Normen entsprechen und einwandfrei funktionieren.

Darüber hinaus lehnen wir mit Entschiedenheit die geplanten Steuer- und Bauamnestien ab, mit denen ein weiteres Mal kriminelles Verhalten, das in unserem Land allzu verbreitet ist, honoriert wird. Legalität wird damit von einer Geldzahlung abhängig gemacht, was den Vermögenderen erlaubt, sich mit Zustimmung des Gesetzgebers von Sanktionen ‚freizukaufen‘.…

Nicht zuletzt wenden wir uns gegen die Demagogie der Regierung von Lega und 5-Sterne, die immer wieder aus politischem Kalkül menschliche Solidarität an den Pranger stellt und diejenigen, die sich für die Menschenwürde einsetzen, als Kriminelle diffamiert. Für die Menschenwürde von Migranten, die vor Krieg, Armut, Hunger fliehen mussten und nun zu Sündenböcken allen Übels in diesem Land gemacht werden. …

Mit unserem entschiedenen und starken Protest wollen wir Schülerinnen und Schüler unser politisches Bewusstsein und unserer Ablehnung der Politik zum Ausdruck bringen, die von dieser Regierung und insbesondere vom Innenministerium vertreten und praktiziert wird….

Mit der Besetzung unserer Schule verbinden wir folgenden Appell an den Staat, die Bürger und an uns selbst:

Wir sind der Überzeugung, dass Veränderung (die Regierung nennt sich „Regierung der Veränderung“, Anm. MH) darin besteht, der Arbeit wieder ihre Würde zu geben, menschliches Leben zu achten, eine effiziente Gesundheitsversorgung und Mobilität zu garantieren und in die Bildung zu investieren.

Während der Besetzung sollen den Schülern politische und thematische Kurse durch Universitätsstudenten und Dozenten angeboten werden. Wir laden auch die Lehrer des Tasso-Gymnasiums ein, sich der Aktion anzuschließen. Mit solchen Unterrichtsangeboten … würden sie unseren Protest wirksam unterstützen. Denn wir betrachten die Besetzung nicht als eine Zeit des Nichtstuns, sondern im Gegenteil als eine Möglichkeit, uns im offenen Austausch mit den Lehrkräften und den von ihnen vertretenen Standpunkten auseinanderzusetzen.“

Wie nachhaltig die Protestbewegungen der Frauen und der Schüler sind, wird sich zeigen. Es wird auch davon abhängen, ob es ihnen gelingt, mit ihren Botschaften andere Teile der Zivilgesellschaft zu erreichen. Wichtig ist jedenfalls, dass beide Bewegungen – sowohl die der Frauen als auch die der Schüler – politisch den „Blick über den eigenen Tellerrand“ richten und sich dem Abdriften Italiens in Fremdenfeindlichkeit, Illiberalität, soziale und kulturelle Verrohung und wirtschaftspolitisches Abenteurertum widersetzen.

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