Die verkaufte „Repubblica“
Die neueste schlechte Nachricht aus Italien hat auf den ersten Blick weder etwas mit dem Virus noch mit dem Rechtspopulismus zu tun, sondern nur damit, dass es ein kapitalistisches Land ist: Denn die Tageszeitung „Repubblica“, die schon vor ein paar Monaten in den Besitz der Agnelli-Familie übergegangen ist, macht nun Ernst und wechselt mit der Redaktion der „Repubblica“ auch ihre Richtung aus.
Ein linksliberaler Stachel
Trotz aller sonstigen Gebrechen, an denen Italien leidet, gab es in dem Land bisher noch eine halbwegs funktionierende Pressefreiheit: Der „Corriere della Sera“, den das liberal-konservative Bürgertum, und die „Repubblica“, die das linksliberale Bürgertum liest, lieferten sich im Hinblick auf ihre Auflagenstärke seit Jahrzehnten ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Zwar war auch die „Repubblica“ seit ihrer Gründung mit dem italienischen Großkapital verbunden, das aber in diesem Fall Carlo De Benedetti hieß, der die „Repubblica“ 1976 mitgegründet hatte und unter den italienischen Unternehmern eine Ausnahmeerscheinung ist: ein Mann, der noch die klassischen Ideale des europäischen Liberalismus (auch auf sozialem Gebiet) hochhält und sich voller Leidenschaft als Verleger betätigt. In der Berlusconi-Ära wurde die „Repubblica“ zum zentralen Organ der politischen Opposition, wobei ihr De Benedetti freie Hand ließ, was ihm aber auch deshalb leicht fiel, weil er Berlusconi, der sich ja auch als Medienzar betätigte, aus politischen, moralischen, geschäftlichen und wohl auch persönlichen Gründen in herzlicher Feindschaft verbunden war. Die linksliberale Grundorientierung behielt die „Repubblica“ auch nach der Berlusconi-Ära bei, als viele qualifizierte Journalisten zu ihr stießen, was sie zum Hassobjekt der 5-Sterne-Bewegung und Rechtspopulisten machte. Auch für uns blieb die Zeitung trotz ihrer Neigung zur Redundanz und einiger anderer Schwächen eine wichtige Informationsquelle, ebenso wie ihre Hintergrundkommentare uns oft genug zur Überprüfung und oft genug auch Korrektur unserer Standpunkte zwangen.
Aber die Zeiten ändern sich, obwohl der italienische Kapitalismus auch im Fall De Benedetti ein Familienkapitalismus blieb. Der inzwischen 86-jährige Carlo De Benedetti gab schon vor Jahren seine Geschäfte an seine Söhne Marco und Rodolfo weiter, für die das Verlegen – wie der Vater heute feststellt – nicht „Passion“, sondern ein Geschäft wie jedes andere ist.
Dies zeigte sich, als die Zeitungskrise kam. Denn was weder Berlusconi schaffte (der einst die Geschäftswelt aufforderte, in der „Repubblica“ keine Anzeigen mehr zu schalten), noch Grillo (der verlangte, statt der „Repubblica“ nur noch seinen Blog zu lesen), schaffte die digitale Revolution: Die Auflage sank von ca. 600.000 Exemplaren, die sie in ihren besten Zeiten erreichte, auf ca. 230.000, die Bilanzen gerieten in die roten Zahlen. Die Söhne reagierten, wie es ihrer Logik entspricht: Den faulen Apfel in ihrem Portefeuille wollten sie loswerden. Irgendwann im vergangenen Jahr wurden Kontakte zur Agnelli/Fiat-Gruppe aufgenommen, deren geschäftlicher Kopf inzwischen der Agnelli-Enkel John Elkann ist. Die Agnellis hatten zwar schon früher eine Hauszeitung besessen, die Turiner „Stampa“, die sie aber schon vor Jahren an De Benedetti verkauften. Nun hat Elkann höhere Ziele, eine Zeitung mit nationaler Verbreitung wie die „Repubblica“ kommt ihm gerade recht – wenn ihre politische Richtung stimmt. Und über die kann ja nun er bestimmen.
De Benedettis letzter Kampf
Man kann dem alten Carlo De Benedetti nicht vorwerfen, dass er kampflos aufgab, was er als sein Lebenswerk betrachtet. Da er den Kampf mit offenem Visier führte, entwickelte er sich zu einem innerfamiliären Konflikt mit fast shakespeareschen Ausmaßen. Im Oktober 2019 erklärte er, dass er unter Einsatz seines persönlichen Vermögens wieder die Kontrolle über die „Repubblica“ bekommen wolle, indem er sich für die Aktiengesellschaft, die sie trägt (der außerdem auch die „Stampa“, die „Huffington Post“, die Wochenzeitung „Espresso“ und weitere Regionalblätter gehören) eine Sperrminorität von 29,9 % zusammenkauft. Sein Ziel sei es, verkündete er, die Digitalisierung der „Repubblica“ voranzutreiben, um dann seinen neu erworbenen Anteil einer Stiftung zu schenken, die von Repräsentanten der Journalisten und des kulturellen Lebens kontrolliert wird und (wichtig!) von seinen Söhnen unabhängig sei. „Um ein Stück italienischer Geschichte und ihr eine Zukunft in Unabhängigkeit zu sichern“. De Benedetti verband dies mit einem heftigen Angriff auf seine Söhne, denen er die „Kompetenz“ und „Leidenschaft“ absprach, Verleger zu sein, wozu „Sensibilität, Geschmack für Ästhetik, Kultur, die Fähigkeit zur Menschenführung“ nötig seien, was ihnen abgehe. Vor allem sein Sohn Rodolfo sehe in der „Repubblica“ nur ein Geschäft auf dem absteigenden Ast. Wohl zu Recht, aber das Verlegen sei nun einmal „kein beliebiges Geschäft“.
Seine Söhne ließen ihn abblitzen, zumal sich der Vater in einem Punkt verrechnete: Er glaubte nicht, dass sich in Italien ein anderer Käufer als er selbst finden würde. Denn plötzlich bot John Elkann an, das ganze Paket samt Stampa, Huffington Post und Espresso zu kaufen. Der Deal ging Anfang Dezember für 102,4 Mio. € über die Bühne. Carlo De Benedetti war mit seiner Stiftungsidee aus dem Spiel.
Nun wird aufgeräumt
Jetzt, gute vier Monate nach der Übernahme, führt Elkann den nächsten Schlag. Als erstes wurde am 23. April ohne weitere Vorankündigung der bisherige Chefredakteur der „Repubblica“ abgesetzt, Carlo Verdelli, der nur 14 Monate im Amt war. Sein Nachfolger wird Maurizio Molinari, der zum Verlagsdirektor der gesamten Gruppe wird, um „die journalistische Stärke der Zeitung und ihren intellektuellen Anspruch zu verbessern“. Verdelli kann man vielleicht vorwerfen, dass er nicht genug für die Digitalisierung tat. Aber wird Molinari auch den „intellektuellen Anspruch verbessern“? Er war zuletzt Chefredakteur der „Stampa“ und hat das politische Profil eines kapital- und israelfreundlichen „Atlantikers“. Innenpolitisch gilt er als „Zentrist“, was angesichts einer tief gespaltenen italienischen Gesellschaft heißt, dass er auch gegenüber Salvini auf „Dialog“ und Öffnung setzt.
In diesem Kontext ist eine zeitliche Koinzidenz erwähnenswert, von der man nicht weiß, ob es für sie eine rationalere Erklärung als den Zufall gibt. Verdelli steht seit einigen Monaten unter Polizeischutz, weil er mehrere anonyme Morddrohungen bekam, die ihm für den 23. April (u. a. mit fingierter Todesanzeige für diesen Tag) den Tod voraussagten. Der Anlass war die Überschrift „Cancellare Salvini“, die die „Repubblica“ im Januar über ein Interview mit einem PD-Politiker gesetzt hatte, in dem dieser Salvini vorwarf, mit den Sicherheitsgesetzen „eine Spur der Unmenschlichkeit“ gelegt und eine „Spirale der Angst gegen Fremde“ in Gang gesetzt zu haben, was nun wieder aus der Welt geschaffen („cancellato“) werden müsse. Salvini, der sich gerne in der Opferrolle sieht, nutzte die Überschrift, um den Artikel als Aufruf zu seiner physischen Liquidierung zu interpretieren. Dass sich dann auch noch die neuen Besitzer der „Repubblica“ genau den 23. April aussuchten, um Verdelli den Stuhl vor die Tür zu setzen, verrät einigen Zynismus.
Aber es geht um mehr. Dass zur Demokratie unabhängige Medien gehören, ist ein hehrer Grundsatz. Den die Politik ignoriert, wenn jede neue Regierung alle Führungsposten im staatlichen Fernsehen neu besetzt. Und den die Wirtschaft ad absurdum führt, wenn sie politisch unbequeme Zeitungen einfach aufkauft. Die Idee, hier Institutionen zu schaffen, welche die Medien gegen den direkten Zugriff der Politik oder der Wirtschaft abschirmen, wäre eine Korrektur. Carlo De Benedetti unternahm im vergangenen Herbst einen solchen Versuch und ist damit gescheitert. Das Schicksal der „Repubblica“ zeigt, mit welcher Konsequenz. Mit ihrer Übernahme durch die Agnelli-Familie und der nun erfolgenden Neuausrichtung der Redaktion ist in Italien ein weiteres Stück Demokratie weggebrochen.