Der Haushalt für 2020 muss Stückwerk bleiben

Der italienische Haushalt für das Jahr 2020 dürfte schon in normalen Zeiten kein großer Wurf werden. Wegen des Nullwachstums gibt es wenig zu verteilen, die Staatsverschuldung ist riesengroß, die Weltkonjunktur befindet sich im Abschwung, und Brüssel drängt, wenn auch milder als früher, auf Sparsamkeit. Trotzdem ist der Haushalt zum Fokus gegensätzlicher politischer Hoffnungen geworden. Im Frühjahr, als sich noch 5SB und Lega die Macht teilten, prophezeiten die Auguren, er werde zum Offenbarungseid des Rechtsbündnisses. Denn nun würde entlarvt werden, dass sie sich mit unfinanzierbaren Wahlversprechen an die Macht gemogelt hatten (die 5SB mit dem „Bürgergeld“ im Süden, die Lega mit der flat tax im Norden). Als Salvini im Sommer seine Regierungskrise vom Zaun brach, schien er sich auf den ersten Blick vor diesem Offenbarungseid drücken zu wollen. Bis den Kommentatoren zu dämmern begann, dass dahinter etwas viel Gefährlicheres stecken könnte: das Erzwingen von Neuwahlen mit einem vorgeschalteten Wahlkampf, in dem ein Haushaltsplan für 2020, der mit Absicht alle Grenzen durchbrechen sollte, zum Rammbock gegen die EU würde.

Hoffnung der PD: ein Haushalt der Wende

Seitdem klar ist, dass sich Salvini verrechnet hat und zum (unfreiwilligen) Geburtshelfer eines neuen Bündnisses zwischen 5SB und PD geworden ist, erscheint der Haushalt in einem anderen Licht. Denn die PD, die sich eigentlich auf eine lange Oppositionsphase eingestellt hatte, ist plötzlich wieder Regierungspartei geworden. Vor allem sie will mit dem Haushalt zeigen, dass sie dem Land auch ohne Neuwahlen wieder „Hoffnung“ geben kann. Wohinter auch Getriebenheit steckt, weil die Umfragen zeigen, dass die Mehrheit des Wahlvolks immer noch hinter Salvinis Forderung nach Neuwahlen steht.

Wie müsste ein Haushalt der „Wende“ aussehen? Der Haushalt der Vorgängerregierung verteilte und versprach Gefälligkeiten („Bürgergeld“ und flat tax), die am Nullwachstum nichts änderten. Hier müsste der neue Haushalt ansetzen. Aber unter den gegebenen Umständen gleicht dies der Quadratur des Kreises.

Denn zunächst muss er in betonter Unterscheidung zu Salvini „pro-europäisch“ sein, also Haushaltsdisziplin zeigen. Brüssel hat zwar schon der neuen Conte-Regierung zu verstehen gegeben, dass ein Defizit von 2,2 % gegenüber den eigentlich vereinbarten 1,5 % noch tolerierbar sei – als Belohnung dafür, dass Salvini vorerst von der europäischen Bildfläche verschwand –, aber wird auf Einhaltung dieser Grenze pochen. Ein zusätzlicher Bonus kam von den Finanzmärkten, die den Regierungswechsel (von „Conte 1“ zu „Conte 2“) damit honorierten, dass der Spread auf ein bisher unbekanntes Minimum sank, was den für 2020 zu erwartenden Schuldendienst um 4 Milliarden verringerte.

Damoklesschwert Mehrwertsteuererhöhung

Das sind die guten Nachrichten. Nun die schlechte. Wer hofft, diese Gutschriften für einen erweiterten politischen Gestaltungsspielraum nutzen zu können, stößt auf eine weitere Grenze: die drohende „automatische“ Erhöhung der Mehrwertsteuer. Sie ist ein Erbe aus der Berlusconi-Zeit, als dem Staat wegen allzu großer Ausgaben Zahlungsunfähigkeit drohte, und Berlusconi 2011 von Europa zur Beruhigung der Finanzmärkte bei explodierendem Spread auferlegt wurde, in seine Haushaltspläne einen Mechanismus zur Mehrwertsteuererhöhung einzuführen. Er wird automatisch ausgelöst, wenn das Defizit die zuvor mit Brüssel vereinbarte Grenze überschreitet. Dieser Mechanismus, der 2019 nur aufgeschoben wurde, droht jetzt für 2020 ausgelöst zu werden, in Form einer Erhöhung der bisher geltenden 10 bzw. 22 % auf 13 bzw. 25 %. Mit befürchteten desaströsen politischen Konsequenzen für jede Regierung, unter deren Ägide es geschieht. „Das wäre das schönste Geschenk, das wir Salvini machen könnten“, so Renzi. Ein Verdikt, unter das auch jede Teilerhöhung zu fallen scheint, die man zum Beispiel bei Luxusgütern in Erwägung ziehen könnte – die Furcht vor Salvinis Anti-Steuer-Demagogie ist größer als der Wille zur Abwägung. Der Pferdefuß dieser Angst: Es nimmt dem neuen Staatshaushalt den Spielraum, den er durch die erweiterte Defizitgrenze eigentlich bekommen könnte.

Viel zu verteilen bleibt nicht

Tito Boeri

Tito Boeri

Auch dem klassischen Ziel linker Einkommenspolitik, den auch in Italien wachsenden Einkommensunterschieden durch eine Umverteilung von oben nach unten gegenzusteuern, bleiben da nur noch Krümel. Um den Rest nicht in vielen kleinen Rinnsalen versickern zu lassen, scheint sich die Absicht durchzusetzen, wenigstens die unteren Einkommensgruppen steuerlich zu entlasten. Die Absicht ist lobenswert, aber die Liste dessen, was dabei zu kurz kommen muss, ist lang. Und die Wut derer, die sich in den letzten Wochen Hoffnungen auf eine für sie spürbare „Linkswende“ machten, umso größer. Mit einer gehörigen Portion Bitterkeit kommentiert Tito Boeri, der frühere Chef des Sozialversicherungsinstituts INPS, dass es dieser Regierung offenbar wichtiger sei, nicht die Steuern auf „Trüffel und 6-Sterne-Hotels“ zu erhöhen.

Noch grundsätzlicher ist die Kritik des Wirtschaftswissenschaftlers Alessandro Penati, der die Aufgabe von Wirtschaftspolitik nicht nur darin sieht, Einkommen umzuverteilen, sondern auch zu helfen, dass es überhaupt geschaffen wird. Dazu brauche man „Unternehmen, die wachsen, investieren und Gewinne machen, sowie neue unternehmerische Initiativen“, was der Staat durch Investitionen unterstützen könne, z. B. in die öffentliche Infrastruktur. Das Trauerspiel, wieviel öffentliche Infrastruktur in Italien verfällt, ist in der Tat bedrückend.

So steht die Hoffnung, der Haushaltsplan für 2020 könne zu einem Signal der „Wende“ werden, unter keinem guten Stern. Die verfügbaren Mittel sind zu gering und die Furcht vor der Demagogie Salvinis zu lähmend für einen „großen Wurf“. Nur gegen Salvini zu sein, reicht nicht als Grundlage für eine Regierung, die ein gemeinsames Projekt verfolgen will.

Der Schatten Salvinis

Vor einigen Tagen erschien Salvini im TV-Sender „La 7“ zu einer Diskussion, die von Giovanni Floris moderiert wurde. Die geladenen Journalisten, die ihn befragten, waren überwiegend Salvini-Gegner, und es war faszinierend zu sehen, wie erfolgreich er sich zur Wehr setzte. Seine Taktik war schlicht, aber wirksam: unbequemen Fragen ausweichen oder gar nicht beantworten und stattdessen immer wieder mit „seinen“ Themen in die Offensive gehen. Putin hat mir und der Lega Geld geboten? „Alles Quatsch. Was die Italiener wollen, ist die Senkung der Steuern“. Warum ich nicht der Aufforderung folgte, mich in der Russland- Angelegenheit vor dem Parlament zu verantworten? „Weil da nichts zu verantworten ist, nichts, nichts. Und die Italiener Wichtigeres zu tun haben, als sich Geschichten über Russland anzuhören. Was sie interessiert: Wieviel Steuern sie zahlen müssen und was für ein Essen sie auf den Tisch bekommen“. Über die Hälfte des Auditoriums klatschte begeistert, wenn er wieder in diese Kurve einbog.

Hinterher schrieben die Journalisten: Er hat keine der gestellten Fragen beantwortet. Sie haben Recht, aber beim Publikum ging er mit 70 zu 30 Punkten als Sieger aus der Befragung hervor. Auch „allein gegen alle“ ist er ein Meister seines Fachs. Der einzige Politiker, der ihm auf diesem Gebiet die Stirn bieten könnte, ist Renzi. Dem aber sein Ego wichtiger ist als die Geschlossenheit der Linken.