Die „Foibe“-Massaker
Es ist ein politisches Muster: Wenn der Nationalismus zwei Nachbarländer gegeneinander in den Krieg treibt, findet der am Ende Unterlegene auch in der Niederlage Gründe, die seinem Nationalismus neue Nahrung geben, auch wenn er anfangs der Angreifer war. Insbesondere die Rechte wird die Opferrolle hervorheben, in die das eigene Land bei dem Konflikt geriet, und gleichzeitig die eigene Schuld am Konflikt herunterspielen. Will die Linke den Teufelskreis der Revanche durchbrechen, muss sie dem durch historische Aufklärung entgegentreten, aber auch vermeiden, in das entgegengesetzte Extrem zu verfallen, nämlich den Mantel des Schweigens über die Verbrechen zu breiten, die das andere Land in dem Konflikt begangen hat. Denn damit würde sie der eigenen Rechten einen weiteren Grund zur Empörung („Jetzt wird uns auch noch verboten, darüber zu reden“) und einen weiteren Rechtfertigungsgrund für das Verschweigen der eigenen Verbrechen geben.
Tod und Vertreibung
Wie Deutschland hat auch Italien seine Grenzgeschichten. Nicht nur Richtung Norden (Südtirol). sondern seit den seligen Zeiten der Seerepublik Venedig auch Richtung Osten nach Slowenien, Istrien und Dalmatien. So dass zu den Völkern, Sprachen und Kulturen, die sich an der balkanischen Westküste vermischten, auch ein kräftiger italienischer Einschlag gesellte. Dem Bevölkerungsteil mit italienischen Wurzeln wurde dann aber der imperiale Expansionsversuch zum Schicksal, den der italienische Faschismus während des zweiten Weltkriegs Richtung Balkan unternahm, denn an seinem Ende stand eine brutale Entmischung. Zu ihrem Symbol wurden die „Foibe“, das heißt die Karsthöhlen in Slowenien und im nordwestlichen Kroatien, in die zwischen 1943 und 1945 Titos Partisanen, seine Geheimpolizei OZNA und auch Angehörige der autochthonen Bevölkerung diejenigen stießen, mit denen sie nun abrechnen wollten, zu denen auch viele Italiener gehörten – teilweise noch lebend, nachdem man sie mit Draht aneinander gefesselt hatte. Man sah in ihnen „Kollaborateure“ des faschistischen Regimes, wobei die Titoisten diesen Begriff gelegentlich so weit auslegten, dass sie zu ihnen auch Leute rechneten, die keine militanten Faschisten waren, aber in den lokalen italienisch-balkanischen comunities über eine gewisse Autorität verfügten. Die Zahl der auf diese Weise umgebrachten Italiener schwankt (niemand führte Buch), die Forschung scheint sich inzwischen auf ca. 5000 geeinigt zu haben (manche Quellen sprechen von 10.000, einige von „bis zu 20.000“). Die Exekutionen waren aber nur der eine Aspekt. Der andere war die Massenvertreibung der italienischstämmigen Bevölkerung aus Istrien und Dalmatien, was nach dem heutigen Forschungsstand 200.000 bis 250.000 Menschen betraf. Wie die Ostflüchtlinge in Deutschland wurden auch sie in Italien nicht überall mit offenen Armen aufgenommen, so dass viele von ihnen gleich weiter nach Südamerika, Australien, Kanada oder in die USA emigrierten.
Manipulationen der Erinnerung
Die Erinnerung an dieses Geschehen geriet in Italien sofort zwischen die Mühlsteine der unterschiedlichen historischen Erzählungen. Die italienische Rechte bemächtigte sich des „Foibe“-Themas, indem sie (bis heute) nur von ihren italienischen Opfern spricht und die ganze Vorgeschichte unterschlägt: die Aufteilung Sloweniens durch die Achsenmächte, wobei sich Mussolini die südwestliche Hälfte aneignete, die er zur italienischen Provinz erklärte, und die zwangsweise „Italianisierung“ Istriens und Dalmatiens (Umbenennung aller Orte, in den Geschäften durfte nur noch Italienisch gesprochen werden, Exekutionen bei Widerstand, die Karsthöhlen wurden schon damals „in Betrieb“ genommen).Aber auch die italienische Linke halbierte die Wahrheit, indem sie die „Foibe“-Massaker mehr als 60 Jahre lang tabuisierte. Den Anfang machte die KPI, die Italien eine neue Identität geben wollte, indem sie die zweijährige italienische „Resistenza“ zur bestimmenden Erfahrung überhöhte, damit aber auch zwei Jahrzehnte Faschismus verdrängte. Dies wurde auch gegenüber dem „Foibe“-Massaker zur Wahrnehmungssperre, weil sich die KPI aufgrund ihrer eigenen Mythen den titoistischen Partisanen allzu verbunden fühlte. So gehörte der KPI-Mann Emilio Sereni von 1945 bis 1947 dem Kabinett De Gasperi als Minister für die Fürsorge von Kriegsgeschädigten an. Angesichts der Nachrichten, die gerade bei ihm über die „Foibe“-Massaker eintrafen, soll er De Gasperi (DC) intern beschworen haben, nicht auf die „reaktionäre Foibe-Propaganda“ reinzufallen, um nicht die „italo-slowenische und italo-kroatische Solidarität (fratellanza)“ zu gefährden.
Die Intervention der Präsidenten
Diese Tabuisierung seitens der Linken überdauerte das nächste halbe Jahrhundert, obwohl das Bündnis der DC mit der KPI auf Geheiß der USA schon 1948 platzte. Damit wurde die Erinnerung an die „Foibe“ Massaker zur Domäne der Ultrarechten, bis sich ein halbes Jahrhundert später auch die historische Forschung und die Filmindustrie des Themas bemächtigte. Als Berlusconi 2004 die postfaschistische „Alleanza Nazionale“ in sein Bündnis aufnahm, beschloss das Parlament die Einrichtung eines Gedenktags für die „Foibe“-Opfer. Nun begann auch innerhalb der Linken die Diskussion, und es war der Altkommunist Giorgio Napolitano, der als Staatspräsident den Gedenktag im Frühjahr 2007 zum Anlass eines spektakulären Schrittes nahm, indem er 30 italienischen Opfern der jugoslawischen Partisanen postum Orden verlieh, Bei der Begründung nahm Napolitano kein Blatt vor den Mund: Die Hinrichtungen seien „eine der Barbareien des letzten Jahrhunderts“ gewesen und das Resultat eine „ethnische Säuberung … voller Hass und blutrünstiger Wut“. Was den sofortigen Protest des kroatischen Präsidenten Mesic auslöste, der darin „Anzeichen von offenem Rassismus, historischem Revisionismus und politischem Revisionismus“ sah, die zu einem neuerlichen Krieg führen könnten. Schließlich einigten sich beide Seiten darauf, einer gemeinsamen Historikerkommission die Aufgabe zu übertragen, Licht in die Vorkommnisse während des Zweiten Weltkrieges und die Zeit danach zu bringen – ein weiser Entschluss, wenn er denn je zu einem Ergebnis führen sollte.
10. Februar 2020: Erinnerung ohne Würde
Napolitano hoffte wohl, mit seinem Vorstoß etwas von dem politischen Gift aus der Welt zu schaffen, das sich inzwischen in Italien durch das Verschweigen der „Foibe-Massaker“ und der Vertreibung von einer Viertelmillion Italiener einerseits und das Verschweigen der Vorgeschichte andererseits angesammelt hat. Dass die Hoffnung bislang vergeblich war, zeigte sich am diesjährigen 10. Februar. Noch am Vortag hatte Staatspräsident Mattarella versucht, an Napolitanos Vorstoß vor 13 Jahren anzuknüpfen, indem er die Foibe samt Vertreibung ein „nationales Unglück“ nannte und noch bestehende „kleine Gruppen militanter Leugner“ kritisierte. Allerdings seien heute nicht sie die eigentliche Gefahr, sondern „die Gleichgültigkeit, das Desinteresse, das Sich-nicht-kümmern“, das oft von historischer Unkenntnis begleitet werde. Weshalb es jetzt darauf ankomme, „dem traurigen Kapitel Foibe und Vertreibung“, das vor allem durch das beharrliche Insistieren der Vertriebenen und ihrer Nachkommen ans Licht gebracht worden sei, „die Würde der Erinnerung“ und „den ihm gebührenden und gemeinsam akzeptierten Platz in der nationalen Geschichte“ zuzuweisen.
Der Verlauf der offiziellen Gedenkveranstaltung, die an diesem 10. Februar in Basovizza bei Triest stattfand, zeigte, dass dies im gegenwärtigen Italien immer noch eine Utopie ist. Sie wurde zu einem Tag des offenen Streits, in dem sich die Rechte der Mikrofone bemächtigte, um in Gegenwart der offiziellen PD-Delegation die „kommunistischen Negationisten“ anzugreifen, als ob sich auf diesem Gebiet in der Zwischenzeit nichts getan hätte, und natürlich ohne ein Wort über die den historischen Kontext des Geschehens fallen zu lassen. So dass bei der Feier zum Schluss die Rechte wieder unter sich war, weil die PD-Delegation die Versammlung unter Protest verlassen hatte.
Die italienische Rechte hat schon seit längerer Zeit eine Generaloffensive begonnen, die sich nicht nur gegen die „Invasion“ afrikanischer Migranten richtet. Sie versucht gleichzeitig eine Kulturrevolution von rechts in Gang zu setzen, mit der Madonna als Tribalgöttin und einer Erinnerungskultur, die den linken Tätermythos der „Resistenza“ durch den Opfermythos der „Foibe“ ersetzt. Leider kommen ihr dabei auch Fehler der kommunistischen Linken zu Hilfe, die noch nicht überwunden sind.