Gemeinde Lodi wegen Diskriminierung verurteilt
Es gibt noch Richter in Berlin – bzw. in Mailand.
Das Mailänder Zivilgericht hat die Gemeinde Lodi verurteilt, eine diskriminierende Bestimmung zurückzunehmen, die für Kinder aus italienischen und ausländischen Familien den Zugang zu Sozialleistungen unterschiedlich regelte. Zur Vorgeschichte: Die Gemeinde hatte im September auf Betreiben der Bürgermeisterin Sara Casanova (Lega) eine Regelung eingeführt, nach der für bedürftige Kinder von Migrantenfamilien die Gebührenermäßigung zur Nutzung von Schulmensa und Schulbus davon abhängig gemacht wurde, dass ihre Eltern – zusätzlich zu den üblichen Einkommensnachweisen – mit Belegen aus den Herkunftsländern beweisen konnten, dass sie dort keine Immobilien oder sonstigen Güter besitzen (wir berichteten darüber). Faktisch ein Ausschluss der Kinder von den Angeboten, da die Familien die normalen Gebühren nicht bezahlen können und die Vorlage solcher Nachweise aus Kriegsgebieten oder entfernten Weltregionen in Afrika oder Asien kaum praktikabel ist.
Bürgerinitiativen setzen Gleichbehandlung durch
Eine Diskriminierung, die von den Bürgern Lodis nicht hingenommen wurde. Sie gründeten Initiativen, um dagegen gemeinsam mit anderen zivilgesellschaftlichen Organisationen öffentlich zu protestieren.
Unter Berufung auf Art. 2 und 3 der Verfassung (Art. 2: „Die Republik anerkennt und garantiert die unverletzlichen Menschenrechte …und fordert, die unbedingte Pflicht zur politischen, wirtschaftlichen und sozialen Solidarität zu erfüllen“, Art. 3:„Alle Bürger haben die gleiche soziale Würde und sind vor dem Gesetz gleich, ungeachtet ihres Geschlechts, ihrer Rasse, Sprache, Religion, politischen Meinungen und persönlichen und sozialen Lage“) und die Bestimmungen der Europäischen Union wies das Gericht die Gemeinde an, die „Regelung der Inanspruchnahme ermäßigter Sozialleistungen“ so zu ändern, dass eine Gleichbehandlung aller bedürftigen Kinder gewährleistet sei. Es sei einer Gemeinde „rechtlich nicht gestattet, unterschiedliche Voraussetzungen für den Zugang zu ermäßigten sozialen Dienstleistungen für italienische Bürger und Bürger aus Nicht-EU-Ländern einzuführen und letzteren kompliziertere Verfahren aufzubürden“. Es handele sich bei dieser Regelung daher „um eine direkte Diskriminierung“. Die Gemeinde wurde zusätzlich dazu verurteilt, neben den eigenen Anwaltskosten auch 5.000 Euro an die Rechtsanwälte der Kläger zu zahlen (diese hatten ihrerseits auf ein Honorar seitens der Verbände verzichtet).
Lodi ist kein Einzelfall
Gleich nach Bekanntgabe des Urteils versammelten sich viele Bürger vor dem Rathaus, wo gerade eine Sitzung des Gemeinderats stattfand, um gemeinsam mit den Migrantenfamilien den Richterspruch zu feiern. Mit Wein, Sekt und – da es kurz vor Weihnachten war – Panettone, dem traditionellen italienischen Weihnachtskuchen. Das Gericht habe die Gleichbehandlung wiederhergestellt, welche die Verfassung und die europäischen Bestimmungen verlangen, erklärten die Rechtsanwälte. Vertreter der Oppositionsparteien unterstrichen die Bedeutung des Urteils auch mit Blick auf andere Fälle von Diskriminierung.
An solchen Fällen mangelt es derzeit in Italien bekanntlich nicht. Gerade sind einige Bürgermeister und Regionspräsidenten dabei, Klagen gegen Teile von Salvinis sogenanntem Sicherheitsdekret auf den Weg zu bringen, die ebenfalls Flüchtlingen Rechte entziehen, die ihnen durch Verfassung und internationale Abkommen garantiert sind. Es geht dabei vor allem um die Anweisung an die Kommunen, Flüchtlinge, deren Aufenthaltsgestattung aus humanitären Gründen aufgrund des Dekrets demnächst entfällt, nicht nur aus den Gemeinschaftsunterkünften zu werfen, sondern auch aus den kommunalen Melderegistern zu streichen. Mit der Folge, dass sie eine Reihe von Sozialleistungen, z.B. im Gesundheitsbereich, verlieren (s. „Revolte der Bürgermeister“).
Die Entscheidung von Bürgermeisterin Casanova in Lodi lag genau auf dem Kurs ihres Chefs, weswegen sie von Salvini in höchsten Tönen gelobt worden war. Zudem hatte der Regionspräsident der Lombardei, Fontana (ebenfalls Lega) – seine Kompetenzen überschreitend – die lombardischen Kommunen aufgefordert, dem Beispiel Lodi zu folgen. Das Mailänder Gericht hat sie nun mit seinem Urteil erst einmal gestoppt.
Es handelt sich zunächst nur um eine erstinstanzliche Entscheidung, und die Gemeinde Lodi hat bereits angekündigt, dagegen in Berufung zu gehen. Die Rechtsanwälte der Verbände, die geklagt hatten, zeigen sich zuversichtlich, dass angesichts des klar begründeten ersten Urteils die Berufung scheitern wird. Das ist zu hoffen und das wird man sehen. Der gerichtliche Sieg im Fall Lodi setzt jedenfalls ein wichtiges Zeichen.
Auch „Salvinis Dekret“ auf dem Prüfstand
Politisch von noch größerem Gewicht wird sein, zu welchem Ergebnis die rechtlichen Schritte der rebellischen Bürgermeister und Regionspräsidenten führen, die Salvinis Sicherheitsdekret vom Verfassungsgericht überprüfen lassen wollen. Sollte das oberste Gerichtsorgan Italiens – wenn es zu einer Überprüfung kommt – zu dem Urteil kommen, dass Teile des Dekrets, die Flüchtlinge und Migranten betreffen, nicht verfassungskonform sind, wäre es für die Regierung eine herbe Niederlage. Zumal es den Bereich betreffen würde, den der Lega-Chef und Vizepremier ins Zentrum seiner rechtsradikalen Politik stellt: Schüren von Fremdenhass und Ausgrenzung von Minderheiten.
Natürlich sind sich die 15 Verfassungsrichter dieser politischen Relevanz bewusst. Die Frage wird sein, wie unabhängig und souverän sie im Falle einer solchen Prüfung urteilen. Die verfassungsrechtlichen Fragen, um die es geht, sind komplex, was sich schon an den Unterschieden zeigt, die bisher bei der Einschätzung des Dekrets durch Verfassungsrechtler deutlich wurden (wobei die Zweifel an der Verfassungskonformität zu überwiegen scheinen).
Das „Argument“ von Salvini, die Rechtsmäßigkeit seines Gesetzesdekrets zeige sich schon allein daran, dass Staatspräsident Matterella es unterzeichnete, ist haltlos. Der Staatspräsident darf seine Unterschrift nur dann verweigern, wenn Gesetze ganz offenbar gegen die Verfassung verstoßen. Ansonsten liegt, wenn Zweifeln an der Verfassungskonformität erhoben werden, die Entscheidungskompetenz beim Verfassungsgericht. Und es gab schon mehrere Fälle, in denen es bereits erlassene Gesetze bzw. Teile davon nachträglich für verfassungswidrig erklärte und das Parlament zur „Nachbesserung“ verpflichtete. So zum Beispiel beim Wahlgesetz (das sogenannte „Porcellum“), das in der Regierungszeit von Berlusconi und Lega beschlossen wurde. Hier erklärten die Richter einige Bestimmungen (u.a. diejenige über die Mehrheitsprämie) für verfassungswidrig (was die nachfolgende Renzi-Regierung bei der Erarbeitung eines neuen Wahlgesetzes zu berücksichtigen hatte).
Es gibt noch Richter in Berlin und Mailand. Vielleicht auch in Rom?