Koalition der Unwilligen
Die neue Regierung, bestehend aus einer Koalition von 5-Sternebewegung, Partito Democratico (PD) und Liberi e Uguali (LEU), ist nicht einmal zwei Monate im Amt, und schon wird darüber spekuliert, ob bzw. wie lange sie noch hält. Die Spannungen innerhalb der Koalition mehren sich und man gewinnt den Eindruck, dass für einige der beteiligten Parteien eigene Partikularinteressen bzw. die der jeweiligen politischen Klientel wichtiger sind als die Realisierung gemeinsamer Vorhaben.
Insbesondere die 5SB und Renzis neue Gruppe Italia Viva überbieten sich in Querschüssen gegen den eigenen Koalitionspartner PD und zunehmend auch gegen Regierungschef Conte.
Viele der Grillini sind rechtspopulistisch eingestellt und stehen Salvinis Lega näher als den Sozialdemokraten. Nicht sie haben die rechte Koalition platzen lassen, sondern Salvini. Sie beschimpfen ihn daher als „Verräter“, trauern aber dem Bündnis mit ihm nach. Und blicken misstrauisch auf den Ministerpräsidenten, der eigentlich aus ihren Reihen kommt, aber in der neuen Regierungskonstellation eine stärkere Rolle beansprucht und sich immer öfter an PD-Positionen orientiert. Besonders der politisch geschwächte und intern umstrittene „capo politico“ der 5SB Di Maio versucht, sich mit Themen zu profilieren, die bei Wählern „gut ankommen“: gegen Seenotrettung von Flüchtlingen, gegen jedwede Steuererhöhung, für den Beibehalt eines vorgezogenen Rentenspruchs auf Kosten der nachkommenden Generationen.
Auch Renzi ist darauf angewiesen, sein Profil zu schärfen und medial präsent zu sein, denn derzeit liegt seine Italia Viva in Umfragen bei nur 4-5%. Er, der sich als „italienischer Macron“ an der Spitze einer neuen Zentrumspartei wähnt, setzt darauf, seine schmale Konsensbasis mit Gewinnen aus allen politischen Richtungen (Rechtsextreme ausgenommen) zu erweitern: von Berlusconis Forza Italia bis zur PD und den 5Sternen. Bisher allerdings mit mäßigem Erfolg.
„Anti-Steuer-Fraktion“ innerhalb der Regierung
Der zerstrittene Zustand der Regierungskoalition zeigte sich deutlich am Haushaltsgesetz 2020 und dem damit verbundenen Steuerdekret (wir berichteten). Das Kabinett hatte Mitte Oktober Entwürfe beschlossen, die dem Parlament noch vorgelegt und zur Abstimmung gestellt werden sollen.
Doch gleich nach dem Kabinettsbeschluss fingen Vertreter (und Minister) von 5SB und Italia Viva an, gegen mehrere Punkte des Pakets, dem sie selbst zuvor zugestimmt hatten, Sturm zu laufen. Der Kampfruf lautet dabei „Steuern senken, nicht erhöhen!“. Sogar eine geplante Teilerhöhung der Mehrwertsteuer für Luxusgüter lehnen Di Maio und Renzi kategorisch ab. Obwohl auch sie wissen, dass die Regierung bei der Gestaltung des Haushalts kaum Spielräume hat und ein Minimum an Ressourcen braucht, um zumindest einiger ihrer Vorhaben zu realisieren (Entlastung von Familien mit niedrigem Einkommen, Investitionen im Gesundheits- und Umweltbereich, Verbesserung der Infrastrukturen). Aber egal. Auch wenn es um Champagner, Edelkarossen und Juwelen geht: Die Steuern müssen runter.
Eine Haltung, die schon immer zum Kernrepertoire der Rechten gehörte und die in Italien verbreitete Ansicht bedient, dass Steuern – gleich welcher Art und bei wem – ein räuberischer Akt des Staates gegen seine Bürger sind. Die aber gleichzeitig vom Staat vehement Leistungen fordern: Gesundheitsversorgung, Schulen, Sicherheit, effiziente Infrastrukturen. Woher der Staat dafür das Geld nehmen soll? „Jedenfalls nicht von mir“. Jedes Jahr werden dem italienischen Staat durch massenhafte Steuerhinterziehung 108 Milliarden entzogen, die dafür dringend gebraucht werden.
Das Kabinett hat daher eine Reihe von Maßnahmen beschlossen, um diese italienische Plage effektiver zu bekämpfen. Dazu gehört die Verpflichtung für Selbständige, Händler und Handwerker, Zahlungstransaktionen auf elektronischem Wege zu ermöglichen. Dadurch sollen Bargeldzahlungen ohne Quittung verhindert bzw. reduziert werden, die in Italien fast zur Regel gehören. Eine solche Pflicht besteht bereits seit 2012, allerdings nur auf dem Papier, da es keine Sanktionen gibt, wenn man ihr nicht nachkommt. Dies soll nun geändert werden.
Von großen und kleinen Fischen
Doch Di Maio – eigentlich der Vertreter einer Bewegung, die sich den Kampf gegen Korruption und Betrügerei auf die Fahnen geschrieben hat(te) – stellt sich dagegen: So würden „alle Händler, Selbständige und Handwerker kriminalisiert werden“. Bei Steuerhinterziehung solle man sich auf die „großen Fische“ konzentrieren, und nicht auf die kleinen, die oft „aus purer Not“ ihrer Steuerpflicht nicht nachkommen. Die seien „nicht das Problem“.
Die Zahlen sprechen eine andere Sprache: aus der Gesamtheit der Selbständigen, Handwerker und Händler müssten jährlich 46,1 Milliarden an Einkommenssteuern in die Staatskasse fließen, tatsächlich sind es nur 14. Über 32 Milliarden (69,6%) werden dem Fiskus vorenthalten. Dazu kommen 27 Milliarden (27,4%) nicht entrichteter Mehrwertsteuern. Bei den hinterzogenen Unternehmenssteuern hingegen liegt der Anteil bei „nur“ 8,2 Milliarden (23,8%).
Allein diese statistische Daten zeigen, dass Steuerhinterziehung in Italien ein Massenphänomen ist, deren Bekämpfung nicht auf Großunternehmen reduziert werden darf, die in der italienischen Wirtschaft ohnehin einen geringen Anteil ausmachen: Von 1 Million Betrieben haben nur 3.900 (0,39%) mehr als 250 Beschäftigte. Das Problem einer zu hohen steuerlichen Belastung der „Kleinen“ ist zwar real, aber nur mit einer strukturellen Änderung des Steuersystems zu lösen. Verharmlosung von Steuerbetrug oder Abstriche bei dessen Bekämpfung lösen das Problem nicht, sie verschlimmern es. Denn sie gehen zu Lasten des ganzen Landes, das immer tiefer in eine horrende Staatsverschuldung versinkt, und besonders der ehrlichen Steuerzahler. Das heißt vor allem der Lohnabhängigen, bei denen der Großteil der Steuern „automatisch“ abgezogen wird.
Doch an einer solchen Problemlösung sind Di Maio und Renzi nicht interessiert, wenn sie sich als Paladine gegen die steuerliche Ausblutung des Volkes aufspielen. Nicht anders als Berlusconi und Salvini jagen sie – wie alle Populisten – nach den Wählerstimmen der Millionen, die ihre Steuern hinterziehen.
„So kommen wir nicht weit“
Mit ihrem Protest haben Di Maio und Renzi erreicht, dass die höhere Besteuerung von Luxusgütern wieder aus dem Gesetzesentwurf herausgenommen wurde und die Sanktionen bei Verweigerung elektronischer Zahlungen nicht ab Januar, sondern erst ab Juli 2020 in Kraft treten. Vorher soll die Regierung dafür sorgen, dass die Kosten für die Anschaffung der Zahlungsgeräte und die Gebühren für Transaktionen reduziert werden. Tatsächlich liegt die Entscheidung darüber nicht bei der Regierung, sondern bei Herstellern und Bankinstituten – ob diese dazu bereit sind , ist noch fraglich. Aber Di Maio, dem es um das „politische Signal“ geht, interessieren solche Details wenig.
Wer sich über das nachträgliche Zerpflücken der Haushaltsbeschlüsse durch 5SB und Italia Viva nicht freut, sind die PD und Ministerpräsident Conte. Es könne nicht angehen, dass man nachträglich Maßnahmen in Frage stelle, denen man zuvor im Kabinett zugestimmt habe. Man müsse loyal zusammenarbeiten und gemeinsam an einem Strang ziehen, ansonsten sei der Halt der Koalition gefährdet. „Es muss Schluss sein mit den ständigen Querschüssen, so kommen wir nicht weit“, erklärte der PD-Generalsekretär Zingaretti entnervt in einem Interview. Ähnlich äußerte sich Regierungschef Conte, der seit Bildung der neuen Regierung zunehmend auf Distanz zu der 5SB geht. Nicht zuletzt, weil er wohl den Verdacht hat, Di Maio und Renzi könnten auf seine Ablösung hinarbeiten.
An schnellen Neuwahlen dürfte allerdings, trotz dieser Turbulenzen, keiner der Koalitionspartner interessiert sein: Renzi braucht Zeit, um seine Gruppe auf breitere Basis zu stellen, die 5SB steckt in schweren parteiinternen Konflikten. Und auch die PD hat nach Renzis Abspaltung und wegen des zerstrittenen und blassen Bilds, das die Regierung abgibt, an Konsens eingebüßt. Käme es bald zu Neuwahlen, wissen alle, wie der Sieger heißen würde: Salvini, als Anführer nicht nur der Lega, sondern der gesamten italienischen Rechten.
Einen gewaltigen Warnschuss in diese Richtung gab es gestern bei den Regionalwahlen im einstig „roten“ Umbrien: die Lega wurde erste Partei mit 37%, ihr folgen die postfaschistische FdI (10,4) und Berlusconis FI (5,5%). Das Experiment des Bündnisses zwischen 5Sternen und PD ist in dieser Region erst einmal gescheitert: die 5Sterne stürzten auf 7,4%, die PD blieb bei 22,3%.