Di Maios mirakulöse „Linkswende“
„Ich bin über die Neigung der Lega zur Ultrarechten sehr besorgt. Man kann sich doch nicht mit Leuten verbünden, die den Holocaust leugnen!“, so kürzlich Di Maio (5-Sterne), ausnahmsweise nicht grinsend, sondern stirnrunzelnd und mit ernstem Blick auf Salvinis Bündnis zur Europawahl mit der AfD und weiteren rechtsradikale Parteien. Wobei er „vergisst“, dass er selbst sich in Europa-Wahlkampf mit der polnischen Gruppe um Pawel Kukiz zusammengetan hat, die für ihren Nationalismus, ihren Antisemitismus und ihre Homophobie bekannt ist.
Man stelle sich das vor: Der Mann ist seit einem Jahr in einer Regierungskoalition mit der Lega, er und Salvini teilen sich die Funktion des Vizepremiers. Die 5SB hat die Entscheidungen und Handlungen ihres Koalitionspartners nicht nur mitgetragen, sondern ausdrücklich befürwortet. Die Hetze gegen Migranten und NGOs, die Schließung der Häfen für gerettete Flüchtlinge, die „Rückführung“ in die libyschen Folterlager und das sogenannte „Sicherheitsgesetz“, das Zuwanderern Rechte entzieht, die ihnen laut Verfassung zustehen. Sie stimmte im Senat gegen die Aufhebung der Immunität von Salvini, womit sie dafür sorgte, dass er sich nicht vor Gericht für die rechtswidrige Festsetzung der Flüchtlinge auf dem Schiff „Diciotti“ verantworten muss, wie es die Staatsanwaltschaft beantragt hatte. Das sind nur einige Beispiele, man könnte die Liste fortsetzen.
Regierungskoalition seit Wochen zerstritten
Und erst jetzt will Di Maio erkannt haben, dass sein Regierungspartner rechtsradikal und fremdenfeindlich ist, mit besten Kontakten – in Italien wie in Europa – zu Neofaschisten, identitären und antidemokratischen Kräften? So doof kann nicht einmal Di Maio sein.
Der plötzliche Sinneswandel, der seit einigen Wochen die 5SB erfasst zu haben scheint, betrifft nicht nur Salvinis Wahlbündnis in Europa, sondern praktisch alles, was die Lega und vor allem ihr Chef sagen und tun. Auf einmal erklärt zum Beispiel Di Maio, die Schließung der Häfen für Flüchtlinge sei nur „eine kontingente Maßnahme“ gewesen, so könne man dem komplexen Phänomen von Flucht und Migration nicht begegnen. Dass Salvinis Freunde in Ungarn und Polen eine europäische Lösung verhindern, indem sie sich weigern, auch nur einen einzigen Flüchtling aufzunehmen, sei nicht hinnehmbar. Auch den von der Lega gesponsorten Familienkongress radikaler Christen in Verona (wir berichteten) hatten Di Maio und andere prominente Grillini als „mittelalterlichen Obskurantismus“ kritisiert.
Kämpferisch geben sich die 5-Sterne auch im Korruptionsfall um Armando Siri, den Lega-Staatssekretär im Ministerium für Verkehr und Infrastrukturen. Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen ihn, weil er mit dem Unternehmer Nicastro, einem Boss des Windmühlen-Geschäfts auf den äolischen Inseln mit Mafia-Verbindung, Bestechungsgelder vereinbart haben soll, um im Gegenzug gesetzliche Bestimmungen zur staatlichen Förderung der Windenergie auf den Weg zu bringen. Salvini stärkt seinem Mann den Rücken („nur Ermittlungen, keine Verurteilung“), die Grillini fordern vehement Siris Rücktritt.
Der letzte Eklat: Als Salvini erklärte, er werde als Innenminister am 25. April, dem Tag der Befreiung von dem Nazifaschismus und Nationalfeiertag, an den Feierlichkeiten nicht teilnehmen („Ist doch nur ein Derby zwischen Faschisten und Kommunisten“), outete sich Di Maio als Antifaschist: „Ich bin auf der Seite der Partisanen und werde dabei sein!“.
Mal rechts, mal links
„Wir sind weder rechts noch links“ hatte die 5SB immer wieder betont. Mit dem – von Erfolg gekrönten – Ziel, Stimmen aus beiden Lagern zu bekommen. Eine Taktik, die sich besser mit „Wir sind mal rechts und mal links, je nach dem, was uns gerade opportun erscheint“ beschreiben lässt. Nach ihrem Wahlsieg vor einem Jahr entschieden sie sich bei der Regierungsbildung für rechts, nicht nur weil es den politischen Neigungen der Mehrheit ihrer Wähler entsprach, sondern wohl auch in der törichten Überzeugung, in Salvini einen leicht handhabbaren Juniorpartner zu finden. Das Gegenteil ist passiert. Es war Salvini, der die Musik bestimmte, die 5SB hat mitgetanzt und ihm geholfen, seinen aggressiven Kurs „Prima gli italiani!“ immer stärker in der Bevölkerung zu verankern. Die Zustimmungswerte der Lega sind kräftig gestiegen (von 17% auf zurzeit ca. 32%), während sie selbst in den Umfragen zur Europa-Wahl sinkt und inzwischen mit ca. 21% fast auf PD-Niveau abgerutscht ist.
Di Maio und seinem Spin-Doktor Casaleggio (Grillo hat sich politisch weitgehend zurückgezogen) dämmert inzwischen, dass ihnen das Geschäft mit der Lega teuer zu stehen kommen kann. Nach hektischen Krisentreffen scheint sich in der Spitze der 5SB nun die Linie durchgesetzt zu haben, zur Lega deutlicher auf Distanz zu gehen und das eigene Profil ein bisschen in Richtung „links“ aufzupolieren – in der Hoffnung, wenigstens aus diesem Lager ein paar Stimmen (wieder) fischen zu können.
Schizophrene Taktik birgt Risiken
Die angebliche „Linkswende“ der 5SB hat mit einer realen politischen Positionsänderung nichts zu tun, sie ist taktisch motiviert. Der derzeitige schizophrene Kurs – Dauerkritik an der Lega bei gleichzeitigem Festhalten am gemeinsamen Regierungsbündnis (Di Maio: „Wir werden bis zum Ende der Legislaturperiode zusammen regieren“) – birgt allerdings Risiken. Er kann dazu führen, dass die rechtsorientierten Wähler der 5SB sich in noch größerem Ausmaß der Lega zuwenden, während die Zahl der „Neugewinne“ aus dem linken Lager bei Fortdauer des Regierungsbündnisses mit Salvini bescheiden bleibt. Zumal die Wahl Zingarettis zum neuen Generalsekretär der PD bei einigen linksorientierten Wählern die Hoffnung auf eine bessere Alternative weckt.
Apropos Zingaretti: Manche Kommentatoren interpretieren die neuen Töne der 5-Sterne als ein verstecktes Angebot, nach den Europawahl und einem möglichen Bruch der Koalition mit der Lega ein neues Bündnis von 5SB und PD anzupeilen. Bisher reagiert Zingaretti auf solche Spekulationen abweisend. Aber es gibt sowohl in der PD als auch in den Gruppen links von ihr einige, die immer noch glauben, mit dem „richtigen“ Koalitionspartner könnten die Grillini zu einer progressiven Partei mutieren. Angesichts der bisherigen Erfahrungen halte ich das für eine Illusion. Die 5-Sterne und seine führenden Repräsentanten haben zur Genüge gezeigt, dass sie eine populistische, opportunistische, unberechenbare, intransparente und obendrein regierungsunfähige politische Kraft sind. Italiens proeuropäische Linke wäre nach meiner Meinung gut beraten, dies gerade gegenüber enttäuschten oder verunsicherten Linkswählern deutlich zu machen. Vor allem sollte sie nicht nur auf die Missetaten der Regierung schimpfen, sondern sich darauf konzentrieren, eigene überzeugende Vorschläge zu den zentralen Themen – soziale Gerechtigkeit, verantwortliche und nachhaltige Wirtschaftspolitik, Migration und Flucht, Änderung der EU – vorzulegen. Und sich so auch, jenseits inhaltsleerer Koalitionsspielchen, eine überzeugende Grundlage für das Nachdenken über mögliche Bündnisse zu schaffen.